Filmische Adaptionen von Videospielen verhelfen Regisseuren eher nicht zu Ruhm und Anerkennung. Wer erinnert sich schon an Annabel Jankel und Rocky Morton, die mit „Super Mario Bros.“ (1993) für die Premiere von Hüpfhelden auf der Leinwand sorgten und damit einen der beklopptesten und schlechtesten Filme aller Zeiten lieferten. Auch Paul W.S. Anderson („Mortal Kombat“, 1995; „Resident Evil“, 2002) und Uwe Boll („House of the Dead“, 2003; „Far Cry“, 2008) gelten, gelinde gesagt, nicht gerade als versierte Meisterkönner. Beim Südafrikaner Neill Blomkamp liegt der Fall anders. Der Visual Effects-Spezialist drehte zum Release des Shooters „Halo 3“ (2007) eine Trilogie von live-action Kurzfilmen, die in ihrem groben Doku-Stil einen so guten Eindruck hinterließen, dass Produzent Peter Jackson Blomkamp für die Regie des geplanten „Halo“-Kinofilms einsetzte. Doch trotz Jacksons zugkräftigem Namen kam es aufgrund der explodierenden Kosten zum Stopp des Projektes, woraufhin Blomkamp stattdessen die Gelegenheit bekam, einen anderen seiner Kurzfilme, die Mockumentary „Alive in Jo’burg“ (2005), in einen mit 30 Millionen budgetierten Spielfilm zu transformieren. Und was immer Blomkamp auch aus dem Kampf des Master Chiefs gegen die feindlichen Covenant gemacht hätte, es hätte kaum furioser werden können, als das, was er mit „District 9“ gemacht hat.
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Seit nunmehr über 20 Jahren hängt ein gigantisches Raumschiff über der Metropole Johannesburg in Südafrika. Die Außerirdischen, unabsichtlich auf der Erde notgelandet, leben seither unter unwürdigsten Bedingungen in einem Flüchtlingslager mit der Bezeichnung "District 9". Die zur Überwachung der Aliens gegründete Multi-National United (MNU) plant, aus deren Technologie Profit durch die Produktion von Waffen zu schlagen, allerdings scheitert dies aufgrund eines Schutzmechanismusses, der den Zugriff eines Nicht-Außerirdischen auf deren Technologie unmöglich macht. Bis der MNU-Beamte Wikus van der Merwe während einer Aktion zur Umsiedlung der Besucher mit einer Flüssigkeit in Kontakt kommt, die seine DNS entsprechend verändert...
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Dem pseudo-dokumentarischen Stil mit Interviews, zwischengeschnittenen Bildern von TV-Übertragungen mit Senderlogos und Texteinblendungen und verwackelter Handkamera bleibt Blomkamp kompromisslos treu. Zu Anfang des Films geben mehrere Mitglieder der MNU und andere Experten einem Fernsehteam Auskunft über die Außerirdischen, die wegen ihres Aussehens Shrimps genannt werden. Der Zuschauer wird dabei mit voller Wucht in das Ereignis rund um das Auftauchen des riesigen, seit über zwei Jahrzehnten bewegungslos verharrenden Raumschiffes und der Unterbringung der unzähligen Aliens hineingestoßen. Wenig wird handfest erklärt, das meiste vermutet, die Chronologie der Interviews schlägt wilde Haken, einige Aussagen greifen den Ereignissen bereits vor, andere beschäftigen sich mit dem Aufkommen und den Gründen für das Misstrauen und teils offenen Hass, der den Shrimps seitens der Bevölkerung entgegenschlägt. Diebe, Waffenhändler, sogar Mörder sollen sie sein, mit einer unerklärlichen, abhängigen Vorliebe für Katzenfutter. Die Menge an Informationen und Bildern spült einen gänzlich hinein in „District 9“, bis man beinahe jeden Zweifel, beziehungsweise jedes Wissen um die (Un)Echtheit der geschilderten Vorgänge völlig abstreift.
