Drama, Baby! Das war das Motto für „Underworld: Aufstand der Lykaner", denn dem dritten Film aus der Vampir- und Werwolfsaga wurden die Zutaten eines Melodrams beigemischt. Außerdem ersetzte man die ikonenhafte Hauptdarstellerin Kate Beckinsale durch Rhona Mitra („Doomsday"). Ob es an diesen beiden Maßnahmen lag, ist schwer zu sagen, aber Fakt ist, dass das Prequel des saftig-futuristischen Lack-und-Leder-Vampir-Action-Spektakels an der Kinokasse nicht so funktioniert hat wie die zwei Vorgänger. Also musste Heroine Kate Beckinsale ihr flottes Latex-Kostüm für „Underworld: Awakening" wieder hervorkramen, das Budget wurde für diesen vierten Film noch einmal kräftig aufgestockt und erstmals in 3D gedreht. Die schwedischen Genre-Spezialisten Måns Mårlind and Björn Stein („Storm", „Shelter") setzen den Fantasy-Actioner knallig, krawallig und düster in Szene und verwandeln ihn in einen überlangen, monochrom-stahlgrauen 3D-Shooter, der durchaus unterkühlten Stil besitzt, aber inhaltlich kaum noch Substanz aufweist.
Die Zeiten, in denen sich Vampire und Lykaner im Untergrund einen erbitterten Kampf lieferten, sind offiziell vorbei. Die Menschen haben die beiden Spezies längst entdeckt und an den Rand des Aussterbens gebracht. Rund zwölf Jahre nachdem Vampir-Aktivistin Selene (Kate Beckinsale) während der ethnischen Säuberung gefangengenommen wurde, erwacht sie in einem Labor des mächtigen Biotec-Konzerns Antigen und ergreift die Flucht. Sie ist geschockt, als sie erfährt, dass ihr Geliebter, der Mensch-Lykaner Michael (Scott Speedman), tot sein soll. In den Korridoren des Antigen-Konzerns, in dem Dr. Jacob Lane (Stephen Rea), sein Sohn Quint (Kris Holden-Ried) und ihre Mitarbeiter vermeintlich das Virus bekämpfen, das Vampire und Lykaner erschaffen hat, stößt Selene überraschend auf ihre Tochter Eve (India Eisley), die während ihres Tiefschlafs geboren wurde und von deren Existenz sie nichts geahnt hatte. Die wenigen verbliebenen Vampire und Lykaner haben sich im Untergrund verschanzt, die verstoßene Selene kann aber nur auf die Unterstützung des jungen Vampirs David (Theo James) bauen.
Kassenerfolge im ganz großen Stil wie etwa die Filme der „Twilight"-Vampir-Reihe waren „Underworld" und seine Fortsetzungen nicht ansatzweise – der ertragreichste Teil, „Underworld: Evolution", spielte weltweit 111 Millionen Dollar ein – doch bei einem Budget von 35 Millionen Dollar lohnt sich das Geschäft schon. Nachdem allerdings beim Prequel „Underworld: Aufstand der Lykaner" kein nennenswerter Gewinn mehr zu verbuchen war, wurde Kate Beckinsale („Aviator", „Pearl Harbor") reaktiviert, die als ebenso dekorative wie schlagkräftige Rampensau die Kohlen aus dem Feuer holen soll. Dabei durfte das hippe Regie-Duo Mans Mårlind and Björn Stein (die als Mårlind & Stein firmieren) stattliche 70 Millionen Dollar verpulvern. Ein qualitativer Quantensprung in der „Underworld"-Reihe ist der aktuelle „Awakening", der inhaltlich nach Teil 2 ansetzt, aber trotz der massiven Geldspritze beileibe nicht.
Mårlind & Stein halten die gnadenlos düstere Videospiel-Ästhetik im perfekt zu Kate Beckinsales Lack-und-Leder-Garderobe passenden Gothic-Look konsequent durch und treiben sie mit gewaltgeladenen Actionszenen im Stakkato-Rhythmus bis an die Schmerzgrenze. Das Tageslicht sehen die Protagonisten von „Underworld: Awakening" kaum. Obwohl inzwischen von den Menschen enttarnt, bekämpft und verfolgt, tragen Vampire und Lykaner ihre gegenseitigen Scharmützel weiterhin im Untergrund aus wie in den guten alten Zeiten. Statt sich mit allen Kräften oder vielleicht sogar gemeinsam gegen die Ausrottung zu stemmen, konkurrieren Vampire und Werwölfe weiterhin miteinander, die Bestie Mensch spielt nur eine Nebenrolle. Die Gründe für die alte Feindschaft werden als bekannt vorausgesetzt oder sind zu unwichtig: Es muss halt sein.
Kate Beckinsale bekommt als vampirische Kampf-Amazone die passende, ganz auf sie abgestimmte Bühne, auf der sie sich - angetrieben von Paul Haslingers elektronisch verstärktem Wummer-Soundtrack - so richtig austoben kann und ihren Gegnern den Hintern versohlt. Sie macht als „Gothic-Barbarella" im sexy Outfit weiterhin eine gute Figur und bleibt das beste Argument für die „Underworld"-Reihe. Nähme man aber die charismatische Klopperin heraus, bliebe nur ein reichlich inhaltsleerer Kick-Ass-Actioner für die hinteren Regale der Videotheken, denn erzählerisch ist „Underworld: Awakening" eine Bankrotterklärung. Der Mythos der Vampire und Lykaner spielt jetzt eine sehr untergeordnete Rolle, die Handlungsmotive werden nur noch angedeutet und dienen lediglich dazu, die nächste CGI-trächtige Prügelei vom Zaun zu brechen. Das Charisma von Michael Sheen (als Werwolf Lucian) und Bill Nighy (als Vampir Viktor) fehlt „Awakening" spürbar. Stephen Rea („Interview mit einem Vampir") und Kris Holden-Ried („K-19: Showdown in der Tiefe"), die als Vater und Sohn gegen die Vampire ins Feld ziehen und den Über-Lykaner erschaffen wollen, bieten akzeptable Leistungen, glänzen aber genauso wenig wie Michael Ealy („Sieben Leben") als Cop Sebastian und Theo James („Sex on the Beach") als Vampir David.
Warum „Underworld: Awakening" in 3D in die Kinos kommt, erschließt sich nicht. Andere als rein finanzielle Erwägungen dürften kaum eine Rolle gespielt haben, denn einen Mehrwert hat die dritte Dimension nicht, schlimmer noch: Besonders zu Beginn arbeiten Mårlind & Stein mit einer sehr eigenwilligen Optik: Der schnell geschnittene ständige Wechsel zwischen totalem Dunkel und einem grellen Flackern, der noch von hektischem Kameragewackel begleitet wird, ist ohnehin für jeden Betrachter anstrengend. In der noch etwas dunkleren 3D-Optik wird das Ganze zu einer Dreistigkeit, das jedem Gegner des dreidimensionalen Kinos reichlich Munition liefert.
Fazit: Mehr Tempo, mehr explodierende Köpfe und filetierte Gegner, weniger Mythos, Sinn und Verstand: Mårlind und Stein inszenieren den Fantasy-Actioner „Underworld: Awakening" wie ein Videospiel für die große Leinwand – optisch durchaus ansprechend, aber inhaltlich leer und ohne Substanz. Ein Ende der Reihe ist dennoch nicht in Sicht, „Underworld 5" wird in der letzten Szene bereits angedeutet.