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    Die Perlmutterfarbe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Perlmutterfarbe
    Von Stefan Ludwig

    Der Roman „Die Perlmutterfarbe“ hat eine beeindruckende Odyssee hinter sich: Nachdem die jüdische Autorin Anna Maria Jokl 1933 bereits aus Berlin geflüchtet war, musste sie 1939 auch ihre neue Heimat Prag verlassen, als die deutschen Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten. Dabei ließ sie ihr einziges Hab und Gut, das Manuskript zur „Perlmutterfarbe“, kurz vor der Grenze bei einem Schlepper zurück. Eigentlich hatte sie damit das Buch bereits abgeschrieben, doch zwei Wochen später besuchte sie der Schlepper Jokl in einem Flüchtlingslager und gab es ihr zurück. Selbstverständlich durfte die Geschichte, in der Jokl ihre Erfahrungen mit den Nationalsozialisten verarbeitete, nicht zu Kriegszeiten in Deutschland erscheinen. Erst 1948 brachte ein Ostberliner Verlag den Roman auf den Markt. Doch bereits drei Jahre später wurde „Die Perlmutterfarbe“ in der DDR auch schon wieder verboten und erst Anfang der 90er Jahre wiederaufgelegt. Nun hat sich der bayerische Vorzeige-Regisseur Marcus H. Rosenmüller (Schwere Jungs, Beste Zeit, Beste Gegend, Räuber Kneißl) der Geschichte um eine kleine Notlüge mit schwerwiegenden Folgen angenommen.

    1931, in einer bayerischen Kleinstadt: Der Klassentüftler Maulwurf (Dominik Nowak) hat die „Perlmutterfarbe“ erfunden, die Papier im Sonnenlicht in Regenbogenfarben glänzen lässt. Durch einen Zufall rollt die Flasche mit der Farbe in den Ranzen von Alexander (Markus Krojer). Der arbeitet gerade an seinem Beitrag für den diesjährigen Malwettbewerb. Alexander hat sich vom B-Karli (Paul Beck) ein Buch ausgeliehen, aus dem er Bilder abpausen möchte. Durch einen weiteren unglücklichen Zufall fällt die offene Flasche mit der Perlmutterfarbe auf das wertvolle Buch. Hastig wirft Alexander es ins Feuer, als sein Schulkamerad an der Tür klopft, um es abzuholen. In der Klasse herrscht alsbald helle Aufregung über das Verschwinden der Perlmutterfarbe. Mit einer Notlüge lenkt Alexander den Verdacht auf B-Karli. Es kommt zu einem Klassenkampf zwischen der „A“ und der „B“…

    Als Marcus H. Rosenmüller den Roman „Die Perlmutterfarbe“ zum ersten Mal las, war er gleich begeistert von der Idee, die Geschichte selbst als Drehbuch zu adaptieren und anschließend zu verfilmen. Sofort setzte er sich mit dem Produzenten Robert Marciniak (Winterreise) in Verbindung. Dieser stimmte dem Projekt zu, obwohl Rosenmüllers bundesweiter Durchbruch mit Wer früher stirbt, ist länger tot (1,8 Millionen Kinobesucher) noch in der Zukunft lag. Marciniak hatte Rosenmüllers Potential bereits an dessen frühen Kurzfilmen erkannt. Dieses Gespür erweist sich nun als goldrichtig. Die abenteuerliche Parabel „Die Perlmutterfarbe“ zählt in diesem Kinowinter zum Familienpflichtprogramm.

    Der starke Gruber (Benedikt Hösl) ist der Neue in Alexanders Klasse. Er weiß, wer die Perlmutterfarbe hat. Doch statt die Wahrheit zu offenbaren, nutzt er sein Wissen und die aufgeheizte Stimmung, um eine Bande zu gründen, die jeden fertig macht, der nicht zur „A“ gehört. In dieser Figur des hetzerischen Aufwieglers spiegeln sich die Erfahrungen, die Autorin Jokl selbst mit dem Faschismus gemacht hat. Aufgrund der parabelhaften Erzählform, die zahlreiche Parallelen zum NS-Regime und zur Judenverfolgung zieht, lässt sich „Die Perlmutterfarbe“ also durchaus als eine Art Die Welle für junge Kinogänger im Grundschulalter einordnen.

    Dank Rosenmüllers starker Regie gelingt die Zeitreise ins Bayern der 1930er Jahre mühelos. Das liegt auch an der gut ausgewählten Kulisse: Das Dörflein Burghausen in Oberbayern wirkt nämlich tatsächlich etwas verschlafen. Leider erfüllte sich die Hoffnung der Crew auf echten Schnee nicht. Doch der schaumige Kunstschnee verleiht dem Film in Verbindung mit den hohen, burgähnlichen Steinmauern, die oft im Hintergrund zu sehen sind, einen märchenhaften Anstrich, der in einem gewollten Gegensatz zu den Geschehnissen steht, die in Alexanders Klasse vor sich gehen. Im Gegensatz zu etwa den Verfilmungen von Erich Kästners Das fliegende Klassenzimmer haben die Pausenhofprügeleien in „Die Perlmutterfarbe“ nämlich ganz und gar nichts Nostalgisches an sich. Die ständig mitschwingenden Faschismusparallelen verleihen ihnen viel mehr etwas Erschreckendes.

    Trotz der Stärken hat „Die Perlmutterfarbe“ auch seine kleinen Macken. Zwar überzeugt das Kinderensemble durch die Bank weg, ist aber zu groß. Eine Reduktion der vielen Figuren hätte für mehr Übersichtlichkeit und Nähe zu den Charakteren gesorgt. Selbst die Hauptfigur Alexander, verkörpert von Markus Krojer, dem Lausbuben Sebastian aus „Wer früher stirbt, ist länger tot“, kommt stellenweise zu kurz. Obwohl die Story insgesamt glaubhaft ist, erscheint manche Wendung doch als zu simpel konstruiert. Warum Alexander so lange mit der Wahrheit hinter dem Berg hält, ist nicht immer ganz nachzuvollziehen. Spätestens nach den ersten härteren Raufereien hätte man sich von ihm ein Geständnis erwartet. Natürlich verlangt die Dramatik, dass dieses erst zum Schluss kommt, doch der Spannungsbogen wirkt so zum Ende hin künstlich überspannt.

    Fazit: Rosenmüllers „Perlmutterfarbe“ ist ein witziges und spannendes Schulabenteuer mit Tiefgang. Themen wie Freundschaft, Lüge und Manipulation werden dank einer amüsanten und temporeichen Erzählweise auch für Grundschulkinder begreifbar. Ein lehrreicher Film, der trotzdem Spaß macht - ein seltenes Gut!

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