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    Weltstadt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Weltstadt
    Von Björn Helbig

    Jugendliche, die Pornos gucken, „Killerspiele“ zocken, Drogen konsumieren oder sich von ihrer Umwelt abkapseln, unter Generalverdacht zu stellen, wäre natürlich grundfalsch – auch wenn es gesellschaftlich wie politisch immer wieder derartige Bestrebungen gibt. Obwohl Christian Klandt in seinem eindrucksvollen, mehrfach preisgekrönten Debüt „Weltstadt“, das sich mit dem tatsächlich geschehenen Mord an einem Obdachlosen auseinandersetzt, durchaus einige dieser gängigen Klischees bemüht, ist der Film bei näherem Hinsehen doch ein eindeutiges Plädoyer für mehr Menschlichkeit.

    Die Freunde Till (Florian Bartholomäi) und Karsten (Gerdy Zint) leben in der Kleinstadt Beeskow in Brandenburg und wissen mit ihrem Leben nicht so recht etwas anzufangen. Als Till nach seiner Ausbildung als Maler nicht übernommen wird, sieht er sich mit der Frage konfrontiert, wie es für ihn weiter gehen soll. Karsten ist nicht besser dran. Er hat die Schule nie beendet, lebt im selben Häuserblock wie seine überfürsorgliche Mutter in den Tag hinein und muss Sozialstunden in einem Obdachlosenheim ableisten. An einem Tag voller Frust, Alkohol und Joints, der eine nächtliche Party im Park folgt, eskaliert die Situation: Tills und Karstens Aggressionen entladen sich im Angriff auf einen wehrlosen Obdachlosen. Sie misshandeln den stadtbekannten Jargo (Jürgen A. Verch) und setzen ihn schließlich in Brand…

    Der junge Regisseur Christian Klandt nimmt sich mit „Weltstadt“ einem ganz persönlichen Thema an. Er stammt selbst aus Beeskow und kannte sowohl das Opfer als auch einen der Täter persönlich. Bei seinen Recherchen fiel ihm auf, dass viele Einwohner nicht gerne über das schreckliche Gewaltverbrechen sprechen. Sie ignorierten, was passiert war, oder reagierten mit der Rechtfertigung, dass es ja „nur“ ein Obdachloser gewesen sei. Von solchen Erlebnissen motiviert, beschloss Klandt während seines Regiestudiums einen Film für die Menschen seiner Heimatstadt zu drehen. „Weltstadt“ ist deshalb nicht nur ein Werk über die Täter Till und Karsten. Klandt hat erkannt, dass er das Verbrechen nicht losgelöst von seinem gesellschaftlichen Zusammenhang zeigen kann. Deswegen spielen auch andere Personen eine wichtige Rolle: Tills Freundin Steffi (Karoline Schuch) etwa, die nicht weiß, woran sie bei ihrem Freund ist und gerne einen anderen Job hätte; Tills Vater Günter (Justus Carrière), der Dorfpolizist, der Probleme hat, seinem Sohn die gewünschten Schuhe zu kaufen; Karstens Mutter (Franziska Krumwiede) und Heinrich (Hendrick Arnst), der seinen kleinen Imbiss aufgeben muss.

    Wie es zu dem Gewaltakt kommt, dafür liefert „Weltstadt“ keine einfachen Erklärungen. Klandt legt in seinem elliptischen Film, der mit einer Fahrt in den Ort Beeskow beginnt und endet, viele Fährten und bietet mehrere mögliche Deutungen an. Diese sind vielleicht alle falsch oder zumindest nicht ganz wahr, oder aber vielleicht erst in ihrem spezifischen Aufeinandertreffen der Grund für die Ereignisse. Till und Karsten geraten aufs Abstellgleis, ihnen fehlt offensichtlich jegliche berufliche Perspektive. Der Tagesablauf, vor allem von Karsten, ist bestimmt durch Alkohol, Pornos und Computerspiele, seine Wut richtet sich vor allem gegen seine Mutter, die einen Schlüssel zu seiner Wohnung hat, in die sie sich – von Karsten unerwünscht – Eintritt verschafft. Aber auch zwischen den beiden Freunden kommt es immer wieder zu mehr oder weniger spaßhafter Gewalt wie in der Szene, in der Karsten Till mit einer Rasierklinge verletzt. Der Zuschauer merkt, dass in den beiden etwas brodelt, das sich jederzeit entladen kann.

    Allzu tief dringt Christian Klandt in den Beeskower Mikrokosmos allerdings doch nicht ein. Mit seinem polykausalen Ansatz zeigt Klandt zwar, dass er sich der Komplexität der Wirklichkeit bewusst ist – die zahlreichen potenziellen Ursachen und Erklärungsindizien für die Tat bleiben aber allesamt an der Oberfläche und illustrieren auch eine gewisse Hilflosigkeit des Filmemachers seinem Thema gegenüber. Auch wenn die großflächigen Deutungsansätze zum Schluss noch durch ein bestimmtes Ereignis konterkariert werden, das Zweifel an den bis dahin vorgeschlagenen Erklärungen aufkommen lässt, bleibt „Weltstadt“ trotzdem insgesamt zu vage. Der Dokumentarfilm Zur falschen Zeit am falschen Ort oder die Verfilmung des Theaterstücks Der Kick, die jeweils von dem Mord an einem Schüler im Brandenburger Ort Potzlow im Juli 2002 erzählen, erweisen sich - jeder auf seine Art - als kraftvollere, bestimmtere und gleichzeitig sensiblere Auseinandersetzungen mit einem ähnlichen Fall wie dem in Beeskow.

    Dass „Weltstadt“ sich trotzdem nicht in einer zu großen Beliebigkeit verliert, ist auch den guten Darstellern zu verdanken. Besonders eindrucksvoll spielt Gerdy Zint (Lucy) den zu Gewalt neigenden Karsten, dessen eindrucksvollsten Szenen den Konflikt mit seiner Mutter zeigen. Hier wird besonders deutlich, wie sich seine Ohnmacht in unkontrollierbaren Aggressionsschüben entlädt. Auch Florian Bartholomäi (Der Vorleser) verleiht seiner Figur die nötige Tiefe. Als Till macht er einen reflektierteren und insgesamt empfindsameren Eindruck als der laute Karsten. Er hat eine Freundin (stark: Karoline Schuch) und im Gegensatz zu seinem Freund noch Träume von einer besseren Zukunft, doch auch bei ihm scheint etwas unter der ruhigen Oberfläche zu brodeln.

    Brauchen wir also ein Killerspielverbot? Härtere Strafe für Drogendelikte und sowieso viel strengere Gesetze? Um Gewaltverbrechen vorzubeugen, das wird in „Weltstadt“ deutlich, wird solcher Aktionismus kaum helfen. Eine sozialere Arbeitsmarktpolitik sowie ein breit gefächertes Bildungs- und Freizeitangebot für Jugendliche hätte wahrscheinlich mehr Aussicht auf Erfolg. Noch viel wichtiger aber ist es, Christian Klandts Film als einen Aufruf an alle zu verstehen, sich um mehr Sensibilität für die Gefühle anderer Menschen zu bemühen – damit jeder mitbekommt, wenn es Kindern, Freunden oder Bekannten nicht gut geht. Denn eines wird im Film ganz deutlich: Von zufriedenen Menschen, die mit ihrem Leben im Reinen sind, werden solche Verbrechen nicht begangen.

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