Den besten und charmantesten Witz liefert Terry Gilliam in seiner wild-wüsten Abenteuer-Komödie „The Man Who Killed Don Quixote“ schon vor dem Film – mit einer Texttafel: „Nach mehr als 25 Jahren in Arbeit … oder Nicht-Arbeit … endlich im Kino.“ Was für eine herrliche Selbstironie. Denn die epische Produktionsgeschichte des Werks ist mit dem Wort Katastrophe noch zurückhaltend beschrieben und war für den Filmemacher ein wahres Martyrium. Dass der Film überhaupt noch das Licht der Leinwand erblickt, gleicht einem mittelgroßen Wunder. Weniger überraschend ist da vielleicht, dass der nun endlich fertiggestellte „Don Quixote“ ähnlich chaotisch wirkt wie seine Entstehung selbst. Gilliam („Brazil“, „König der Fischer“) entwirft eine Film-im-Film-Geschichte über den spanischen Literaturhelden Don Quixote und fügt ihr schließlich immer weitere (Meta-)Ebenen hinzu, aber die erzählerischen Zügel gleiten ihm dabei aus den Händen: Film und Figuren driften in den Wahnsinn. So bleibt Skurriles und Irres, aber auch viel Beliebiges und Leerlauf, alles umweht von einem leisen Hauch Monty-Python-Anarchie.
Der zynisch-eitle Regisseur Toby (Adam Driver) dreht in Spanien einen Werbefilm und wird dort von seiner Vergangenheit eingeholt. Wenige Kilometer entfernt hat er vor zehn Jahren einen Film über die legendäre Romanfigur Don Quixote gedreht und dabei die Bewohner eines Dorfes eingebunden. Allerdings brachte die Produktion nur Unglück für alle Beteiligten. Der alte Schuhmacher des Ortes (Jonathan Pryce) zum Beispiel, der damals die Titelrolle gespielt hat, ist seitdem dem Wahn verfallen, Don Quixote zu sein, während die jetzt 25-jährige Nebendarstellerin Angelica (Joana Ribeiro) sich als willenlose Geliebte den Launen des stinkreichen russischen Oligarchen Alexei Mjiskin (Jordi Mollà) hingibt. Auch Tobys Boss (Stellan Skarsgard) hofiert den selbstherrlichen Egomanen, weil er ihn als Geldgeber gewinnen will, während Toby sich in Angelica verliebt.
Immer wieder schmoren Filme über Jahre in der Entwicklungshölle, aber die Leidensgeschichte von Terry Gilliam und seinem „The Man Who Killed Don Quixote“ ist eine der schillerndsten überhaupt - bis hin zum juristischen Streit um seine Uraufführung beim Festival in Cannes. Irgendwann noch weit im vergangenen Jahrhundert gab es erste Pläne, aber erst 1998 stand die Finanzierung und als es 2000 tatsächlich mit voller Crew und Jean Rochefort als Don Quixote losging, fegte schon nach wenigen Tagen eine Flut die Sets weg und machte alles gedrehte Material unbrauchbar. Nachdem schließlich auch noch Rochefort schwer erkrankte, musste Gilliam die Produktion abbrechen. Einblick in die Vorgänge hinter den Kulissen in diesem Stadium gibt der Dokumentarfilm „Lost In La Mancha“ von 2002, aber Gilliams Kampf gegen Windmühlen war damit noch lange nicht abgeschlossen. Immer wieder schmiedete er mit neuen Schauspielern (darunter nach Johnny Depp unter anderem Ewan McGregor und John Hurt) neue Pläne, ehe er nach 16 Jahren mit runderneuerter Mannschaft tatsächlich wieder an den Start gehen konnte.
