Wenn die Gondeln Trauer tragen ist ein bedrückender Horrorthriller von Nicolas Roeg aus dem Jahr 1973, nach einer Vorlage von Daphne Du Maurier (u.a. Die Vögel).
Aufmerksam wurde ich auf Wenn die Gondeln Trauer tragen, als ich verzweifelt nach Filmen suchte, die einem meiner Lieblings-Streifen Rosemaries Baby (Roman Polanski, 1968), über den ich auch noch schreiben werde, ähneln.
John Baxter (Donald Sutherland) ist ein zufriedener Familienvater von zwei Kindern, der einen Auftrag für eine Restaurierung einer Kapelle in Venedig erhalten hat. Als er sich ein Dia der Kapelle anschaut, schüttet er versehentlich Rotwein darauf. Während der Tropfen sich seinen Weg über das Dia bahnt, erfährt John eine schreckliche Vision: Er sieht seine in einem roten Regenmantel bekleidete Tochter ertrinken. Voller Panik stürzt er aus dem Haus, doch er kann die kleine Christine nicht mehr retten. Schnitt.
Der weitere Handlungsstrang spielt in Venedig, das bewusst bedrückend und trist dargestellt wird. Während John mit seinen Restaurierungsarbeiten an der Kapelle beginnt, begegnet seine Frau Laura (Julie Christie) zwei seltsamen alten Damen, von denen eine blind ist und Visionen über Christine hat. Sie wiederholt desöfteren, dass John und Laura Venedig verlassen müssen. Je mehr Laura sich zu den Damen hingezogen fühlt, umso mehr entfremdet sich das Paar, das zuvor noch in einer für damalige Verhältnisse skandalösen Sex-Szene (Kritiker behaupteten, sie sei nicht nur gespielt) als perfekte Einheit präsentiert wurde.
Während John immer wieder denkt die in ihrem roten Regenmantel bekleidete Christine durch die dunklen Gassen huschen zu sehen und knapp einem tödlichen Unfall in der Kapelle entgeht, wird der in England gebliebene Sohn Johnny krank. Laura sorgt sich und reist sofort ab. Obwohl diese schon längst in England sein müsste, sieht John sie zusammen mit den beiden alten Damen in einer Trauergondel vorbeischiffen...
Die Vorzeichen verdichten sich und enden schließlich in einem dramatischen Finale, dessen visuelle Darstellung seinesgleichen in der Filmwelt sucht.
Wer von einem Horrorfilm einen maskierten Messerstecher oder zweistündige Folterszenen erwartet ist bei Wenn die Gondeln Trauer tragen komplett an der falschen Adresse. Das Grauen wird selten greifbar, ist jedoch allgegenwärtig. Keine Figur neben der Familie Baxter schafft es auch nur ansatzweise Vertrauen zu erwecken. Vielmehr wirkt jede noch so kleinste Nebenrolle als Teil einer riesigen Verschwörung, bestärkt durch die grandiose musikalische Untermalung von Pino Donaggio.
Nicolas Roeg arbeitet mit vielen Metaphern, von denen einige erst in der finalen Sequenz ersichtlich werden, sich aber schon durch den ganzen Film ziehen wie ein roter Faden: Zerspringendes Glas, religiöse Symbole, offenes Tor - geschlossenes Tor usw.
Das Leitmotiv stellt die Farbe Rot dar. Neben dem auffälligen roten Mantel der kleinen Christine, sind es die Kleinigkeiten, die erst beim zweiten Mal hinsehen bewusst werden: So rückt beim erscheinen einer Person scheinbar zufällig eine rote Kerze ins Bild und verschwindet Sekunden später wieder, schreiben der Kellner und der Polizist mit einem roten Stift, lieben sich John und Laura auf einer Zeitung mit rotem Titelblatt..
Ich könnte noch stundenlang über dieses Meisterwerk schreiben, jedoch würde ich dann zuviel preisgeben und das Zuschauer-Erlebnis beschneiden.
Wenn die Gondeln Trauer tragen ist ein Kunstwerk.
10/10