Auch wenn es zahlreichen anderen Reggae-Größen gegenüber unfair erscheint, muss man festhalten: Es war vor allem der 1945 geborene Ausnahmemusiker Bob Marley, der den Reggae gleichsam im Alleingang hinaus in die Welt trug und auf den sich schon damals alle einigen konnten. Ob man in Marley nun den verstrubbelten Kiffer mit dem seligen Lächeln, den von einer besseren Welt träumenden Hippie mit den eingängigen Melodien oder den zornigen Streiter für Gleichheit und Gerechtigkeit sehen mag – Marley ist Legende und gehört zweifellos zu den popkulturellen Wellenbrechern des 20. Jahrhunderts. Zwar gibt es schon so manche Dokumentation über den Godfather des Reggae, aber ein Jahr nach seinem starken Festival-Beitrag „Life in a Day" will Kevin MacDonald („Der letzte König von Schottland") mit „Marley" auf der Berlinale 2012 nun das Standardwerk zum Thema liefern. Eine Kinodoku für die Ewigkeit ist ihm dabei zwar nicht gelungen, dafür ist „Marley" zu unkritisch. Sehenswert ist der unterhaltsame Film trotzdem, und das nicht nur für Reggae-Fans.
Wer Musiker-Biopics kennt, wird auch bei „Marley" schnell vertraute Genre-Mechanismen erkennen – und das ist durchaus als Stärke des Films zu verstehen. Ohne erzählerisches Neuland zu betreten, macht.MacDonald mit seiner übersichtlichen Darstellung eines außergewöhnlichen Lebens dennoch einen guten Job. Seine entspannte Biografie ist streng chronologisch gegliedert. Mit einem großen Aufgebot an teils unveröffentlichtem Archivmaterial lässt er die Geschichte des rastagelockten Barden Revue passieren. Dabei wird selbstverständlich ausgiebiger, nie aber penetranter Gebrauch von allen großen Marley-Hits gemacht. Derweil kommen Familienmitglieder, Bandkollegen, Manager und seine zahlreichen weiblichen Gespielinnen zu Wort. Auch der 1981 verstorbene Meister selbst ist in zahlreichen Interviews präsent.
Wenn seine Kindheit auf dem Land und die entbehrungsreiche Jugend in den Ghettos von Kingston behandelt werden, ertönt passenderweise „Trench Town Rock". Wenn seine Konvertierung hin zum Rastafari-Glauben besprochen wird, erklingt „Natty Dread" und wenn sein politischer Sonderstatus in Jamaika in den unruhigen 70ern thematisiert wird, spielt McDonald das flehende „One Love" ein; schließlich darf beim langsamen und schmerzhaften Sterben des todkranken Marley auch der „Redemption Song" nicht fehlen. Mit treibenden Rhythmen und druckvoller Montage hält MacDonald über weite Strecken ein angenehm zügiges Tempo. Hier und da hätte eine Entschleunigung jedoch gut getan. So werden manche interessanten Aspekte nur flüchtig angetippt, die gerne auch kritischer hätte beleuchtet werden dürfen.
Die Trennung von frühen Bandmitgliedern wie Peter Tosh zugunsten des musikalischen Durchbruchs wird ebenso schnell abgefrühstückt wie Marleys notorische Untreue und politische Blauäugigkeit. Wer hofft, dass McDonald dem Phänomen Marley tief auf den Grund geht, wird enttäuscht – Tonfall und Gewichtung der vielen Statements bleiben verklärender Natur. Immerzu wird hier vom guten alten Bob und seinen Heldentaten geschwärmt. Über seine kleineren und größeren Verfehlungen ist – so der Tenor aller Beteiligten – ohnehin Gras(!) gewachsen und überhaupt: Wer könnte dem alten Charmebolzen schon etwas übelnehmen? Mit dieser Tendenz zur Oberflächlichkeit muss man sich hier leider schlichtweg abfinden.
Fazit: Fans des Reggae-Helden werden sich „Marley" ohnehin nicht entgehen lassen – und wer sein Marley-Wissen mit Kevin MacDonalds fast zweieinhalbstündiger Hommage aufbessern will, wird aufgrund der unkritischen Aufbereitung möglicherweise danach einer sein.