In den 1930ern galt die Eiger Nordwand als „das letzte Problem der Nordalpen“. Steinschläge, Lawinen, eine brüchige Wand und plötzliche, unberechenbare Wetterumstürze hatten bislang einen Aufstieg verhindert und einige Todesopfer gefordert. Erst 1938 gelang den Deutschen Anderl Heckmair und Ludwig Vörg sowie den Österreichern Heinrich Harrer (Held aus „Sieben Jahre in Tibet“) und Fritz Kasparek die Erstbesteigung. Der Münchner Regisseur Philipp Stölzl (Baby) interessiert sich jedoch weniger für den heroischen Sieg als für den existenziellen Kampf. Deshalb dreht sich „Nordwand“ auch nicht um den ersten erfolgreichen Gipfelritt, sondern spielt zwei Jahre zuvor: Vier Kletterer werden von einem Schneesturm überrascht und hängen fortan in der Wand fest. Dabei ist ein bildgewaltiges, spannendes Alpindrama herausgekommen, das zugleich auch noch die Zusammenhänge von Bergsteigen und Nationalsozialismus auszuloten versucht, es sich auf dieser zweiten Ebene aber leider zu leicht macht.
1936: Die Olympischen Spiele in Berlin stehen vor der Tür. Das NS-Regime wünscht sich nichts sehnlicher, als seinem Volk gute arische Sportshelden präsentieren zu können. Da kommen den Nazis die beiden Berchtesgadener Bergsteiger Toni Kurz (Benno Fürmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas) gerade recht. Immerhin will das Duo als erstes die berühmt-berüchtigte Eiger Nordwand bezwingen. Zahlreiche gescheiterte Versuche und tödliche Abstürze haben der unberechenbaren Nordwand bereits den Spitznamen „Mordwand“ eingebracht. Mutig machen sich die beiden jungen Kletterer an den Aufstieg. Allerdings wollen auch die Österreicher Willy Angerer (Simon Schwarz) und Edi Rainer (Georg Friedrich) das Rennen für sich entscheiden. Ein spannender Wettlauf zum Gipfel beginnt. Doch dann kommt es zur Katastrophe: Willy bricht sich ein Bein und ein brutaler Schneesturm zieht auf. Von nun an kämpfen die beiden Seilschaften gemeinsam ums Überleben…
Als sich Hollywood mit „Vertical Limit“ an einer Bergkatastrophe versuchte, war das Ergebnis zwar durchaus spaßig, aber zugleich auch so abgehoben und übertrieben, dass jegliche Spannung unter den bombastischen CGI-Lawinen verschüttet wurde. Bei „Nordwand“ ist das anders. Auch hier gibt es Steinschläge, Lawinen und Schneestürme im Minutentakt, doch Regisseur Philipp Stölzl wandert so sicher auf dem schmalen Grat zwischen Dramatik und Glaubhaftigkeit, dass der Zuschauer nie aufgrund unnötiger Übertreibungen aus dem Geschehen herausgerissen wird. Dies ist zu einem beträchtlichen Teil sicher auch der beeindruckenden Arbeit von Kameramann Kolja Brandt und der restlichen Crew zu verdanken: Die Bergpanoramen sind atemberaubend und den dramatischeren Szenen sieht man die Unterstützung der Visual-Effects-Abteilung nie an.
Verstärkt wird die Spannung auch durch das – nicht nur sportlich - überzeugende Spiel der vier Bergsteiger: Benno Fürmann (Speed Racer, Pornorama), Florian Lukas (Stellungswechsel, Absolute Giganten), Simon Schwarz (Schwere Jungs, Silentium) und Georg Friedrich (Import/Export, Die Unerzogenen) ziehen nicht nur die Sympathien des Publikums sofort auf ihre Seite, sondern verkörpern auch den existenziellen Überlebenskampf durchweg glaubhaft. Ihnen allen aber stiehlt die wunderbare Johanna Wokalek (Der Baader-Meinhof Komplex, Barfuß) als Tonis Geliebte Luise die Schau. Die erfolgreiche Theaterschauspielerin ist eindeutig immer noch viel zu selten auf der großen Leinwand zu sehen.
So weit, so gut! Doch die dramatischen Ereignisse am Berg werden von einem zeitgeschichtlichen Rahmen umschlossen, der nicht ganz so überzeugend ausfällt. Die Nazis liebten Bergsteiger. Immerhin waren diese bereit, für ein wenig Ruhm ihr Leben zu riskieren, was perfekt in den Wertekanon der Nationalsozialisten um Heldentod und Opferbereitschaft passte. Trotz dieses NS-Hintergrunds soll das Publikum aber natürlich dennoch zu 100 Prozent mit den Kletterern mitfiebern. Deshalb bedient sich die Story eines unangebrachten Taschenspielertricks: Zu Beginn gibt es zwei Szenen, in denen die Gebirgsjäger Toni und Andi in ihre Kaserne einkehren und dabei von ihren Kollegen mit „Heil Hitler!“ begrüßt werden. Statt den Gruß zu erwidern, entgegnen die beiden ein lässiges „Servus“. Zudem werden sie wegen Missachtung des Zapfenstreichs auch noch zum Latrinenputzen verdonnert. So schnell werden potentielle Nazihelden zu rebellischen Lausbuben stilisiert. Der übrige NS-Ballast wird auf die Schultern des schmierigen Reporters Henry Arau abgewälzt. Allerdings ist dieser vielmehr sensationsgeil als parteitreu, weswegen der Film bisweilen an seiner Thematik vorbeischießt. Diese Schwäche wird aber glücklicherweise von dem grandiosen Spiel Ulrich Tukurs (Ein fliehendes Pferd, Das Leben der Anderen, Solaris) ein wenig abgefedert. Er gibt den wortgewandten Schmierlappen Arau so vollendet, dass man ihm stundenlang bei seinem Rumgeschleime zuschauen könnte.
Fazit: „Nordwand“ ist ein intensives, bildgewaltiges, handwerklich beeindruckendes und großartiges besetztes Bergsteigerdrama, das auf seiner zeitgeschichtlichen Ebene allerdings nicht wirklich überzeugt.