Ein Tag im Leben des Literaturprofessors George Falconer – das ist schon alles, wovon Christopher Isherwood in seinem 1964 erstmals veröffentlichten Roman „Der Einzelgänger“ erzählt. Ein wenig muss er dabei an James Joyces Klassiker „Ulysses“ gedacht haben. Zumindest dringt auch er in den Kopf seines Protagonisten ein. Als leicht distanzierter Beobachter und Chronist folgt er dessen Gedankenstrom. Georges Beobachtungen und Erinnerungen fließen wie auch seine Emotionen und Reflexionen ineinander und formen zusammen die Persönlichkeit eines einsamen, in sich verschlossenen Mannes, der nicht über den plötzlichen Unfalltod seines Lebenspartners hinwegkommt. Diese in der Literatur des 20. Jahrhunderts ganz selbstverständliche Perspektive, diese distanzierte Nähe, ist dem Kino eher fremd. Trotzdem hat sich der Modedesigner Tom Ford für sein Debüt als Filmemacher gerade diesen Roman ausgesucht. Er begleitet und beschäftigt ihn seit Jahrzehnten. Davon zeugt jedes Wort, das in seinem Regie-Erstling fällt, und auch jedes seiner exquisiten Bilder. Seit „Spiegelbild im goldenen Auge“, John Hustons Carson McCullers-Adaption aus dem Jahr 1966, ist keine derart wagemutige Romanverfilmung wie „A Single Man“ mehr in Hollywoods Umfeld entstanden.
Acht Monate ist es her, dass Jim (Matthew Goode, Match Point, Watchmen) bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Seither steht Georges Leben still. Nach Außen hin scheint alles mit ihm in Ordnung zu sein, doch in seinem Innern herrschen eine Leere und ein Schmerz, die ihn langsam aufzehren. Am Morgen des 30. November 1962 trifft er eine Entscheidung: Er wird sich noch im Lauf dieses Tages erschießen. Doch zuvor will George (Colin Firth, Der englische Patient, Mamma Mia!) noch alles in Ordnung bringen, an der Universität genauso wie in seinem Haus. Also leert er seinen Büroschreibtisch, schreibt gleich mehrere Abschiedsbriefe, legt die Kleidungsstücke zurecht, in denen er beerdigt werden will, bedenkt seine Haushälterin mit ein paar hundert Dollar und trifft noch einmal einige der Menschen, die in den vergangenen Monaten und Jahren zu seinem Leben gehörten, Menschen wie seine langjährige Freundin Charley (Julianne Moore, Short Cuts, Dem Himmel so fern) oder seinen Studenten Kenny (Nicholas Hoult, About A Boy, The Weather Man)…
„A Single Man“ ist mehr als nur eine – in diesem speziellen Fall an sich schon gar nicht so simple – Adaption. Eine passendere Beschreibung wäre es, von Aneignung zu sprechen. Aber selbst sie streift den Kern dieses außergewöhnlichen Projekts nur. Es scheint vielmehr aus einer nahezu schon mystischen Verschmelzung zweier künstlerischer Visionen entstanden zu sein. Tom Ford musste sich enorme Freiheiten nehmen, wie etwa das Selbstmord-Motiv, das er erst in diese Geschichte eines Tages hineingewebt hat, um so zugleich Isherwood und sich selbst treu zu bleiben. Er verdichtet den sowieso schon extrem dichten Roman noch einmal, spitzt ihn zu und öffnet ihm zugleich noch eine neue Dimension. Durch Georges Selbstmordvorbereitungen erhalten die Ereignisse dieses einen Tages zunächst einmal einen deutlich dramatischeren Unterton als bei Isherwood. Doch letztlich lenken sie den Blick des Betrachters nur ganz gezielt auf Georges Einsamkeit, seine Isolation, die auch für Isherwood im Zentrum steht – nur hat ihm die Sprache Möglichkeiten der Akzentuierung eröffnet, die einem Filmemacher unzugänglich sind.
Es ist also nur konsequent, dass Tom Ford die von ihm gewählte dramatische Zuspitzung immer wieder selbst unterläuft. Georges Entschluss gibt dem Film einen großen Spannungsbogen, auf den Isherwood verzichtet hat. Aber Ford missachtet ihn ganz bewusst und folgt trotz allem konsequent der episodischen Dramaturgie des Romans. Colin Firths George, der die Welt durch den Grauschleier der Trauer sieht, dem es seit Monaten nicht mehr gelungen ist, eine echte Verbindung zu den Menschen um ihn herum aufzubauen, hat ein Ziel. Auf dem Weg dorthin lässt er sich allerdings treiben, von einer Begegnung zur nächsten. In mal kürzeren, mal etwas längeren Szenen entsteht so ein kaleidoskopisches Porträt der amerikanischen Mittelschicht zu Beginn der 1960er Jahre im Allgemeinen und eines gleich doppelt isolierten Mannes im Besonderen.
Die Trauer um Jim und die Erinnerungen an die Momente des Glücks und der Liebe, die er mit ihm geteilt hat, verstärken letztlich nur Georges Situation. Die aus der Trauer erwachsene Krise ist es, die ihn an den Rand des Selbstmords treibt, aber seine Einsamkeit ist viel tiefer verwurzelt. Seine Homosexualität macht ihn zu einem Außenseiter, der außer in seinem aller engsten Freundeskreis nie das aussprechen kann, was er wirklich denkt und empfindet. Immer musste er etwas von sich verbergen, immer konnte er nur in Andeutungen - also kodiert - von sich sprechen, das hat ihn von der Welt und den Menschen abgeschnitten. Nun sucht er verzweifelt Kontakt, und diese Sehnsucht nach Nähe und nach Verstehen erfühlt Colin Firths Spiel von der ersten bis zur letzten Szene. Ganz knapp unter der mit größter Anstrengung aufrechterhaltenen Fassade schwellen Gefühle, die nach und nach an die Oberfläche kommen.
In wahnsinnig schicken, virtuos gestylten Bildern, deren Oberfläche so perfekt, aber auch so fragil ist wie Georges Auftreten, wie seine Maske vor der Welt, erzählt Tom Ford von einer verborgenen, einer unsichtbaren Welt. Diese in ihrer Schönheit überwältigenden, aber auch ob ihrer Kälte verstörenden Bildern haben etwas Gläsernes. Je nach der Perspektive des Betrachters, also dem emotionalen Lichteinfall, bleiben sie entweder eine glänzende Spiegelfläche, die vor allem Tom Fords grandiosen Stilwillen, sein schon magisches Gespür dafür, wie es 1962 in Südkalifornien ausgesehen haben muss, oder sie werden durchsichtig wie Glas und geben den Blick frei auf die Innenwelt eines Mannes, der gerade sein Innerstes immer verbergen musste. Doch aus welchem Winkel der Blick auch auf diese Filmbilder fällt, sie sind in jedem Fall betörend einzigartig.