Von Zeit zu Zeit fasst sich die vermeintliche Elite Hollywoods ein Herz und gibt sich politisch. Das Ergebnis sind meist aufmerksamkeitsheischende Politdramen, die ihr Engagement plakativ vor sich hertragen. Mit größter Ernsthaftigkeit werden offene Türen eingerannt und man verkündet, dass Krieg falsch, Politik ein schmutziges Geschäft und rücksichtslose Gier die Wurzel allen Übels ist. In Prestige-Projekten wie „Fair Game", „Ides of March" oder „Margin Call" werden diese Erkenntnisse herausposaunt, als wären sie eine revolutionäre Entdeckung. Da kann man sich glücklich schätzen, dass im alten Europa nach wie vor Politfilme gedreht werden, die nicht nur formal wagemutiger, sondern auch inhaltlich komplexer sind als die allermeisten Werke von der anderen Seite des großen Teiches. Während dort allzu oft auf Nummer sicher gegangen wird, ist das französische Politdrama „Der Aufsteiger" zugleich wesentlich bissiger und deutlich souveräner. Regisseur Pierre Schoeller („Versailles") fordert sein Publikum, er findet neue Worte und Bilder für die klassische Geschichte von der Macht und ihrer zersetzenden Wirkung.
Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) ist Verkehrsminister, steht ständig unter Strom und hetzt von einem Meeting zum nächsten Pressetermin. Sein jüngstes Projekt ist die Privatisierung der Häfen. Während er es damit in der Polit- und Medienlandschaft zum Shooting-Star gebracht hat, kann er dem Volk die Vorzüge des Gesetzes nicht verdeutlichen. Und auch sein Privatleben geht zunehmend den Bach runter: Seine Frau Séverine (Arly Jover) sieht er nur noch selten und auch für den Erhalt alter Freundschaften ist die Politik kein geeigneter Ort. Das bekommt besonders sein Berater Gilles (Michel Blanc) zu spüren: Wenn es gut läuft, wird der von Bertrand ignoriert, wenn nicht, getriezt. Verrat, Bauernopfer, Intrigen und Opportunismus bestimmen Bertrands deprimierenden Alltag, bis ein Autounfall sein Leben verändert...
„Der Aufsteiger" beginnt mit einer surrealen Traumsequenz: Schwarz vermummte Mönche, die glatt einem 70er Jahre Okkult-Horrorfilm entstammen könnten, richten den Elysée-Palast – den Amtssitz des französischen Präsidenten – für eine Zeremonie der etwas anderen Art her: Eine ebenso schöne wie nackte junge Dame wird hereingeführt und steckt alsbald im weit aufgerissenen Schlund eines Krokodils. So bizarr diese auf eine berühmte Helmut-Newton-Fotografie anspielende Szene wirkt, nimmt sie doch den Kern des Films vorweg. So wie sich die Schönheit in den Rachen einer Bestie begibt, wird auch Bertrand sehenden Auges seine letzten Ideale vom Dienst am Volke über Bord werfen und sich wissend in den Schlund verschlagener Machtpolitik stürzen. Während er träumt, schleicht die Kamera über seinen Körper und erspäht unter seiner Bettdecke eine Erektion, die klar macht, dass er das Wechselspiel aus Macht und Ohnmacht durchaus genießt. Ob es dabei um den Eros der Macht oder um masochistische Selbstverleugnung geht, bleibt hier zunächst noch unklar. Aber die vermummten Gestalten kehren im Schlussakt zurück und bescheren dem immer rücksichtsloser gegen die eigenen Überzeugungen und Freunde vorgehenden Bertrand Horror-Visionen, die einem Roman Polanski zur Ehre gereichen würden.
So originell verspielt Pierre Schoellers „Der Aufsteiger" beginnt, so geht es auch weiter. Der Wille, den Zuschauer mitzureißen, zu faszinieren und ihn mit auf einen Höllenritt in die Tiefen politischer Grabenkämpfe zu nehmen, ist ständig spürbar – darin erinnert Schoellers Polit-Zirkus ein wenig an Paolo Sorrentinos barockes Andreotti-Biopic „Il Divo". Wo sein italienischer Kollege jedoch in pittoresken Bilderbögen schwelgte und seinem Film eine wehmütige Note verlieh, gibt sich Schoeller schroffer. „L'exercice de l'État" spielt in einer hermetisch von der Banalität des wirklichen Lebens abgeschotteten, von emotionaler Kälte dominierten Welt. Bertrand und seine Mitarbeiter, Konkurrenten und Angestellten scheinen in Fluren, Hinterzimmern, Büros und Konferenzräumen zu leben und sowohl den Kontakt zu den „normalen Menschen", als auch zu sich selbst längst verloren zu haben.
Die Normalität wird unterdessen durch den Langzeitarbeitslosen Martin (Sylvain Deblé) personifiziert, der durch eine PR-Maßnahme für einige Zeit als Fahrer des gestressten Ministers fungiert und ihn von einem Termin zum anderen kutschiert. Viel zu sagen haben sich Bürger und Politiker jedoch nicht: Ihre Versuche Kontakt aufzunehmen scheitern schon im Ansatz und gelingen (höchstens) auf einer rein menschlichen Ebene. Auf den gemeinsamen Fahrten blickt Bertrand wie Robert Pattinson in David Cronenbergs „Cosmopolis" durch die Scheibe seines Dienstwagens teilnahmslos und entfremdet auf eine Welt, die trist und feindlich wirkt und ihn bei jeder Annährung mit seinen Versäumnissen konfrontiert. Meist bleiben die Sphären von Politik und regierter Masse streng getrennt - um schließlich doch in einer schockierenden und mit erdrückender Gewalt gefilmten Unfallsequenz aufeinanderzuprallen.
Der besagte Unfall ist nicht nur eine der besten Car-Crash-Szenen seit ewigen Zeiten, sondern auch ein Wendepunkt der Geschichte von „Der Aufsteiger". Nachdem sich Bertrand aus dem Wrack gekämpft hat, findet er sich plötzlich in einer schrecklichen Realität voller zerfetztem Metall, Trümmer und Blut weit außerhalb seiner Wohlfühlzone wieder: in der westlichen Welt der Gegenwart. Doch Bertrand – den Olivier Gourmet („Lookout", „Der Junge mit dem Fahrrad") als zynischen Ex-Idealisten auf dem Weg zum Burnout anlegt – wird auch den Schock des Crashs wegstecken und die Sympathien, die er durch den Unfall gewonnen hat, für sich ausnutzen. Bertrand und der Zuschauer starren in den Rachen des Krokodils: Der Rachen starrt zurück.
Fazit: „Der Aufsteiger" ist nicht nur der beste Politfilm des Jahres, sondern nimmt sofort einen Logenplatz in der Riege der Genre-Klassiker ein. Große Namen wie Costa-Gavras („Z"), Francesco Rosi („Die Macht und ihr Preis"), Alan J. Pakula („Die Unbestechlichen"), Elio Petri („Ermittlung gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger") und Oliver Stone („JFK") haben Gesellschaft bekommen.