Mein Konto
    Die letzte Fahrt der Demeter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die letzte Fahrt der Demeter

    Dracula macht einen auf Alien

    Von Christoph Petersen

    Alle kennen Bram Stokers „Dracula“. Aber vermutlich haben nur wenige den Roman aus dem Jahr 1897 tatsächlich gelesen – und deshalb weiß vielleicht auch nicht jeder, dass dieser neben Zeitungsberichten und Briefen vor allem aus Tagebucheinträgen verschiedener Personen besteht: Erzählt wird das ikonische Schauermärchen vornehmlich aus der Sicht des nach Transsilvanien reisenden Rechtsanwalts Jonathan Harker, seiner in London verbleibenden Frau Mina Harker sowie des Irrenanstalts-Leiters Dr. John Seward, der Spannendes über einen Käfer verspeisenden Insassen namens Renfield zu berichten weiß. Aber es gibt ja auch noch die Passage, in der Dracula in einem Sarg mit 49 weiteren Kisten voll transsilvanischer Muttererde an Bord der Demeter aus Siebenbürgen nach London reist. Im Roman ist dieser Ausschnitt aus dem Logbuch des namenlosen Kapitäns der Demeter nicht einmal doppelt so lang wie diese Kritik.

    Aber die Kürze des Kapitels hat den angehenden Drehbuchautor Bragi Schut („Escape Room“) nicht davon abgehalten, es bereits vor mehr als 20 Jahren zu einem Filmskript zu verarbeiten. Nach etlichen verschlissenen Regisseuren wie Robert SchwentkeMarcus Nispel und Stefan Ruzowitzky hat schließlich André Øvredal („Scary Stories To Tell In The Dark“) das Steuer übernommen – und wie von Anfang an beabsichtigt, erinnert sein großartig ausgestatteter Hochsee-Horror „Die letzte Fahrt der Demeter“ nun weniger an frühere „Dracula“-Adaptionen als vielmehr an Ridley Scotts Meisterwerk „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“. Nur dass sich hier eben kein Alien an Bord eines Raumschiffs, sondern Dracula im Bauch eines Segelschiffs versteckt hält.

    So langsam dämmert der Crew der Demeter, was sie da wirklich im Bauch des Schiffes geladen haben.

    Ende des 19. Jahrhunderts dominieren zwar bereits Dampfschiffe den internationalen Warenverkehr, aber Captain Eliot (Liam Cunningham) ist trotzdem voller Stolz auf seine Demeter. Gerade ist ein potenziell besonders lukrativer Auftrag reingekommen: An Bord des Segelschiffs sollen 50 Kisten aus Transsilvanien nach London transportiert werden – und wenn das Ziel zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht wird, dann winkt eine fette Prämie. Die Crew um den Ersten Maat Wojchek (David Dastmalchian) ist deshalb hochmotiviert, die Überfahrt möglichst ohne Komplikationen über die Bühne zu bringen.

    Aber dann entdeckt Schiffs-Arzt Clemens (Corey Hawkins) in einer der Kisten eine halbtote Frau namens Anna (Aisling Franciosi) – und besteht dann auch noch darauf, die blinde Passagierin nicht wie vom Rest der Crew gefordert einfach über Bord zu werfen. Doch das eigentliche Problem ist sowieso ein ganz anderes: In einer der anderen Kisten lauert der von der Reise geschwächte Dracula – und der sieht die Crew der Demeter vor allem als Reiseproviant, um sich bis zur Ankunft in London wieder hochzupäppeln…

    Von Gollum zum Creeper

    Wenn wir Dracula das erste Mal zu sehen bekommen, erinnert er ein wenig an Gollum: Geschwächt schleppt er sich durch die Laderäume der Demeter – gerade stark genug, um den als Proviant für die Crew geladenen Ziegen und Schweinen die Kehlen herauszureißen. Aber je mehr Opfer er verzehrt, desto kräftiger wird er wieder – und damit ändert sich auch die Art des Horrors im Verlauf des Films: Nach ein paar wenigen Jump Scares zu Beginn setzt André Øvredal im Mittelteil vor allem auf Gore-Grausamkeiten (mit verdammt überzeugenden, zumindest handgemacht aussehenden Effekten). Zum Ende hin entwickelt sich „Die letzte Fahrt der Demeter“ dann sogar zum Action-Monsterfilm – mit einem flügelschlagenden Blutsauger, der durchaus an den Creeper aus den „Jeepers Creepers“-Filmen erinnert. Das ist alles nicht revolutionär, aber zumindest abwechslungsreich.

    André Øvredal hat dabei zwar einige gewohnt stark aufspielende Charakterdarsteller*innen wie Corey Hawkins („Straight Outta Compton“), Liam Cunningham („Game Of Thrones“), David Dastmalchian („The Suicide Squad“) und Aisling Franciosi („The Nightingale“) für seine oft nebelverhangene Überfahrt angeheuert. Auf einen ganz großen Star fürs Poster (dort setzt die Marketing-Abteilung zu Recht auf das Schiff und Dracula) hat er allerdings verzichtet. Stattdessen hat er das Budget offenbar konsequent in Ausstattung und Effekte investiert: Die Demeter selbst ist das unbestrittene Highlight des Films – und gerade auch der eigentlich hinlänglich bekannte Effekt, wenn Vampire im Tageslicht in Flammen aufgehen, ist hier noch besonders gut (und sichtlich schmerzhaft) gelungen.

    Dracula sieht die Besatzungsmitglieder nicht als ernsthafte Bedrohung – sondern als willkommenen Pausensnack!

    Trotzdem ist das mit dem Aufblasen des Mini-Kapitels auf Spielfilmlänge nur bedingt überzeugend gelungen: Zwischen den meist nur kurzen Horror-Ausbrüchen besteht „Die letzte Fahrt der Demeter“ nämlich vor allem aus Szenen, in denen die zunehmend paranoiden Crewmitglieder das weitere Vorgehen besprechen. Das ist zwar im Vorbild „Alien“ auch nicht anders, aber zum einen stellt sich die Crew hier besonders dämlich an. Da kommt zum Beispiel niemand auf die Idee, die geladenen Kisten vielleicht mal nicht immer nur in der Nacht, sondern einfach auch mal tagsüber zu durchsuchen. Zum anderen reicht die Charakterzeichnung trotz der überzeugenden Darsteller*innen nur gerade so tief, dass man die Besatzungsmitglieder zwar sehr gut auseinanderhalten kann, sich aber trotzdem nicht so recht für ihr Schicksal interessiert – und zumindest das war bei Ripley, Kane, Ash & Co. dann doch ganz anders…

    Fazit: Top ausgestatteter Historien-Hochsee-Horror, bei dem man aber sehr wohl die Mühen und Probleme dabei spürt, ein einziges Mini-Kapitel aus Bram Stokers Roman „Dracula“ auf zwei Stunden Kinofilm auszudehnen.

     

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top