Fatih Akin ist allein schon aufgrund seiner deutsch-türkischen Abstammung ein Wanderer und Vermittler zwischen den Kulturen. Doch auch zwischen den Genres wechselt der Hamburger Kultregisseur wie kaum ein zweiter heimischer Filmemacher mit ungeheurer Leichtigkeit und Präzision hin und her – vom Milieufilm (Kurz und schmerzlos) zur Road-Movie-Komödie (Im Juli), vom tonnenschweren Drama (Gegen die Wand) zur locker-leichten Feel-Good-Comedy, wo Akin mit seinem liebevollen Gagfeuerwerk „Soul Kitchen“ nun angekommen ist. Beim Festival in Venedig war der Film für den Goldenen Löwen nominiert und wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Zwar weist der „Heimatfilm“ (O-Ton Akin) nach einem überragenden Einstieg in der zweiten Hälfte kleine Schwächen auf, aber dafür sind die Dialoge durchgehend zum Niederknien, so dass diese Juryentscheidung durchaus nachvollziehbar ist.
Der Deutsch-Grieche Zinos (Adam Bousdoukos) schlägt sich als Besitzer eines schäbig-schicken Restaurants im Hamburger Problemstadtteil Wilhelmsburg durch. Das Essen ist zwar mies, aber dabei so bodenständig, dass sich sein proletarisches Klientel nicht daran stört. Als Freundin Nadine (Pheline Roggan) ihre beruflichen Träume als Auslandskorrespondentin in Shanghai verwirklicht, gerät Zinos in einen schweren Gewissenskonflikt, weil er ihr folgen will, aber nicht kann. Sein Laden steht sowieso kurz vor dem Abgrund und die Situation verschärft sich noch weiter, als er einen Bandscheibenvorfall erleidet und sich kaum mehr bewegen kann. An Löffelschwingen ist jedenfalls nicht mehr zu denken. Zinos heuert den frisch gefeuerten Koch-Exzentriker Shayn (Birol Ünel) an, um sein Restaurant vor dem Ruin zu retten. Doch der Großmeister weigert sich, Zinos‘ Fraß zu kochen und setzt stattdessen kulinarisch wertvolle Kost auf die Speisekarte. Am Anfang noch mit wenig Erfolg. Dazu hat Zinos plötzlich auch noch seinen Bruder Illias (Moritz Bleibtreu) am Hals. Als Freigänger darf dieser nur am Wochenende aus dem Knast, es sei denn, er findet einen Job. Deshalb soll Zinos ihn anstellen – wenn auch nur auf dem Papier, denn richtige Arbeit ist nicht so das Ding des notorischen Glücksspielers. Als Ausweg aus der Misere bietet sich Zinos‘ alter Schulkamerad Neumann (Wotan Wilke Möhring) an. Der ist scharf auf das Restaurant und würde einen anständigen Preis für den Laden bezahlen. Doch irgendetwas ist faul an dem schleimigen Immobilieninvestor…
Was Regisseur Fatih Akin in der ersten Stunde seines „Soul Kitchen“ abzieht, ist schlichtweg eine Wucht. Sein Stammsujet - das deutsch-türkische Milieu - erweitert der gebürtige Hamburger um die zentrale Komponente der griechischen Migranten, die er schon in seinem Debüt „Kurz und schmerzlos“ gestreift hatte – und das mit so sicherer Hand, als wäre Griechenland seine dritte Heimat. Der Film funktioniert dank einer haargenau getroffenen Atmosphäre, in der Gags im Minutentakt generiert werden. Die Figuren sind skurril und spleenig, beweisen dabei aber zugleich auch genügend Bodenhaftung, um eventuelle Überschreitungen ins Land der Märchen mühelos zu kompensieren.
Erst als Akin diesen Pfad zugunsten durchsichtiger Wendungen verlässt, schleicht sich im Mittelteil ein kleiner Durchhänger ein, weil die Charaktere drohen, ihre Verortung im Hier und Jetzt zu verlieren - das gilt auch für die bis dahin sauber gezeichnete Liebesgeschichte zwischen Adam Bousdoukos und Pheline Roggan (Die Glücklichen). Der Zuschauer kann sich ab hier ziemlich genau ausmalen, was als nächstes kommt. Eingeleitet wird dieser konventionellere Part durch eine orgiastische Sequenz, in der Chefkoch Shayn den Gästen stark aphrodisierende Baumwurzeln ins Essen mischt. Hier rutscht die Komödie kurzzeitig in Comic-Relief-Regionen ab. Doch lustig ist das immer noch und die Witze werden auch kaum weniger, selbst wenn Akin sein zuvor wunderbar austarierter Film stilistisch kurzzeitig etwas aus der Hand gleitet.
