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    Lebanon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Lebanon
    Von Florian Schulz

    Die Afghanistan-Dokumentation „Armadillo" des dänischen Regisseurs Janus Metz sorgt derzeit für heftige Kontroversen. Neben dem Vorwurf der Manipulation, der erwartungsgemäß in politische Positionskämpfe umgemünzt wird, bewegt vor allem eine Frage: Sind derart ungeschönte Kriegsbilder dem Publikum überhaupt zuzumuten? In diesem Sinne steht „Armadillo" symptomatisch für einen veränderten Umgang des Kinos mit dem Krieg. Kombinierte Ridley Scott in „Black Hawk Down" bereits die martialische Wucht des Treibens auf dem Schlachtfeld mit dem technokratischen Gestus des Modern Warfare, gereichte der neue „Way of War" für Kathryn Bigelow gar zum Oscar-Gewinn - ihr „Tödliches Kommando - The Hurt Locker" ist der bisher erfolgreichste Spross unter den postmodernen Kriegsfilmen. Im selben Fahrwasser schippert der israelische Filmemacher Samuel Maoz mit „Lebanon": Sein preisgekrönter Film vereint intelligentes Arthouse-Kino mit schonungsloser Dramatik.

    Der junge Shmulik (Yoav Donat) ist Teil einer vierköpfigen Panzerbesatzung, die sich relativ unvermittelt in einem Einsatz wiederfindet, der den Beginn des Libanon-Feldzugs anno 1982 markiert. Begleitet von ersten Luftschlägen, führen sie die Befehle immer weiter hinter die feindlichen Linien, ehe der Vorstoß in den Ruinen einer zerbombten Stadt plötzlich zum Erliegen kommt. Im schweißtreibenden Stahlkoloss eingeschlossen, müssen die vier Soldaten nun nicht nur einem blutigen Geiseldrama beiwohnen, sondern werden bald auch noch von der eigenen Heeresführung in Stich gelassen. Die Flucht nach vorn erscheint als einziger Ausweg und der Einsatz gerät zur traumatisierenden Irrfahrt...

    Der künstlerisch ambitionierte Anti-Kriegsstreifen achtet in nahezu machiavellischer Präzision darauf, einen moralischen Idealismus zu umschiffen. In chaotischen Choreographien lässt Maoz das Geschehen die Körper peinigen, ohne dabei den humanistischen Weichzeichner anzusetzen. Im maschinenzentrierten Kriegsgewitter sind hehre Motive dann vor allem Ballast und ist Sprache nur unkontrollierbarer Affekt. Nicht selten bleibt dabei eine eindeutige Narration auf der Strecke. „Tödliches Kommando" verweigerte sich bereits jeder Nacherzählbarkeit zugunsten fesselnder, ästhetischer Dichte. Mit „Lebanon" geht Maoz noch einen Schritt weiter: Sein wuchtiger Film dekonstruiert auch noch die visuelle Integrität des Szenarios zu einer panischen Collage und beschwört mit periskopischer Präzision den totalen Kontrollverlust herauf. Die mitreißende Irrfahrt ist weniger Widescreen-Drama als viel mehr klaustrophobisch-verstörendes Kammerspiel, das sich auf faszinierende Weise um sich selbst dreht, sobald sich die die Schleuse zur Außenwelt schließt.

    Das Setting erinnert an Wolfgang Petersens Kriegsklassiker „Das Boot", in dem die Ausweglosigkeit der Situation bereits Garant für nervenzerfetzende Spannungsmomente war. Der Handlungsspielraum der vier Protagonisten ist in „Lebanon" sogar noch weiter limitiert, denn das Innere des Panzers gleicht eher einer Unterseekapsel als einem ausgewachsenen U-Boot. Ähnlich wie Petersen ließ auch Maoz das Interieur der Kampfmaschine als bewegliches Modell nachbauen und setzte seine Schauspieler anschließend einer echten Tortur aus: Um die Kriegserfahrung so greifbar wie möglich zu machen, wurde das Team mit hämmernden Schlägen gegen die Außenhülle malträtiert. Eine unbedingte Authentizität war Maoz indes wichtig. Er selbst litt seit seinem Einsatz im Libanonkrieg unter einer posttraumatischen Störung, die er mit „Lebanon" nach eigenen Aussagen kurierte.

    Mit den Figuren sitzt auch das Publikum im Panzer fest. Zu Beginn des Films schließt sich die Einstiegsschleuse und öffnet sich bloß dann noch, wenn der Kommandant die Besatzung höchstpersönlich zur Raison ruft. Bilder des Umfelds filtert Maoz durch das Periskop des Panzers und sorgt damit für pulsierende Eindrücke. Brandet beispielsweise Hektik auf, so irrt auch das Fadenkreuz panisch umher. Auch die intensivierende Wirkung des Zooms nutzt Maoz ausgiebig. Leider wirken die Entscheidungsdilemmata, die er vor die Linse nimmt, nicht selten etwas konstruiert. Dies betrifft vor allem die erste Hälfte der Handlung, in der immer wieder schematische Stresssituationen inszeniert werden. Packend sind solche Szenen aber dennoch, vor allem dank einer gespenstischen Geräuschkulisse. Das Changieren zwischen dem Rauschen der Statik und den abgehackten Befehlen, die durch die Lautsprecher dringen, bestärkt die Fragilität der Wirklichkeitswahrnehmung enorm.

    Ob nun Francis Ford Coppola seinen Kommandotrupp in „Apocalypse Now" an der Do-Lung-Brücke dem totalen Kriegschaos beiwohnen lässt, R. Lee Ermey als Private Paula in „Full Metal Jacket" den Willen der Rekruten bricht oder jüngst Kathryn Bigelow ihre Protagonisten in die physische Hölle des „Tödlichen Kommandos" wirft: Immer rangiert Ordnung in unmittelbarer Nähe zum Chaos. Dieses Verhältnis verwebt Maoz zu einem zischenden Gebräu, indem er die wortwörtliche Sinnlosigkeit des Krieges extrahiert und sie auf engstem Raum komprimiert. Das Ergebnis ist intensives Kino - und nichts für schwache Nerven!

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