Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,0
solide
Naokos Lächeln
Von Björn Becher

Der aus Vietnam stammende Regisseur Anh Hung Tran betrat mit mehreren Paukenschlägen die Filmbühne. Gleich sein erster Langfilm „Duft der grünen Papaya" wurde für den Oscar nominiert. Mit seinem zweiten Film „Cyclo" gewann er dann 1995 bei den Filmfestspielen von Venedig den Goldenen Löwen. Anschließend wurde es ruhig um Hung Tran. Nur zwei Filme veröffentlichte er in den folgenden 14 Jahren, wobei sein englischsprachiges Debüt „I Come With The Rain" trotz Josh Hartnett in der Hauptrolle 2008 beinahe völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief und selbst heute in den meisten Ländern noch nicht käuflich zu erwerben ist. Mit „Norwegian Wood" schien der Regisseur jetzt aber wieder voll angreifen zu wollen.

Die Vorlage von Haruki Murakami (deutscher Titel: „Naokos Lächeln") ist ein (Jugend-)Kultbuch und gehört zu den bedeutendsten Werken der japanischen Nachkriegsliteratur. Die Premiere findet erneut im Wettbewerb von Venedig statt und die weltweite Kinoauswertung ist garantiert. Trotzdem gelingt es Hung Tran nicht, an seine frühere Klasse anzuknüpfen. Er trifft zwar den Ton der Buchvorlage, liefert so aber zugleich den Beweis, dass dies genau der falsche Weg ist. Die famosen Schauspieler und der grandiose Soundtrack sind trotzdem für ein sehenswertes Romantik-Drama gut.

Japan in den 1960ern: Die Freunde Watanabe (Ken'ichi Matsuyama), Naoko (Rinko Kikuchi) und Kizuki (Kengo Kora) sind unzertrennlich, Naoko und Kizuki zudem schon seit Ewigkeiten ein Paar. Als Kizuki mit 17 scheinbar völlig grundlos Selbstmord begeht, zerbricht die Gruppe. Watanabe verlässt schnellstmöglich die Kleinstadt, um in Tokio zu studieren. Dort toben die Studentenunruhen, für die sich der Bücherwurm aber kaum interessiert. Als er eines Tages Naoko begegnet, knüpfen die beiden erste zarte Bande. Zunächst beschränkt sich ihre Freundschaft noch auf ein wöchentliches Spaziergehritual. Doch an Naokos 20. Geburtstag landen die beiden gemeinsam im Bett. Am nächsten Morgen reist Naoko ohne sich zu verabschieden ab. Als Watanabe sie endlich aufstöbert, erfährt er, dass sie ihn zwar liebt, aber die Vergangenheit nicht verarbeitet hat, weshalb sie keine sexuelle Lust mehr empfinden kann, was sie zunehmend in den Wahnsinn treibt. Unterdessen lernt Watanabe die lebenslustige Midori (Kiko Mizuhara) kennen, die mit ihm nicht nur flirtet, sondern ihm ganz offen ihr sexuelles Verlangen gesteht. Allerdings fordert sie, dass er sie bedingungslos liebt, während sie selbst ihren Freund nicht ohne Weiteres verlassen will...

In Murakamis Vorlage spiegelt sich das Schwanken Watanabes zwischen den zwei Frauen in einem sprunghaften Erzählstil wider. Anh Hung Tran versucht, dieses Konzept aufzugreifen, indem er Watanabe auch im Film – verstärkt durch wiederholte setzen von Zeitsprüngen – zwischen den beiden Frauen hin und her wechseln lässt. In einem Moment lebt Watanabe mit Naoko in einer Schneelandschaft, in der diese Heilung sucht, um kurz darauf wieder mit Midori über den Campus zu schlendern. Dem Zuschauer fällt es so unnötig schwer, eine Bindung zu den Figuren aufzubauen. Weil die Szenen abgehackt wirken und oft allein das bittere Drama im Vordergrund steht, werden Watanabes Gefühle für die beiden Frauen nicht nachvollziehbar. Der Regisseur verwendet mehr Zeit darauf, eindrucksvolle Naturlandschaften (Naoko im Schnee, Midori im Frühlingsgras) zu illustrieren, anstatt das Innere seiner Figuren herauszuarbeiten.

An den Darstellern liegt es hingegen nicht, dass „Norwegian Wood" Fans des Regisseurs enttäuscht. Gerade die für „Babel" oscarnominierte Rinko Kinkuchi ist trotz des deutlichen Altersunterschieds zu der von ihr verkörperten Naoko absolut brillant. Sie gibt dem Drama um Liebe und Sex, das ihre Figur durchleidet, das passende Gesicht. Auch an Ken'ichi Matsuyama („Death Note 2 - The Last Name") liegt es sicher nicht, dass es dem Zuschauer bisweilen schwer fällt, Watanabes Konflikt nachzuvollziehen.

Ganz auf sich allein gestellt sind die Darsteller dann aber auch nicht. Der Song „Norwegian Wood" der Beatles, der für den Titel des Films Pate stand und mehrfach in der Handlung aufgegriffen wird, ist eh eine Klasse für sich ist. Aber auch sonst sorgt Jonny Greenwood, neben Thom Yorke Co-Mastermind der Band Radiohead, für eine kongeniale musikalische Untermalung. Es ist nach der Dokumentation „Bodysong" sowie Paul Thomas Andersons Meisterwerk „There Will Be Blood" erst das dritte Mal, dass Greenwood sich als Score-Komponist verdingt. Bei seiner ersten Spielfilmarbeit wurde er in Berlin mit einem Silbernen Bären für eine „Herausragende künstlerische Leistung" ausgezeichnet. Es wäre wenig überraschend, wenn die Jury der 67. Internationalen Filmfestspiele ihm nun auch noch eine Osella für die beste technische Leistung verleihen würde - auch wenn diese Kategorie in der Vergangenheit meist Kameramännern, Cuttern und Szenenbildnern vorbehalten war.

Fazit: „Norwegian Wood" ist auf jeden Fall sehenswert, aber nicht der erwartete große Wurf. Das liegt an der Inszenierung von Anh Hung Tran, die nie eine stimmige Linie findet und zu stark zwischen den verschiedenen Storyversatzstücken mäandert, was zudem in einem viel zu weinerlichen Finale gipfelt. Ein Glück, dass zumindest der Soundtrack so eindrucksvoll geraten ist, dass man sich von der bebilderten Musik phasenweise einfach nur treiben lassen kann.

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