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    Solo für Sanije
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Solo für Sanije
    Von Sascha Westphal

    „Regeln übertreten macht Spaß“ – nach diesem Motto hat die 1944 geborene Sängerin und spätere Ladendiebin Sanije Torka immer gelebt. Dafür braucht es nur genügend Mut. Doch gerade der fehlt den meisten Menschen dann eben doch. Und vielleicht ist das letztlich auch besser so. Irgendwann fordert dieser Spaß seinen Tribut, und der kann, wie Sanije immer wieder erfahren musste, recht hoch sein. Trotzdem bleibt natürlich die Frage, ob diese Tag für Tag gelebte Freiheit, diese Ungebundenheit einer durch und durch anarchistischen Seele, nicht jeden Preis wert ist. Alexandra Czok lässt sie in ihrem erfreulich beiläufigen Dokumentarfilm „Solo für Sanije“ auf jeden Fall unbeantwortet im Raum stehen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber – und daran lässt ihr liebevolles Porträt einer auf ewig Unangepassten, die in beiden deutschen Staaten nur in Schwierigkeiten kommen konnte, kaum einen Zweifel – ein Leben ganz ohne Mut ist sicherlich nicht einmal ein halbes Leben.

    Als Alexandra Czok im Sommer 2007 mit den Dreharbeiten begann, hatte sich Sanijes Situation wieder einmal einschneidend verändert. Die beiden Frauen kannten sich zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Jahren. Doch in der Zwischenzeit war die ehemalige Sängerin wegen wiederholter Ladendiebstähle zum zweiten Mal verurteilt worden und musste nun ihre Haftstrafe in dem Berliner Frauengefängnis Reinickendorf im offenen Vollzug verbüßen. Damit hat sich eine einzigartige, so nicht geplante Konstellation ergeben, die es der Filmemacherin ermöglichte, auf eine gänzlich ungezwungene Weise von den Konsequenzen zu erzählen, die Sanijes unkonventionelles Leben immer wieder zeitigen musste.

    In Umfeld der Justizvollzugsanstalt bekommen die Gespräche über Sanijes Kindheit in verschiedenen Jugendheimen – ihre Eltern, Ostarbeiter von der Krim, hatten sie kurz nach ihrer Geburt vor einem Jugendamt abgelegt –, über ihre Jahre als Sängerin, über Solo Sunny, der auf ihrem Leben und ihren Erzählungen basiert, über ihre Zeit als IM der Staatssicherheit und über die Leere in ihrem Leben nach dem Mauerfall noch einmal ein ganz anderes Gewicht. Sie versteht es immer noch, sich geschickt in Szene zu setzen. Und Alexandra Czok lässt ihr dabei auch jeden Freiraum.

    Gleich die ersten Bilder der Dokumentation zeigen eine Frau Mitte 60, die sich sehr methodisch für die Filmemacherin und mehr noch für das spätere Publikum schminkt. Sie bereitet sich darauf vor, noch einmal, vielleicht zum letzten Mal, ins Rampenlicht zu treten. Das ist genau die Sanije, die zwar nicht mit einem Wort in den Credits von Konrad Wolfs und Wolfgang Kohlhaases legendärem Film „Solo Sunny“ erwähnt wird, deren Geist aber in jedem Moment dieses subversiven Meisterwerks präsent ist. Später erzählt Sanije dann selbst, dass sie sich immer nach dem „Solo“ gesehnt hat, nach der ungeteilten Aufmerksamkeit, die sie als Sängerin auf der Bühne genießen konnte. Alexandra Czok gibt ihr mit ihrem Porträt die Chance zu einem weiteren Solo, dem vielleicht wirkungsvollsten ihres ganzen wechselhaften Lebens.

    Anders als Sanije brennt Alexandra Czok zwar nicht darauf, bei jeder Gelegenheit die Regeln zu übertreten. Aber auch sie nimmt sich eine enorme Freiheit, indem sie sich ganz auf den Rhythmus ihrer Gesprächspartnerin einlässt. Sie bleibt immer ganz nah an Sanije dran, hört ihr zu und gibt ihr höchstens einmal das eine oder andere Stichwort. Mehr ist aber auch gar nicht nötig. Wenn sie sich gemeinsam Sanijes Stasi-Akte ansehen und die Sängerin vor allem nach dem Datum sucht, an dem ihr Führungsoffizier sie aus dem Dienst „entlassen“ hat, dann erzählt die Antwort, die Sanije schließlich in den Unterlagen findet, mehr über die Arbeitsweise und die Strukturen der Staatssicherheit als jede forcierte Enthüllungsgeschichte über Spitzeltätigkeiten bekannter oder unbekannter IMs. Sanijes Leben ist eben auch ein Spiegel der Wechselfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und was die aufmerksame Beobachterin Alexandra Czok in ihm entdeckt, fügt sich zu einem Bild einer repressiven Realität zusammen, an der so eigenwillige Typen wie Sanije nur scheitern können.

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