Nein, William Eubanks „Love" ist kein Abklatsch von Duncan Jones' grandioser Science-Fiction-Parabel „Moon" – auch, wenn dieser Schluss im direkten Vergleich nahe liegt. Immerhin sind beide Filme Kinodebüts ambitionierter Werbe- und Videoclip-Regisseure, beide wurden mit Mini-Budgets realisiert und beide teilen ein Thema: Statt endlich heimkehren zu dürfen, findet sich ein Astronaut, einsam und verlassen in der Weite des Alls, mit seinen größten Ängsten konfrontiert. Allerdings war die vierjährige Arbeit an „Love" bereits in vollem Gange, als „Moon" 2009 zum Kritikererfolg avancierte. Die Alternative-Rock-Band Angels & Airwaves hatte Eubank ursprünglich als Videoclip-Regisseur engagiert, dann war Bandkopf Tom DeLonge aber so von dessen Spielfilmvision beeindruckt, dass er 500.000 Dollar lockermachte und das Projekt produzierte. Das Engagement hat sich gelohnt: Trotz erzählerischer Schwächen ist „Love" ein fantastisch bebilderter Space-Trip, der jeden Fan klassischer Science Fiction begeistern wird.
Irgendwo, irgendwann zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs: Statt mit seinen Kameraden in die Schlacht zu ziehen, wird Captain Briggs (Bradley Horne) ausgesandt, um einen gewaltigen Krater zu untersuchen. 2039, an Bord der Raumstation ISS: Captain Lee Miller (Gunner Wright) bereitet sich auf den Rückweg zur Erde vor, als ihn eine Hiobsbotschaft erreicht: Nachdem es zu einer nicht näher bezeichneten Katastrophe auf dem blauen Planeten kam, muss er auf unbestimmte Zeit im All ausharren. An Sauerstoff und Nahrung mangelt es Lee vorerst nicht, wohl aber leidet er unter seiner Vereinsamung. Dann findet der zunehmend derangierte und halluzinierende Astronaut das Tagebuch eines gewissen Captain Briggs, das einer seiner Vorgänger auf der Station zurückgelassen hat – und macht kurz darauf eine Entdeckung von kosmischen Ausmaßen...
In "Love" versammelt Eubank ein regelrechtes Best-of großer Sci-Fi-Motive - über Lees Visionen lässt er leise „Solaris" und „Contact" anklingen, mit den sich thematisch ergänzenden Handlungssträngen weht ein Hauch von „The Fountain" durch den Film und die unmittelbare Auswirkung irdischer Konflikte auf Lees Raumfahrt ruft „2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnahmen" in Erinnerung. Die stärkste Inspiration aber bezieht Eubank von seinem erklärten Vorbild Stanley Kubrick und dessen Jahrhundertwerk „2001: Odyssee im Weltraum". Zwar gibt es hier keinen Bordcomputer, der wie Gerty in „Moon" auf den berühmten HAL-9000 verweisen würde. Dafür werden Sci-Fi-Fans in Sekundenschnelle einen Sinnbezug zwischen dem Mysterium des Kraters und Kubricks Monolithen hergestellt haben. Wenn Lee auf seiner letzten Reise mit aufgerissenen Augen durch ein von Licht- und Farbspiegelungen überzogenes Helmvisier starrt, wird „2001" dann nicht nur motivisch, sondern auch ganz explizit zitiert.
Regisseur, Autor und Kameramann Eubank muss dabei nicht nur hoch angerechnet werden, dass „Love" mit all seinen Referenzen weder ein Plagiat, noch eine bloße Sci-Fi-Revue geworden ist. Vor allem ist es schier unglaublich, welche prachtvollen Bilder der kreative Filmemacher mit seinem lächerlich geringen 500.000-Dollar-Budget auf die Leinwand zaubert. Die klaustrophobische Raumstation baute Eubank eigenhändig im Garten seiner Eltern zusammen und verwendete dafür teilweise sogar Haushaltsschrott. Und was er aus seinem gleich nebenan improvisierten Bürgerkriegsset herauskitzelt, ist nicht minder beeindruckend. In durchkomponierten Slow-Motion-Einstellungen schweben Briggs und seine Kameraden zwischen Kugelsalven und aufgeschleuderten Erdfontänen umher, als hätte hier Zack Snyder („300") seine Finger im Spiel gehabt. Die schönen Animationen im transzendentalen Finale runden „Love" schließlich zum visuellen Hochgenuss ab.
Schade ist dabei bloß, dass Eubank den Fluss der stimmungsvollen Bilder immer wieder mit erzählerischen und inszenatorischen Spielereien stört. Über den Bürgerkriegssequenzen liegt ein mit sakraler Schwere vorgetragener und vage philosophischer Off-Text, der klingt, als hätte Terrence Malick („The Tree of Life") einen schlechten Tag gehabt. Wirklich irritierend sind zwischendrin eingestreute Doku-Interviewszenen, in denen Lees Vorgänger auf der Raumstation Phrasen zur Natur des Menschen dreschen: „Wir sind soziale Wesen, deshalb sind zwischenmenschliche Beziehungen auch so wichtig für uns." Hier hätte Eubank ruhig auf die Intelligenz seines Publikums vertrauen dürfen, statt sich in großspurigen Erläuterungen des Filmtitels zu ergehen. Dank Gunner Wrights taktvollem Spiel und einer dichten, geheimnisvoll-melancholischen Atmosphäre ist „Love" aber trotzdem über weite Strecken spannend, gelegentlich sogar hypnotisch.
Fazit: Mit „Love" legt William Eubank ein tolles Kino-Debüt vor – und das keineswegs nur im Kontext der schrägen Produktionsbedingungen. Wer eine gewisse Toleranz für irritierende Regie-Einfälle mitbringt und klassische Science Fiction liebt, sollte diesen Film auf keinen Fall verpassen.