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    Im Sog der Nacht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Im Sog der Nacht
    Von Christian Roman

    Irgendwie fühlt man sich als Zuschauer ins Jahr 2004 zurückversetzt: Drei perspektivlose Mittzwanziger manövrieren sich auf der Suche nach ihrer eigenen Identität in eine bedrohliche Situation, aus der es kein Entkommen zu geben scheint. Hans Weingartner („Das weiße Rauschen“) zeigte damals mit seinem zweiten Spielfilm Die fetten Jahre sind vorbei, wie man mit einem überschaubaren Budget, drei talentierten Jungdarstellern und einem intelligenten Drehbuch eine Weltklasseproduktion stemmt. Fünf Jahre später versucht der ehemalige Cutter Markus Welter mit seinem Regiedebüt „Im Sog der Nacht“ und ähnlichen Vorraussetzungen wie damals Weingartner seinen eigenen Platz im deutschen Kino zu finden. Herausgekommen ist ein düsteres Road Movie, das trotz Gewalt und schnellen Autos weniger Action-Thriller als vielmehr kammerspielartige Psychoanalyse dreier sozial entgleister Versager ist.

    Ein verkommenes Mietshaus, irgendwo im nächtlichen Zürich: Der Sex zwischen Lisa (Lena Dörrie) und Chris (Stipe Erceg) ist hart und laut, bis ein Schuss durch die dünnen Betonwände dringt. Eine Etage tiefer sinkt Roger (Nils Althaus) in seinen modrigen Sessel, das Foto aus besseren Tagen zwischen seinen Beinen ist mit Blut besudelt. Der Mittzwanziger hat soeben versucht, sich mit einem Gewehr den Kopf wegzublasen. Lisa und Chris stürmen in die Wohnung und finden ihren völlig verstörten – aber noch immer lebendigen – Nachbarn mit einem abgeschossenen linken Ohr vor. Schnell ist die Wunde provisorisch verarztet und das Trio tut das einzig Vernünftige: Gemeinsam stürzen sie sich ins Züricher Nachtleben. Schnell wird Chris, Lisa und Roger klar, dass sie füreinander bestimmt sind: desillusioniert, einsam und von der Gesellschaft verstoßen. Chris bringt es auf den Punkt: „Man muss sich nehmen, was man braucht!“ Und was die drei am nötigsten brauchen, ist Geld. Nach einem Banküberfall, bei dem das Trio eine Million Schweizer Franken erbeutet, erscheint die Berghütte von Lisas Tante als ideales Versteck. Doch bei dem Überfall ist die Frau des Bankdirektors tödlich verletzt worden. Chris tickt aus und es gibt einen weiteren Toten. Es folgt eine Irrfahrt durch die Schweiz bis über die deutsche Grenze. Allmählich weicht der Traum von einem besseren Leben einem Sog aus Gewalt und Todessehnsucht...

    Die Ausgangssituation von „Im Sog der Nacht“ lässt einen Actiontitel erwarten. Doch der Regisseur tut gut daran, nach dem knalligen Auftakt den Scheinwerfer ganz auf das Verbrechertrio zu richten. Zwar sorgen hier und da rasante, teilweise in Fast-Motion gefilmte Verfolgungsjagden für gelegentliche Adrenalinausstöße. Aber die eigentliche Stärke ist die feine Charakterzeichnung. Das Drehbuch ist eine stark geraffte Version des gleichnamigen Thrillers von Fredrik Skagen. Was vergleichbare Genretitel oft vermissen lassen, wird im Handlungsverlauf von „Im Sog der Nacht“ besonders schön herausgearbeitet: die persönliche (Weiter-)Entwicklung der Figuren. Die Bilderbuchniete Roger gerät anfangs schnell in den Sog des charismatischen Hasardeurs Chris. Auch wenn sie unterschiedlicher kaum sein könnten, üben die beiden eine ungeheure Faszination aufeinander aus. Erst Chris’ Skrupellosigkeit bei der Verfolgung seiner Ziele holt Roger in die Realität zurück. Sein Verantwortungsbewusstsein gewinnt allmählich die Oberhand und Chris muss fortan um seine Führungsposition in der Gruppe und die ungeteilte Zuneigung seiner Freundin Lisa fürchten. Die sitzt sowieso zwischen den Stühlen, weil sie das brutale Vorgehen ihres Freundes verabscheut und sich zu dem jungen Roger hingezogen fühlt. Das birgt eine Menge Konfliktpotenzial Trios und verleiht der Story mehr Spannung als die beiläufige Kriminalhandlung. Dass die anfänglich rein platonische Beziehung zwischen Lisa und Roger zu einer Affäre ausarten wird und der todessüchtige Chris wohl an mehr als nur einer Lungenentzündung leidet, erkennt auch ein Blinder mit Krückstock. Hier wäre doch die eine oder andere Wendungen mehr angebracht gewesen.

    Markus Welter, der seine Karriere als Werbefilmer und Cutter begann, stand 2007 vor einer schwierigen Aufgabe: Mit einem Budget von nur 1,2 Millionen Euro galt es, die passende Besetzung für „Im Sog der Nacht“ zu finden. Nach langem Hin und Her (zunächst sollte sogar August Diehl (23, Was nützt die Liebe in Gedanken) die Rolle des Chris übernehmen) fiel im April 2008 endlich die erste Klappe. Das bekannteste Gesicht vor der Kamera ist nun Stipe Erceg (Der Knochenmann, Phantomschmerz), der schon in Die fetten Jahre sind vorbei einen ähnlichen Typus verkörperte. Und genau hier liegt das Problem: Der gebürtige Kroate liefert als kompromissloser Heißsporn eine solide Leistung, zeigt aber wenig Neues. Genauso abgemagert, wortkarg und mit tiefen Augenringen hat ihn das Publikum erst kürzlich in Uli Edels Der Baader Meinhof Komplex gesehen. Erfreulicherweise bleibt so mehr Platz für seinen Kollegen Nils Althaus („Räuberinnen“). Der Schweizer Shootingstar agiert als Roger anfangs sehr zurückhaltend, doch mit seiner Entwicklung zum verantwortungsvollen Beschützer verändert sich auch Althaus’ Spiel. Besonders zum Schluss hin zieht der junge Eisgenosse das Publikum in seinen Bann. Gewöhnungsbedürftig: Althaus spricht Schweizerdeutsch und ist deshalb häufig untertitelt. Die 27–jährige Nachwuchsschauspielerin Lena Dörrie bleibt hinter der Leistung ihrer männlichen Kollegen zurück. Schuld daran ist in erster Linie aber das Drehbuch, das Lisa nur wenig zum Konflikt zwischen Roger und Chris beitragen lässt.

    Fazit: Regisseur Markus Welter liefert mit „Im Sog der Nacht“ ein aufreibendes und düsteres Road Movie ab, das den Zuschauer mit seiner feinen Charakterzeichnung zu fesseln versteht. Das Grundgerüst der Geschichte kommt einem allerdings stellenweise arg bekannt vor und bietet nur wenig Überraschendes. Im direkten Vergleich mit Hans Weingartners Die fetten Jahre sind vorbei zieht Welters Regiedebüt daher den Kürzeren.

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