Das Leben in diesen Zeiten ist schnell. Im Rausch der Verpflichtungen und Versuchungen hasten wir von Termin zu Termin, von Event zu Event, immer von der Angst geplagt, etwas zu versäumen oder am Ende im schlimmsten aller Fälle sogar konstatieren zu müssen, irgendetwas Superttolles verpasst zu haben.
Alexander Payne ( About Schmidt, Sideways) hat mit The Descendants einen denkwürdigen Film erschaffen, der sich mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn wir gezwungen sind, den Fuss vom Gaspedal zu nehmen und das Leben in Echtzeit auf uns einprasseln lassen, ohne vorrübergehend die Mögichkeit zu haben, den Rausch der Beschleunigung wieder und wieder zu erleben und Selbstrelexion erst gar nicht zuzulassen. Denn die könnte ja zunächst zu unangemehmen Erkenntnissen führen.
Der Film beginnt mit einer einzigen hastigen Szene. Elizabeth Shaw, eine verheiratete Frau aus der hawaiianischen Oberschicht, fährt mit irrem Tempo und vergnügungssüchtigem Gesichtsausdruck Wasserski. Schaut nur. Das Leben ist toll, schnell und voller Abwechslung. Full-Stop. Unfall.
Fortan sehen wir Elizabeth nur noch an Schläuchen im Krankenhaus liegend, wie sie langsam aber unausweichlich, bedingt durch ihren erlittenen schwersten Kopfverletzungen, ihrem Ende entgegendämmert.
Ihr Mann Matt, erfolgreicher Anwalt und Großgrundbesitzer auf Hawaii muss plötzlich und unerwartet alle Angelegenheiten regeln, sich um alles kümmern, erschreckenderweise auch um sich selbst und seine Gefühle. Da sind die beiden minderjährigen Töchter, der oberflächlich belanglose Freundeskreis, Grundstücksgeschäfte. Und das Alles während seine Frau langsam dem Tode entgegendämmert.
George Clooney spielt die Rolle des Matt King wirklich brilliant. Allein durch Mimik und Gestik lässt er uns teilhaben an der Entwicklung dieses Mannes in extremer Situation, der plötzlich in ungewohnter Entschleunigung in Echzeit das Leben meistern muss. Zu all dem Elend gesellt sich die niederschmetternde Information, dass seine Frau ihn lange Zeit betrogen hat, ihn vielleicht sogar verlassen wollte. Das Reifen der Erkenntnis, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt als die Jagd nach dem schnellen Geld, den schnell vorrübergehenden Kicks, den oberflächlichen Freundschaften, bringt Clooney einfach perfekt rüber.
Im Grunde passiert in The Descendants Nichts, aber davon viel. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade dieses Nichts eine immense Spannung und Intensität erzeugt, die man nur dann erlebt, wenn man ablässt von dem ständigen Geifern nach sensationellen Abwechslungen und oberflächlichem Spass an der Freud.
Der Film wird hier und da sicherlich auf Ablehnung stoßen, weil Alexander Payne es an allem mangeln lässt, was für viele Menschen so wichtig ist - Knall. Bumm. Peng. Schneller. Weiter. Lauter. Sex. Drugs. Rock‘n‘Roll. Hier geht es nicht um den schnellen Spass. Hier geht es um Entschleunigung und das Besinnen auf das, was nur hinter den Fassaden und vordergründigen Spass-Kaskaden zu finden ist. In den Händen eines weniger begabten Regisseurs und eines weniger begabten Hauptdarstellers hätte The Descendants leicht zur Schmonzette verkommen können. Payne und Clooney umschiffen aber jede schwülstige Untiefe. Ausnahmslos. Ihnen steht dabei ein herausragendes Ensemble zur Seite. Alle Rollen top besetzt. Kameraarbeit, Schnitt, hawaiianische Musik, alles perfekt.
Der Film endet mit einer komplett gegenteiligen Szene verglichen mit der Anfangssequenz. Matt King sitzt mit seinen Töchtern auf dem Sofa. Alle genießen sichtlich, einfach nur zusammenzusein, sich zusammen bei die Reise der Pinguine gepflegt aber wohlig miteinander zu langweilen und so das Leben im Kreise der Liebsten auf eine Art zu genießen, wie es kein noch so großer Kick bieten würde.
Wenn man sich einfach unvoreingenommen in diesen Film fallen lässt und es als Zuschauer auch mal schafft, nicht ständig nur etwas Besonderes zu erwarten, wird man reich belohnt. Eine Ode an die Normalität, an die Familie, an die Leichtigkeit des Seins, wenn man es denn schafft, endlich damit aufzuhören, dem nur anscheinend so Außergewöhnlichen hinterherzuhecheln. Chapeau!