Vom Krieg gegen den Terror über die Finanzkrise bis zum Aufbegehren der Occupy-Wall-Street-Bewegung, die dem ominösen und vielzitierten einen Prozent Druck macht, das mehr als die restlichen 99 Prozent der Menschheit zusammen besitzt: Wir stehen vor einer weiteren Radikalisierung oder gar vor dem totalen Kollaps des kapitalistischen Systems. Als der amerikanische Schriftsteller Don DeLillo um die Jahrtausendwende an seinem visionären Roman „Cosmopolis" zu arbeiten begann, konnte er von all dem naturgemäß noch nicht viel wissen – er formulierte lediglich eine böse Vorahnung, die er dann 2003 auf den Markt brachte. Und so ist auch David Cronenbergs Verfilmung „Cosmopolis" ein Drama der pessimistischen Zukunftsprophezeiungen – angereichert und weiterentwickelt mit den Erfahrungen der vergangenen Dekade. Bei seiner Premiere bei den 65. Filmfestspielen in Cannes rief „Cosmopolis" gemischte Reaktionen hervor, von „dumm" bis „Meisterwerk" reichten die Kommentare. In der Tat ist Cronenbergs Werk höchst unbequem und lässt viel Spielraum für unterschiedliche Lesarten. Nicht zuletzt deshalb ist es aber auch überaus faszinierend.
24 Stunden im Leben von Eric Packer (Robert Pattinson). Er ist 28, ein milliardenschwerer Finanzjongleur mit chirurgisch entferntem Gewissen. In einer mit High-Tech hochgezüchteten Stretchlimousine kreuzt er unentwegt durch Manhattan. Aus Angst, ein zu leichtes Ziel für Anschläge gegen seine Person zu werden, steht er niemals still. Selbst seine Liebschaften (Juliette Binoche) bestellt er sich zum Beischlaf in die Limo und weicht nur zur Not (mit Patricia McKenzie) auf ein Hotel aus. Diese Techtelmechtel halten ihn aber nicht davon ab, Sex von seiner Frisch-Angetrauten, Elise (Sarah Gadon), einzufordern – selbst wenn die „Vernunftheirat" nur der Steuerung monströser Kapitalströme dient. Neben Sex und Geld interessiert Packer heute aber auch noch etwas anderes: Er möchte unbedingt zu einem Friseur und sich die Haare schneiden lassen, was seinem Sicherheitschef Torval (Kevin Durand) einiges Kopfzerbrechen bereitet. Denn der US-amerikanische Präsident ist in der Stadt und der Verkehr dementsprechend noch katastrophaler als sonst, dazu ziehen Demonstranten durch New York, die gegen die Auswüchse des Kapitalismus protestieren.
Michael Hanekes meisterhaftes Drama „Das weiße Band" spielt am Vorabend des Ersten Weltkriegs – das ist in jeder Szene zu spüren, obwohl davon im Film nie die Rede ist. Eine ähnlich unheilschwangere Stimmung kreiert nun auch David Cronenberg („Tödliche Versprechen", „eXistenZ") in „Cosmopolis": Hier liegt über allem die Vorahnung vom Kollaps des (Finanz-)Systems. So ist der Protagonist Eric Packer zwar ein skrupelloser Wall-Street-Kapitän von maßloser Arroganz und gnadenloser Effektivität, aber trotzdem umgibt ihn eine latente Unsicherheit. Er weiß nicht, was hinter der nächsten Ecke lauert, ist in ständiger Angst, sein von außen offen bedrohtes Leben könnte dort enden. Ihm dämmert, dass die Party bald vorbei ist und er erwartet die Katastrophe mit einer unbewussten Sehnsucht. Packer strahlt eine fiebrige Paranoia aus, die Cronenberg durch eine geschickt verengte Perspektive befeuert.
Der Regisseur bleibt die meiste Zeit bei seinem Protagonisten in der Limousine und mit ihm schauen wir aus dem Luxusgefährt heraus auf die Außenwelt. Von der wird Antiheld Packer, von wenigen kurzen Episoden abgesehen, konsequent abgekapselt. Die offensichtlich im Studio entstandenen Szenen in der Limousine wirken wie aus der Zeit gefallen, sie sind extrem künstlich und steril, kaum ein Ton dringt von draußen zu Parker vor. Das Auto wird zu einer eigenen Welt, die radikal getrennt ist von der Masse und ihrer brodelnden Unruhe. Und genau vor der fürchtet Parker sich – er hat Angst vor dem Aufbegehren dieser Menschen, die ihm sonst ganz egal sind, die er vielleicht sogar verachtet, Angst vor dem Kippen des Systems. Es ist auch die Angst eines Kontrollfreaks: Ständig checkt Parker die Parameter, die über Millionen entscheiden – alles soll in vorausberechenbaren Bahnen verlaufen, um sein Cyber-Kapital zu mehren. Selbst der Sex ist bei ihm eine genau kalkulierte Transaktion. Da treibt ihn die Entdeckung einer Asymmetrie an der Prostata bei der täglichen Untersuchung natürlich schier in den Wahnsinn.
Robert Pattinson hat bisher mit überschaubarem Erfolg („Remember Me", „Bel Ami") versucht, sich vom künstlerisch zwielichtigen Megaerfolg der „Twilight"-Reihe freizuspielen. Das gelingt ihm nun bei der Zusammenarbeit mit Cronenberg endlich. Er zeigt eine sehr beachtliche Leistung und macht den entscheidenden Schritt zum glaubwürdigen Charakterdarsteller. Pattinsons Packer ist smart, aber nicht gerade sympathisch, äußerlich aalglatt, aber innerlich zerrissen, ein zutiefst verunsicherter Kontrollfanatiker - „Sterben ist ein Skandal", so bilanziert er an einer Stelle. Erst durch Robert Pattinsons nuancierte und souveräne Darstellung der äußerst ambivalenten Hauptfigur wird „Cosmopolis" letztlich lebendig, vor allem durch ihn bekommt das pessimistische Traktat sogar einen Hauch von Tragik. Da kann es sich der Jungstar locker leisten dem wie immer großartigen Paul Giamatti („Sideways", „Barney's Version") im finalen Duell darstellerisch den Vortritt zu lassen.
Fazit: David Cronenberg macht es dem Publikum mit seiner kraftvollen Kino-Adaption von Don DeLillo Kultroman „Cosmopolis" nicht leicht: Er stellt mit seiner zugespitzten Vision der Spannungen in der spätkapitalistischen Welt nicht mehr und nicht weniger als den Fortgang der modernen Zivilisation in Frage.