Akin besetzt zwar immer wieder seine Lieblingsschauspieler wie Moritz Bleibtreu (Der Baader Meinhof Komplex, Lammbock) oder Birol Ünel („Gegen die Wand“, „Todesspiel“), macht aber nicht den Fehler, seinem Publikum frische Gesichter vorzuenthalten. Hauptdarsteller Adam Bousdoukos („Kurz und schmerzlos“, Kebab Connection), der mit Akin gemeinsam auch das Drehbuch schrieb, stemmt seine nicht ganz einfache Aufgabe als Leading Man mit Bravour. Der deutsch-griechische Jim-Morrison-Lookalike aus Hamburg leistet als Sympathieträger tadellose Arbeit und bringt die Zuschauer sofort hinter sich. Der Gastronom und Schauspieler besaß tatsächlich zehn Jahre eine Taverne und diente seiner Figur selbst als Vorbild. Wenn es jedoch darum geht, dem Affen ordentlich Zucker zu geben, treten andere auf den Plan… etwa in Person von Moritz Bleibtreu und Birol Ünel. Beide frönen mit Wollust dem gepflegt kalkulierten Overacting und landen damit einen Gag nach dem anderen. Bleibtreu war seinem Abdul aus „Knockin‘ On Heavens Door“ mit der Darstellung des chaotisch-charmanten Knastis Illias nie näher und auch das Griechisch bereitet ihm keine Mühe. Das passt einfach, weil Bleibtreu sich ohne Rücksicht auf bleibende Schäden voll reinhängt. Eine Steigerung in Sachen Exzentrik ist dennoch drin. Ünel gibt gehörig Gas und reizt sein Charisma bis an den Rand der Karikatur aus. Großartig. Wenn Shayn seine Kochkunst gegen die bösen Mächte (sprich: die Kunden) verteidigt, ist das ganz großes Tennis. Angelehnt an die Mechanismen des Kung-Fu-Films agiert Shayn als Meister für den Novizen Zinos, was in einer Rocky-ähnlichen „Trainingssequenz“ mündet.
Die Nebenfiguren leisten ebenfalls ihren Dienst, wenn auch der große Glanz fehlt. „Lammbock“-Star Lucas Gregorowicz (Das Wunder von Bern, Chiko) ist in seiner Rolle als rockender Kellner Lutz zwar etwas verschenkt, dafür trumpft Newcomerin Anna Bederke als schlagfertige Bedienung Lucia voll auf. Wotan Wilke Möhring (Antikörper, Männerherzen) wird vom Drehbuch wiederum mit mehr Klischees bedacht, als ihm lieb sein kann. Trotzdem wirft er mit seiner extrovertierten Vorstellung genügend ins Rennen, um zumindest einen lupenreinen, durch und durch verabscheuungswürdigen Kotzbrocken abzugeben.
Wenn Fatih Akin einen Film dreht, drängeln sich die großen Namen. Das ist gut, aber nicht immer nur förderlich. Während einige der Gastautritte wie der von Hamburg-Ikone Jan Fedder (Das Boot, „Großstadtrevier“) als Lebensmittelkontrolleur zum Brüllen komisch sind, vermitteln andere Camoes den Eindruck, dass Akin das Mitwirken der Stars wichtiger war als ihre Funktion für die Geschichte. Ob nun Peter Lohmeyer („Das Wunder von Bern“), Udo Kier (Armageddon, Lulu und Jimi) oder Monica Bleibtreu (Tannöd, Vier Minuten) in einer ihren letzten Rollen - die Auftritte sind für sich alle überzeugend, lenken aber gelegentlich vom Wesentlichen ab.
Fazit: Fernab der Sozial-Komödie landet Fatih Akin mit seiner luftigen Fingerübung „Soul Kitchen“ einen weiteren Treffer und untermauert seinen Status als einer der vielseitigsten und besten Filmemacher Deutschlands. Trotz kleinen Unebenheiten in der zweiten Spielhälfte glänzt sein atmosphärischer Schenkelklopfer als perfekt geschmierte Gagmaschine, deren Handlung trotz Milieuunterbau nicht allzu ernst genommen werden sollte.