***Vorsicht, enthält massive Spoiler***
An diesem Film, beziehungsweise seinen Kritiken, auch hier, merkt man, wie wenig Menschen geneigt sind, sich unter seine Oberfläche zu begeben und dort Unangenehmen zu begegnen. Der Hauptfehler des Films ist ganz offensichtlich, dass der ungeliebte Name seines Regisseurs oben drauf steht.
Auch wenn auf der Suppe die Actionverliebtheit ihres Koch oben schwimmt, wenn auf der Menükarte "Amoklauf" steht, so schmeckt sie dann, endlich aufgetischt, gänzlich anders. Nichts kindisch-absurdes steht hier mehr im Vordergrund, kein sinnentleertes Herumballern für den Bodycount ist der Motor der Geschichte, sondern eine bittere Abrechnung mit unserer Lebensweise, mit der Lächerlichkeit unserer Perspektiven, mit der Entfremdung voneinander innerhalb der Familie und des Freundeskreises.
"Rampage" straft seinen eigenen Titel Lüge, denn beinahe alles, was der im Mittelpunkt stehende junge Mann im Verlauf des Filmes tut, ist geprägt von eiskalter, soziopather Logik und Präzision. Fast alle Menschen, die hier ihr Leben lassen müssen, sterben als Ablenkungsmanöver. Die primäre Agenda ist ebenso banal wie das, was wir alle leben: Mit einem Haufen Geld unerkannt davon zu kommen. Die Parallelen zu tatsächlichen Amokläufen aus der näheren Vergangenheit, z.B. Columbine oder Erfurt halten sich somit in Grenzen.
Zum Zeitpunkt, an dem der Zuschauer in die Handlung einsteigt, sind alle Weichen längst gestellt, der Plan längst gefasst, und was dem Hauptakteur bis zur endgültigen Durchführung an ein paar alltägliche Unliebsamkeiten passiert, die zeigen sollen, wie er wohl grundsätzlich zu seinem Tun kommen wird, ist völlig nebensächlich, bestätigt ihn vielleicht in der Richtigkeit seines gewählten Weges. In seinem Elternhaus ist er längst ein Fremder, die Liebe seiner Eltern wirkt sowohl gekünstelt als auch überfordert-hilflos. Sein bester (und offenbar einziger) Freund versucht sich als Videoblogger und Möchtegern-Politiker, vertritt den üblichen unausgegorenen Mischmasch aus grünlich-kommunistisch-radikalen Ideen, die aber vor dem Hintergrund einer offensichtlich unbelehrbar-rücksichtslosen Gesellschaft oft erstaunlich wahr erscheinen ("Wir leben nicht nach unseren Bedürfnissen, sondern nach Wünschen").
Die eigentliche Durchführung des "Amoklaufes" wirkt, trotzdem der Zuschauer ganz nahe am Geschehen ist, emotional abgekoppelt und dokumentarfilmhaft. Ein Vergleich mit dem Videospiel „Postal“ drängt sich auf, und in der Tat ist es dem Schützen reichlich egal, auf wen oder was er schießt. Erst als er sich wegen eines Kaffees unvorsichtigerweise demaskiert, bedauert er, die Belegschaft und die Kundinnen eines Frisiersalons beseitigen zu müssen. Sein Bedauern ist aber weniger als menschliche Regung kommuniziert denn als Ärger über den Mehraufwand. Spätestens an dieser Stelle muss der Zuschauer sich fragen, was der Protagonist eigentlich will - mit diesem kaltblütig verübten Massenmord werden die Opfer des Amoklauf endgültig zu Kollateralschäden.
Ob es nun realistisch ist, sich Waffen und Ausrüstung bei Versandhäusern zu bestellen, die zu annähernder Unbesiegbarkeit/Unverletzbarkeit im Straßenkampf mit der Polizei verwendet werden könnten, sei jetzt einmal dahingestellt, angesichts der Waffengläubigkeit der Amerikaner ist das zumindest ansatzweise denkbar. Immerhin hat dieser Aspekt des Films zu einigen Diskussionen im Netz geführt, mehr als sein anderweitig gesellschafts- und zivilisationsbezogener Inhalt. Die Verfügbarkeit jedweden potentiell lethalen Materials für alle, die daran Gefallen finden, ist jedenfalls hüben wie drüben nicht wegzuleugnen.
Eine der Schlüsselszenen des Films ist die mittlerweile zu bescheidenem Ruhm gelangte Situation, in der der „Amokläufer“ in voller Kampfmontur und quasi mit rauchenden Maschinenpistolen im Gürtel in einer Bingohalle Einkehr hält, um zu jausnen. Das Szenario ist dabei so skurril, dass einem das Lachen buchstäblich im Halse stecken bleibt. Ungerührt nimmt er inmitten anderer Ungerührter ein paar Bissen zu sich, seine Waffen vor sich offen ausgebreitet. Unzählige Tote, Chaos – all das bleibt draußen, in diesem Universum kümmert sich keiner um das Leid vor der Türe. Selbst wenn jemand die Schüsse und die Nachrichten darüber wahrgenommen hat, was doch anzunehmen wäre – keiner zeigt eine Regung, selbst als der Maskierte provoziert. Die westliche Zivilisation im lethargischen Dämmerzustand, da begnügt sich der Wolf im Kevlar-Kostüm wohl mit dem Gedanken, dass Munition hier vergeudet wäre.
„Rampage“ in seiner Herangehensweise bewusst alle, die ihn mit einer Erwartungshaltung angegangen sind. Zu kalt, zu verstörend lebensecht ist die Hauptfigur, zu banal und nebensächlich jeder Tod eines Unschuldigen, zu zynisch die Sicht auf unsere Welt, sodass die vielleicht angesichts des verheissungsvollen Titels vorsorglich eingekühlte Bierdose nicht ihre Bestimmung finden kann und lauwarm wegzuschütten ist. Zu wenig Anspruch haben wir dem Regisseur wegen seiner früheren Arbeiten zugetraut, und so kann diese alltägliche Monströsität eines Burschen von Nebenan nur die Ausgeburt eines cineastischen Grottenolms sein. Punkt. Dass beispielsweise einer der Niederknie-Altäre der Filmgeschichte wie „Assault on Precinct 13“ wesentlich weniger – ich behaupte, gegen null gehend – Nachdenkpotential zu bieten hat, wird dabei gerne außen vor gelassen. Ein Actionfilm soll gefälligst ein Actionfilm bleiben, ein no-Brainer, wie wir so schön sagen.
Es bleibt zu hoffen, daß diesem, ich würde sagen, bestem Machwerk der letzten Jahre wenigstens die verdiente späte Würdigung zu teil wird.