Wong Kar-wais Debütfilm As Tears Go By ist sehr deutlich als eine Variation auf die Hongkonger Heroic-Bloodshed-Filme der Achtziger (etwa A Better Tomorrow) angelegt, wobei der Regisseur das Genre nebst anderen Straßenfilmen (wie Hexenkessel von Martin Scorsese) als eine Art Subtext verarbeitet: Mit seiner extravaganten Ästhetik und der ungewöhnlichen Dramaturgie ordnet Kar-wai die Motive des Genres neu an. „Ashes Of Time“, Kar-wais dritter Spielfilm, der nun in einer Redux-Version (komplett neuer Soundtrack; ausgetauschte, ergänzte und geschnittene Szenen; überarbeitete Farbgebung) neu zugänglich gemacht wird, ist ebenfalls mit einem spezifischen Genre verwoben: den Schwertkampf- und Kung-Fu-Filmen nämlich. Und auch hier finden sich zahlreiche klassische Motive des Genres: ein Dorf, das von Banditen bedroht wird, eine Männerfreundschaft, Schnaps, Landschaftspanoramen und natürlich Schwertkämpfe. Doch auch mit „Ashes Of Time“ hat der Autorenfilmer keinen straighten Genrefilm inszeniert, sondern eignet sich die Regeln, Bilder und Topoi des Schwertkampf-Films an, um mit ihnen zu machen, was er will – ganz so wie in „As Tears Go By“. „Ashes Of Time“ ist von daher auch alles andere als typisch. Vielmehr sind die nicht immer leicht durchschaubare Story, der konsequent durchgehaltene Manierismus der Bilder und die dramaturgische Unzuverlässigkeit des Skripts eine mittelschwere Herausforderung für den Betrachter, selbst dann, wenn dieser Kar-wais Großstadtfilme sehr zu schätzen weiß. Wenn man sich jedoch einlässt auf diesen Bilderrausch, die flatternden Kostüme, die fast schon meditative Atmosphäre, dann dürfte man durchaus seine Freude haben.
Die zentrale Figur des Films ist der zurückgezogen lebende Schwertkämpfer Ou-yang (Leslie Cheung, Happy Together), der in einer Art Herberge mitten in der Wüste Auftragsmorde vermittelt. In seiner Hütte treffen die verschiedenen Charaktere des Films aufeinander: der melancholische Kämpfer Huang (Tony Leung Kar Fai, „Der Liebhaber“), eine psychisch gespaltene Frau (Brigitte Lin, Chungking Express), die mal als Yin, mal als Yang auftritt, und ein weiterer Schwertkämpfer, der langsam erblindet (Tony Leung Chiu Wai, Infernal Affairs). Maggie Cheung (In The Mood For Love) und Carina Lau komplettieren das Ensemble, innerhalb dessen sich verschiedene Konstellationen und Liebesgeschichten entwickeln. Als rudimentäre Rahmenhandlung dient eine Auseinandersetzung mit Banditen, die ein kleines Dorf in der Nähe der Herberge tyrannisieren.
Doch für den Konflikt mit den Räubern interessiert sich Wong Kar-wai kaum, genauso wenig wie für die Kämpfe. Sammo Hungs Choreografie derselben wird durch die Musikvideo-ähnliche Montage, verschiedene Filter- und Shutter-Effekte geradezu demontiert und in den Status eines Exzesses aus Bildern und Geräuschen versetzt, dem man kaum folgen kann. Mit derselben avantgardistischen Inszenierungsweise verfährt Kar-wai auch in Bezug auf die Story: Figuren verschwinden unvermittelt, Zeitebenen verschwimmen diffus ineinander, Entwicklungen werden nur angedeutet oder fragmentiert. Und es wird viel gesprochen, ausgiebig aus dem Off, im Dialog und mit den stilisierten Bildern von Christopher Doyle.
Neben den oben erwähnten Kung-Fu-Motiven ist „Ashes Of Time“ natürlich auch mit den typischen Motivkomplexen Wong Kar-wais durchsetzt, auf die er immer wieder zurückkommt: der Liebe, dem Tod und dem Voranschreiten der Zeit, die hier sogar im Titel vorkommt. Die Verquickung dieser drei Elemente dient dem Regisseur für seine mitunter prätentiösen (deshalb aber nicht schlechten) Ausführungen über das Erinnern und Vergessen, den Schmerz und die Melancholie oder die Einsamkeit und die Zurückweisung: „Die beste Art sich vor Zurückweisung zu schützen, ist es, den anderen zuerst zurückzuweisen“, heißt es einmal recht resigniert in „Ashes Of Time“. Prinzipiell bewegt der Film sich also auf demselben Feld wie alle anderen Filme des Regisseurs auch, nur eben nicht in der Großstadt, sondern in der beeindruckend schönen Landschaft des asiatischen Festlands. Die melodramatischen Abschweifungen, die wartenden Frauen und Männer, die verpassten Gelegenheiten: All das findet Kar-wai auch weitab der modernen Zivilisation.
Für die Stimmung des Films prägend sind die häufig wiederholten, hochgradig symbolisch aufgeladenen Motive, in denen man die Zeit und die Liebe (im übrigen auch das Kinobild) zerrinnen und zerfließen sieht. Die Asche aus dem Titel findet sich in vielfältigen Formen: als Sand und Wind, als Wasser, Feuer und in den Momenten, in denen Doyles Kamera an den Schatten der Figuren klebt, ihnen über zerschlissene Wände und sandige Dünen folgt.
Zur Attraktion des Films tragen auch die vielen bekannten Darsteller bei. Die beiden Tony Leungs, Maggie Cheung, Leslie Cheung, Brigitte Lin und Carina Lau – der Cast enthält beinahe alle wesentlichen Stars des Hongkong-Kinos. Und alle machen ihre Figuren greifbar, auch wenn es nur für die Augenblicke ist, in denen sie die Leinwand in Großaufnahmen dominieren. Vor allem der leider viel zu früh verstorbene Leslie Cheung liefert eine beachtliche Leistung ab.
Dass „Ashes of Time“ seinerzeit dennoch wenig Erfolg an der Kinokasse hatte, ist wohl seinem eigenartigen, sperrigen Charakter geschuldet. Freunden des Regisseurs und des asiatischen Kinos sei „Ashes Of Time“ jedenfalls ans Herz gelegt, dieser artifizielle, erotische, zähe Rausch, der Tradition und Postmoderne, Kunst und Kitsch radikal vereint: Akira Kurosawa trifft auf Photoshop.