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Der eifrige MNU-Beamte Wikus van de Merwe, schwankend zwischen krampfiger Behördenreiterei und lässiger Abgeklärtheit, freut sich über seine Beförderung und den damit verbundenen Auftrag, die Umsiedlung der Außerirdischen zu leiten. Sie sollen District 9 räumen und in ein Zeltlager weit außerhalb von Johannesburg verlegt werden. Wikus und seine Einheit wandern von Barrake zu Barrake, um bestätigende Unterschriften der Shrimps zu sammeln, wobei der unverdrossene Wikus auch ein aus der Hand schlagen seines Klemmbrettes als Zustimmung wertet. Der Anti-Held mit weißem Hemd, hässlicher Weste und krummem Schnauzbart führt das Fernsehteam durch und in die heruntergekommenen Behausungen der Aliens, schnell wird der harte Umgangston der Soldaten und ihre Bereitschaft zur Waffengewalt deutlich, wobei auch ein bedrohter Shrimp nicht davor zurückschreckt, einem Aggressor den Arm abzureißen. Blomkamp offenbart während des Auftakts einen Reichtum an Details, Zwischentönen und insgesamt einer ungemein stimmigen Durchdachtheit, so dass das Fiktionale, die Merkmale des Genres Science Fiction an sich hinter dem Realismus und der dreckigen Echtheit des Gezeigten verschwinden. Allein die vielen Behelfsmäßigkeiten, mit denen sich die Aliens durchschlagen müssen, sind in ihrer Fülle und mit dem dargestellten Ideenreichtum von höchster Glaubwürdigkeit.
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In vollstem Umfang tragen dazu Design und Umsetzung der Außerirdischen bei. Das Budget von gerade einmal 30 Millionen wirkt auf der Leindwand locker um ein drei- bis fünffaches höher. Ohne, dass Blomkamp sie durch Schatten verbirgt, haben er und Weta Digital gerechtfertigtes Vertrauen in ihre Kreaturen, die sich perfektestens in ihre Umgebung einfügen, mit ihr und den Schauspielern interagieren und in keiner einzigen Szene merklich künstlich daraus hervorstechen. Keine Sekunde, in der man an ihre Herkunft, also an Computer, Progammierer, CGI und Animatronik denkt und trotz der vielen (rein auf diesen Aspekt reduziert teils herausragenden) Effektespektakel diesen Jahres ist „District 9“ in seiner Authentizität wohl DAS tricktechnische Highlight. Dafür sorgen neben dem Creature Design auch die unterschiedlichen Waffen der Aliens, die im Laufe des Films reichlich zum Einsatz kommen, ein mechanischer Kampfanzug, der während des Showdowns ordentlich aufräumt, und nicht zuletzt die hervorzuhebende Arbeit der MakeUp-Abteilung.
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Letztere darf sich vor allem an Sharlto Copley, der Wikus spielt, austoben. Nachdem dieser in der Hütte des Aliens Christopher einen seltsamen Behälter findet, der ihm Flüssigkeit ins Gesicht sprüht, äußern sich zunächst heftige Krankheitssymptome, wie Erbrechen und das Ablösen von Fingernägeln. Nachdem Wikus zusammenbricht und im Krankenhaus aufwacht, muss er entsetzt entdecken, dass seine linke Hand zu der eines Shrimps mutiert ist, was in der völligen Verwandlung in einen der ihren münden wird und ihn schon jetzt befähigt, die Waffen der Außerirdischen zu bedienen. Für die MNU wird Wikus zum Profit versprechenden Versuchsobjekt und während der Untersuchungen bleibt jede Menschlichkeit außen vor. Blomkamp treibt Wikus durch ein körperliches und psychisches Martyrium, wechselt in eine Perspektive sehr subjektiven Erfahrens seiner Leiden und bindet damit den Zuschauer emotional an ihn. Copley legt außerdem eine beeindruckende schauspielerische Leistung hin, weit über dem Standart des Sprüche raushauenden Ballerhelden. Er bringt, auch Dank seines unbekannten Gesichts, ebenfalls jenes Maß an Echtheit ein, das den ganzen Film kennzeichnet, von unbedarftem Bürokratencharme, über emotionale Szenen mit seiner Frau, bishin zu trockendstem Humor und dem dann doch unausweichlichen Ballerhelden, liefert Copley das gesamte Pakett mit Schleife verziert.