Im Laufe der Jahre entstand um Gilliams „Don Quixote“ eine Filmbusiness-Legende, die nun auch das fertige Werk überschattet. Der Film beginnt mit einer Rahmenhandlung über den von Adam Driver („Paterson“, „Star Wars: Die letzten Jedi“) als abgehoben-arrogantes Arschloch gespielten Werberegisseur Toby, der im weißen Anzug mit Hut am Set herrscht, sich von seinem persönlichen Lakaien die Schultern massieren lässt und versucht seinem Boss in dessen Abwesenheit die Frau (Olga Kurylenko) auszuspannen. Wenn Toby sich jedoch auf den Weg in seine Vergangenheit macht und das Dorf besucht, wo er vor zehn Jahren gedreht hat, wechselt „The Man Who Killed Don Quixote“ vom affektierten in den surrealen Modus und der Protagonist befindet sich fortan in einer Welt des Wahnsinns, in der Traum und Realität verschwimmen und der (Kostüm-)Film ins Fantastische abhebt. Jonathan Pryce („James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie“) liefert als spanischer Schuhmacher, der sich für Don Quixote und Toby für seinen Knappen Sancho Pansa hält, eine komplette Gaga-Performance ab. Als vermeintlicher tumber Ritter wirkt er wie ein wunderlicher Großvater, der sich geistig aus dem Alltag verabschiedet hat.
Während Pryce von Beginn an jenseits von Gut und Böse unterwegs ist, nagt an Drivers Toby mit jeder weiteren Filmminute zunehmend der Irrsinn, während in ihm der Wunsch nach Wiedergutmachung erwacht, er sich zum Besseren wandelt und schließlich der großen Liebe hinterherjagt. Driver macht diese Figurenentwicklung durchaus nachvollziehbar und so ist sie eines der wenigen kohärenten Elemente in einer wilden Erzählung, die Gilliam mit so vielen Ideen vollstopft, dass er sie kaum geordnet bekommt. Der episodisch angelegte vogelwild-hyperaktive Reigen strotzt vor wüsten Slapstickeinlagen und Gaga-Situationen. Arabische Terroristen verirren sich in ein abgelegenes spanisches Kuhkaff? Vollverschleierte Frauen tragen Vollbart? Hier ist es zu sehen! Mit solchen Absurditäten erinnert Ex-Monty-Python Terry Gilliam tatsächlich an die Werke der legendären britischen Komiker-Truppe. Doch die komödiantische Wirkung von Klassikern wie „Ritter der Kokosnuss“ oder „Das Leben des Brian“ erreicht er damit nicht im Ansatz.
Denn mit surrealen Pointen und blühendem Blödsinn gibt sich Gilliam nicht zufrieden, er meint es letztlich doch ernst mit dem Wahnsinn und der Kunst und dabei überspannt er den Bogen. Wenn er der zweiten Erzählebene in der Traumwelt immer noch neue hinzufügt , sie mixt und verschränkt, hat das entstehende Chaos nichts Aufschlussreiches oder Bezwingendes. Vielmehr scheint der Zufall zu regieren, und das ist hier kaum philosophisch zu verstehen. Manchmal lässt sich staunen, aber häufig bleibt nur Schulterzucken und zum Lachen gibt es nicht mehr viel. Gegen Ende steigert der Film sich immerhin in einen visuellen Rausch: Wenn bei einem dekadent mittelalterlichen Happening von Oligarch Mjiskin Menschenopfer auf den Rost kommen, hat das einen klitzekleinen Hauch von der brillanten Orgiensequenz aus „Eyes Wide Shut“, doch anders als bei Stanley Kubrick fehlt der üppig-barocken Sequenz hier die erzählerische Prägnanz.
Fazit: Das parodistische Abenteuer „The Man Who Killed Don Quixote“ ist ein hyperaktiver, komplett überdrehter Trip, den Regisseur Terry Gilliam erzählerisch selten in den Griff bekommt.
Wir haben „The Man Who Killed Don Quixote“ bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 gesehen, wo er als Abschlussfilm gezeigt wurde.