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    Dorfpunks
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Dorfpunks
    Von Daniela Leistikow

    Rocko Schamoni ist ein Multitalent. Im Norden der Republik kennt man den Entertainer, Musiker, Schauspieler und Clubbetreiber schon seit Längerem, 2004 hat Schamoni mit dem Roman „Dorfpunks“ seinen Ikonenstatus dann auch bundesweit zementiert. Nach einer erfolgreichen Inszenierung des Stoffes am Hamburger Schauspielhaus gelingt der episodenhaften Geschichte um eine Gruppe Provinz-Punks nun der Sprung auf die Leinwand. Obwohl kein Film auch nur annährend mit Rocko Schamonis Liveauftritten konkurrieren kann, ist Regisseur Lars Jessen (Der Tag als Bobby Ewing starb) ein Coming-Of-Age-Film gelungen, der nicht die typischen ersten Male des Erwachsenwerdens uninspiriert abhandelt. Stattdessen stehen die lustigen Seiten des Punkseins im Vordergrund. „Dorfpunks“ ist Pogo für die Lachmuskeln.

    1984 hat der Punk auch bei der Dorfjugend von Schmalenstedt Einzug gehalten: Malte Ahrens nennt sich jetzt Roddy Dangerblood (Cecil von Renner) und hängt mit Sid (Pit Bukowski), Fliegevogel (Ole Fischer), Piekmeier (Laszlo Horwitz), Flo (Daniel Michel) und Günni (Samuel Auer) biertrinkend und philosophierend in einem Waldstück herum. Anschließend pogt die Punk-Clique, den Lautstärkeregler am Anschlag, durch die Kleinstadtidylle und plant den Ausbruch aus der Provinz-Enge. Auf dem Programm steht Spießer provozieren, Jungbauern verprügeln und schließlich die Gründung einer Punk-Band. Besonders Roddy ist mit Herzblut bei der Sache. Frei nach dem Motto Band werden ist nicht schwer, Band sein dagegen sehr kommt es bei den chaotischen Proben schnell zu Meinungsverschiedenheiten. Der Bandname ändert sich beinahe täglich. Der erste Auftritt der Combo beim örtlichen Talentwettbewerb geht total in die Hose. Aber egal, die Jungs finden das Banddasein trotzdem extrem geil…

    „Merkt ihr was, Leute? Eben war‘n wir noch scheiße – und jetzt sind wir ‘ne Band“, sagt Roddy strahlend. Doch so viel Freude am schöpferischen Akt passt nicht wirklich zur „Null Bock auf gar nix“-Attitüde des Punks. Oder wie es Sid ausdrücken würde: „Punk ist die Philosophie der Verweigerung. Deswegen kann Punk nur Punk sein, wenn er kein Punk ist. Wenn der Punk den Punk verweigert, dann ist er der vollendete Punk. Und deswegen werden wir auch keine Platte machen. Das hier, Leute, ist das ultimative Punkkonzert!“ Doch statt die „No Future“-Maxime zu leben, träumt Hauptfigur Roddy von Mädchen, Musik und einem Leben in London. Diese Janusköpfigkeit des Protagonisten, der viel zu hübsch und nett ist und auch noch Ambitionen und Ziele hat, ist zugleich Schwäche und Stärke von „Dorfpunks“.

    Die Hommage an die Adoleszenz in den Achtzigern und dieses ganz spezielle Lebensgefühl namens Punk wird durch die Ambivalenz der Figur Roddy zeitweise untergraben. Gleichzeitig lebt „Dorfpunks“ davon, dass auch Zuschauer, die aus Altersgründen nicht mit Wehmut an die Epoche des Punks zurückdenken, sich mit dem gemäßigten Roddy identifizieren können. Würde „Dorfpunks“ nur aus Karikaturen wie Roddys Eltern, Sid und dem spießbürgerlichen Mädchen, in das Roddy sich verknallt, bestehen, wäre Langeweile vorprogrammiert. Doch mit Roddy als Anker im Wellengang der Achtziger-Stereotype fällt das Fehlen eines roten Fadens kaum auf, während das Hin und Her von Wortwitz, Situationskomik und Insider-Gags das Zwerchfell zum Pogen bringt.

    Die Elternfraktion, ein liberales Lehrerpärchen, das Roddys Rebellion zwar toleriert, aber eigentlich nichts von Punk versteht, sorgt für aberwitzige Momente. Die Szenen, in denen die Punk-Band das Elternhaus von Roddys Spießer-Flamme in Schutt und Asche legt, beackern zwar nicht gerade filmisches Neuland, aber was so viel Spaß macht, muss nicht auch noch durch Originalität glänzen. Dafür sind die Schauspieler jung und unverbraucht. Das Ensemble wurde bei Open Calls in der deutschen Provinz gecasted, was laut Jessen „eine wahnsinnige Fleißarbeit aller Beteiligten“ bedeutete. Die Mühe hat sich gelohnt: Die Jungschauspieler wirken jederzeit authentisch. Obwohl alle gute Arbeit leisten, schafft es aber keiner der Beteiligten, sich als außergewöhnliches Nachwuchstalent hervorzutun.

    Die Bootsfahrt der Band, bei der die Jungs sich im Nebel verirren, kentern und schließlich von der Ostsee auf wundersame Weise ans rettende Ufer gespült werden, gehört zu den schwächsten Szenen des Films. Grundsätzlich mag es ein starkes Bild für die Verlorenheit am Ende der Jugend sein, wenn eine Handvoll junger Männer minutenlang im Nebel nacheinander ruft, um sicher zu gehen, dass noch keiner abgesoffen ist. In der Praxis entlockt diese Szenen dem Zuschauer aber ein leises Gähnen, denn es gibt wahrlich Spannenderes als einen nebelgrauen Bildschirm anzustarren. Der Soundtrack von „Dorfpunks“ ist da schon ein ganz anderer Schnack. Schon gleich zu Beginn tönen die „Fehlfarben“ aus den Lautsprechern und die musikalische Reise steigert ihr eh schon hohes Niveau sogar noch einmal, wenn Roddy die Plattensammlung von Kneipenwirt Paul Mascher (Axel Prahl, Die Schimmelreiter) entdeckt.

    Fazit: Lars Jessens Verfilmung von Rocko Schamonis Kultroman über jugendliche Dorfpunks hat viele gute Momente, einen Spitzen-Soundtrack und bietet reichlich Lacher. Themen wie Identitätsfindung und Freundschaft verdrängen nach der Hälfte des Films die nostalgische Klassentreffen-Atmosphäre und die Punk-Fassade bekommt ein paar Risse. Das Phänomen Punk wirkt austauschbar, da die Geschichte über das Erwachsenwerden auch im Hip-Hop-Milieu bestens funktioniert hätte. Aber die Zeit, lauter Möchtegern-Eminems beim Poetry-Slam in Schmalenstedt zuzusehen, ist glücklicherweise noch nicht gekommen. Dann doch lieber Punk und Pogo.

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