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Nach seiner Flucht aus den erbarmungslosen Fängen der MNU kommt Wikus bei dem Alien Christopher unter, der mit seinem kleinen Sohn seinerseits die Flucht von der Erde plant, dafür aber jenen Behälter benötigt, dessen Inhalt Wikus Mutation verursacht hat und der nun im Besitz der MNU ist. Nachdem Christopher Wikus verspricht, ihn an Bord seines Mutterschiffs bringen und heilen zu können, fassen Mensch und Außerirdischer einen selbstmörderischen Plan, der für beide die letzte Chance auf Rettung bedeutet. Wie in Blomkamps „Alive in Jo’burg“, greifen auch die Ereignisse in „District 9“ Themen wie Xenophobie, Rassismus und die Zeit der Apartheid, sowie Rassenunruhen jüngeren Datums in Südafrika auf und übertragen den historischen Kontext auf Situation und Umgang mit den Aliens. Nicht nur seitens der MNU, die mit Körpern und Technologien der Außerirdischen experimentieren, sondern auch in Form von Gruppen von Nigerianern, die illegalen Handel betreiben, die Shrimps ausbeuten und sogar verspeisen, um ihre Kräfte zu erlangen. Blomkamp gibt seiner Geschichte damit Tiefe und Identität, wobei der parabellhafte Unterbau später der puren Action weicht, worin „District 9“ jedoch ebenfalls gänzlichst überzeugen kann. Aus dem Zusammenhang des Films und der Story stechen die Actionelemente nie heraus (wie dies, um ein Beispiel zu nennen, massiv bei „Transformers: ROTF“ der Fall war), sondern haben ihre Bindung an die Umstände und Ereignisse. Im Zuge seiner Machart ist der Gewalt- und Härtegrad nicht zu unterschätzen, nein, im neunten Distrikt fliegen wahrlich die Fetzen. Da werden Gliedmaßen abgetrennt, Köpfe und Körper zerplatzen. Der Film ist zutiefst dreckig und rau im Ton, in Verbindung mit ungehobeltem Humor ist er genau da knittrig und faltig, wo sonstige Hollywood-Produktionen gerne bis zur Plätte glatt gebügelt werden. Aus dem Rahmen und geradewegs in die Selbstzweckhaftigkeit fällt die Brutalität aber nicht, sie passt und gehört auf diese Weise und in diesem Maße zu „District 9“.
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Vom frischen Setting, über die spannende Story, die bei vielen einzelnen Höhepunkten als brilliant konzipiertes Ganzes in Erinnerung bleibt, bis hin zur Meisterleistung der Tricktechnikabteilung ist „District 9“ ein enorm durchschlagendes Größtereignis. Einen hohen Reiz bezieht der Film über seine Offenheit, über die vielen Fragen, die zu Anfang und am Ende unbeantwortet bleiben und auch wenn angesichts des finanziellen Erfolges schon sehr laut über ein Sequel (oder Prequel) nachgedacht wird, ist die Faszination des Films schon als Einzelwerk unfehlbar (und bleibt es hoffentlich im Fortsetzungsfall). In einem an Meilensteine setzende Werken armen Kinojahr mag „District 9“ einen recht einsamen Höhepunkt markieren, dafür macht er dies mit einem solchen Karacho, dass es ihm unzweifelhaft auch in einer reicheren Saison gelungen wäre. Die Höchstklasse des Films und die Meisterleistung sämtlicher beiteiligter dadurch zu schmälern, dass beides von der Sommerkonkurrenz derart ausgeprägt einfach nicht geboten wurde, käme schließlich dem Pflanzen einer Rose auf einem Misthaufen gleich. Und Regisseur Neill Blomkamp sollte man nicht im Hinterkopf behalten, seinen Namen sollte man sich auf die Stirn meißeln.
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komplette Review siehe: http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=418824324&blogId=509592960