Mein Konto
    Our Beloved Month of August
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Our Beloved Month of August
    Von Sascha Westphal

    Wirklich reibungslos ist bisher nichts bei den Dreharbeiten zu „Our Beloved Month of August", Miguel Gomes' zweitem Langfilm, gelaufen. Der Ärger begann schon, als sein aus Lissabon angereister Produzent im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus fiel und so eine Domino-Kettenreaktion auslöste, die Gomes' Pläne für die Titelsequenz ruinierte. Doch nun sehen sich der Regisseur und sein Team mit etwas geradezu Unerklärlichem konfrontiert. Auf fast allen Tonaufnahmen findet sich neben den natürlichen atmosphärischen Geräuschen auch noch Musik, die an den Drehorten gar nicht zu hören war. In einem Bergwald kommt es so zum Streit zwischen Gomes und seinem Tonmann Vasco Pimentel. Der Filmemacher wirft ihm Manipulation vor und will nichts hören als die Geräusche des Waldes hören. Pimentel hingegen besteht darauf, dass die Musik Teil des Waldes ist - und er sie auch hören kann. Diese irrwitzige Szene verrät viel über Gomes' Kino und sein auf der Grenze zwischen Dokumentation, Filmessay und Melodrama balancierendes Meisterwerk: Die Wirklichkeit ist mehr als die Summe dessen, was der Mensch mit seinen Sinnen wahrnimmt - sie ist etwas durch und durch Magisches, das nur die Kunst in seiner Gänze erfassen kann.

    Natürlich gibt es ein fertiges Drehbuch. Das ist sogar ziemlich umfangreich und zudem extrem detailliert in der Beschreibung seiner Figuren. Ansonsten hätte Miguel Gomes auch gar keine Geldgeber gefunden. Nur will er nicht mit professionellen Schauspielern arbeiten. Er sehnt sich vielmehr nach Menschen, denen diese Rollen wie auf den Leib geschrieben sind. Also ist er zusammen mit einem kleinen Team nach Arganil, einer Kleinstadt in den Bergen Zentral-Portugals, aufgebrochen, um dort einen Sommer lang zu suchen und zu filmen. Zunächst lässt Gomes sich einfach nur treiben, von einem Dorf zum nächsten. Sommerfest folgt auf Sommerfest, und jedes Mal treten Bands aus der Region auf. Der Filmemacher beobachtet die meist unter sich bleibenden Menschen in diesen kleinen, über die Wälder und Berge verstreuten Siedlungen beim Tanzen und beim Wildschwein-Jagen, lässt sich ihre Geschichten erzählen und von ihrer Musik verzaubern. Irgendwann, beinahe unmerklich, beginnen dann die Dreharbeiten zu einer fiebrigen Dreiecksgeschichte mit inzestuösen Untertönen.

    Mittlerweile ist es fast eine Selbstverständlichkeit, dass Filmemacher die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktiven immer weiter verwischen. Die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne ("Wie in der Hölle", "Lornas Schweigen") und Bruno Dumont („La Vie de Jésus", „L'humanité") haben diesen Trend in den 90er Jahren etabliert und nun in Regisseuren wie Tizza Covi und Rainer Frimmel ("La Pivellina") Schüler gefunden, die den Weg ihrer Lehrer überaus konsequent weitergehen. Bis zu einem gewissen Grad gehört auch Miguel Gomes dieser Bewegung des Weltkinos an. Allerdings hat er mit „Our Beloved Month of August" noch einmal eine ganz andere Abzweigung gewählt. Während die Dardennes und die anderen ihre fiktionalen Geschichten in einem beinahe dokumentarischen Stil erzählen, der sie fest in der gesellschaftlichen Wirklichkeit unserer Zeit verankern soll, vermischt Gomes diese Formen so lange, bis sie mit dem bloßen Auge nicht mehr unterscheidbar sind. Zudem erweitert er den Blick noch durch eine Meta-Perspektive, die den Prozess des Filmemachens selbst thematisiert.

    Es ist nahezu unmöglich zu sagen, wann „Our Beloved Month of August" aus dem beinahe rein Dokumentarischen ins Fiktive wechselt. Im Lauf der zweieinhalb Stunden, die diese wundervolle hochsommerliche Trägheit verströmen, die so typisch für diese Jahreszeit in Südeuropa ist, gleitet der Film langsam von einem ins andere über. Die Dokumentaraufnahmen von abendlichen Festen und gemeinsamen Jagden, vom Schwimmen im Fluss und von den jungen Frauen, die stundenlang Wache halten und nach Waldbränden ausschauen, sind Dokumente der Suche und Annäherung an Menschen, die Fremden erst einmal distanziert und skeptisch begegnen. Sie beschreiben die Entstehung einer Fiktion, die aber ohne die Wirklichkeit, aus der sie nach und nach erwächst, gar nicht funktionieren könnte. Zugleich verweisen sie aber auch auf Mechanismen, die bei der Entstehung eines jeden Spielfilms greifen. Dieser seltsame, mit Worten und Beschreibungen letztlich nie ganz zu fassende Prozess, in dessen Verlauf eben nicht nur ein Film Gestalt annimmt, sondern sich im Idealfall nach und nach ein großes, die Zeiten überdauerndes Kunstwerk entwickelt, wird in Gomes' Bildern und in deren magisch anmutender Montage transparent.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top