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    Die Eisbombe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Die Eisbombe
    Von Christian Horn

    Dass Debütfilme einen Protagonisten in den Mittelpunkt stellen, der sich gerade an der Schwelle zum Erwachsenenalter befindet, ist beileibe keine Seltenheit. Regisseur Oliver Jahn macht da keine Ausnahme und stellt uns in seinem tragikomischen Erstling „Die Eisbombe“ einen jungen Mann vor, der gerade seine Zivildienstzeit ableistet und mit allerhand handfesten Problemen zu kämpfen hat. Und trotzdem ist Jahn – zumindest stellenweise – überraschend mutig und geht ganz eigene Wege. Nicht nur, dass seine Hauptfigur ein von Phobien gebeulter „Freak“ ist, nein: Auch schlägt aus heiterem Himmel ein riesiger Eisklumpen in sein Elternhaus ein, weshalb die Familie sich gesammelt in den eigenen (!) Luftschutzbunker im Garten zurückzieht. Diese beinahe kafkaeske Situation verliert sich im Verlauf des Films leider allzu oft in Standardsituationen und Banalitäten, was die gelungene und überraschende Ausgangssituation zwar nicht völlig, aber in weiten Teilen demontiert.

    Gleich die Eröffnungsszene zeigt Protagonist Tom (Eike Weinreich) als verqueren Kerl: Bei strahlendem Sonnenschein läuft er mit einem Regenschirm durch die Gegend und trällert seltsame Lieder. Tom hat eine sehr stark ausgeprägte Regenphobie, sobald sich auch nur ein klitzekleiner Regenschauer andeutet, bringt ihn nichts mehr aus dem Haus. Doch damit nicht genug: Etliche weitere Allergien und Neurosen plagen den 17-Jährigen, hinzu kommt seine grenzenlose Schüchternheit gegenüber dem anderen Geschlecht. Warum der Junge so geworden ist, bleibt für den aufmerksamen Betrachter nicht lange ein Rätsel. Toms Familie, in erster Linie Mutter Beate (Karoline Eichhorn), ist eine dermaßen scharfe Behütungsinstanz, dass die Enge einfach jeden erdrücken und kaputt machen würde. Auf den Tisch kommt hier nur beste Ökoware, die nach einem strengen Speiseplan serviert wird. Alles ist reglementiert und hat eine abstoßende Ordnung – schon der Familienname hat etwas zutiefst biederes an sich: Schuhmann-Weil. Als der eingangs erwähnte Eisblock dann in das Dach des Familienhauses einschlägt, fürchtet Beate eine etwaige radioaktive Verseuchung und befiehlt ihrem Clan, in den hauseigenen Bunker zu ziehen. Tom geht das alles zu weit, er verlässt seine Eltern und bezieht ein Zimmer im Krankenhaus, in dem er seinen Zivildienst ableistet. Dort entdeckt er das echte Leben für sich…

    Nachdem die skurrile Ausgangssituation filmisch spannend ausgebreitet ist, zieht die Handlung sich in sicherere Gefilde zurück. Gerade als Regisseur Jahn den Zuschauer für sich und seine abseitige Story gewinnt, verliert er plötzlich den Mut zur Eigenständigkeit: Tom lernt – natürlich – ein Mädchen kennen, erlebt mit ihr Höhen und Tiefen, Missverständnisse und so weiter. Daneben nimmt eine Art Ersatzmutter ihn unter ihre Fittiche und gibt ihm die Kraft zu einer selbstbestimmten Lebensführung. Plötzlich verschwinden Toms Allergien und seine Angst vor Regen nimmt ab. Er erkennt, dass die allzu sorgsame Erziehung seiner Mutter ihm die Luft zum Atmen genommen hat und „befreit“ folgerichtig seinen kleinen Bruder aus dem Bunker, der nunmehr ein Sinnbild für die ganze familiäre Situation geworden ist. Und als die Mutter am Ende von ihrem eigenen Sicherheitswahn eingeholt wird (wobei der Film mehr als ein wenig übertreibt), steht Tom als (fast) ganz normaler junger Erwachsener da.

    Interessant wird der Film im zweiten Drittel vor allem, wenn die Familie Schuhmann-Weil von Fernsehsendern interviewt und bei ihrem Kampf gegen die Versicherungen begleitet wird. Das ist nicht nur lustig und – sieht man Toms Reaktionen – tragisch zugleich, sondern außerdem eine schön anzusehende Mediensatire. Oliver Jahn hätte sich mehr auf diese satirischen Elemente stützen und die typische Coming-Of-Age-Geschichte stärker im Hintergrund belassen sollen. Denn auch die satirische Abrechnung mit dem gegenwärtigen Öko-Wahn ist durchaus gelungen (bestimmt jedoch nur den ersten Teil des Films wesentlich). Mehr oder weniger gelungen changiert Jahn also zwischen verschiedenen Themenkomplexen: Erwachsenwerden, Mutter-Sohn-Beziehung, Liebe, Freundschaft und Gesellschaftssatire. Man merkt dem Film an, dass hier der Versuch unternommen wurde, möglichst viele gute Ideen in ein Drehbuch zu rühren und auf möglichst vielen Ebenen gleichzeitig zu arbeiten. Das ist allerdings nur ansatzweise gelungen.

    Durchweg überzeugend agieren die Darsteller. Eike Weinreich als Tom liefert eine herausragende Leistung ab; mit viel Gefühl für kleine Nuancen porträtiert er seine Figur und gestaltet diese trotz der teilweise sehr abgehobenen Macken glaubhaft. Es gelingt eben nicht jedem Schauspieler, schief singend mit Regenschirm bei Sonnenschein nicht lächerlich zu wirken. Daneben gefallen Katharina Schüttler (Das weiße Rauschen, Die innere Sicherheit) als Toms Freundin und dessen Eltern, gespielt von Karoline Eichorn (Du bist nicht allein) und Peer Martiny (Die fetten Jahre sind vorbei).

    Fazit: Es gelingt Oliver Jahn in seinem Erstlingswerk „Die Eisbombe“ nicht, über die gesamte Laufzeit Eigenständigkeit zu beweisen. Nach einem originellen Auftakt verbarrikadiert sich der Film hinter einer allzu typischen Dramaturgie und verspielt so einen Großteil seines Kapitals. Es ist vor allem den Darstellern und einigen schönen satirischen Ideen zu verdanken, dass „Die Eisbombe“ dennoch kein völliger Reinfall geworden ist.

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