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    Tropa de Elite
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tropa de Elite
    Von Alex Todorov

    Zum Leidwesen der zahlreichen brasilianischen Filme, die das Elend und die sozialen Konflikte der Favelas porträtieren, werden sie stets an Fernando Meirelles erschreckendem Meilenstein City Of God gemessen. Auch José Padilhas Debütspielfilm kann sich diesem Vergleich nicht entziehen. Doch während Meirelles die Perspektive der Kriminellen bediente und anhand zweier unterschiedlicher Freunde eine Spirale aus Macht, Drogen und Gewalt schilderte, ergründet „Tropa De Elite“ die Konflikte aus dem Blickwinkel der Polizei - und offenbart dabei dieselben Mechanismen und Triebfedern aus maßloser Angst, Gewalt, Selbstherrlichkeit und Machtgeilheit. In rasanten, quasi-dokumentarischen Bildern nimmt Padilha den Zuschauer mit auf eine schonungslose Achterbahnfahrt aus Brutalität, Folter und Korruption, ohne auch nur einen Hauch von Erlösung zu offerieren. So schneidet der umstrittene Berlinale-Sieger von 2008 im Vergleich mit City Of God letztlich gar nicht mal so schlecht ab.

    Rio De Janeiro: Nacht für Nacht rücken die Männer der BOPE, einer paramilitärischen Spezialeinheit, im Kampf gegen Drogen und Mord in die von Gangs beherrschten Favelas aus. Sie kommen immer dann ins Spiel, wenn die Polizei nicht mehr weiter weiß. Captain Nascimento (Wagner Moura) ist Chef eines Bataillons der BOPE und stößt immer öfter an seine Grenzen: Schweißausbrüche und Angstattacken machen ihm die sowieso schon lebensgefährlichen und blutigen Einsätze zur Hölle. Darüber hinaus drängt ihn seine schwangere Freundin, den Job an den Nagel hängen. Er willigt ein, doch muss er erst einen Nachfolger für seine Position finden. Der Kreis engt sich auf die beiden Polizisten und Jugendfreunde Matias (André Ramiro) und Neto (Caio Junqueira) ein. Doch während die idealistischen Neuen in einem knallharten Aussiebungsverfahren auf die Probe gestellt werden, geraten sie im Angesicht polizeilicher Korruption, fragwürdiger Arbeitspraktiken und argwöhnischer Kollegen zwangläufig selbst in moralische und gesetzliche Grauzonen…

    „Nichts gegen eine kleine Schießerei, solange es die Richtigen trifft“ war erst kürzlich das Leitmotiv des unterdurchschnittlichen Cop-Thrillers Kurzer Prozess – Righteous Kill mit Robert De Niro und Al Pacino. Dieses Credo ist wiederum eine Anleihe an Eastwoods Dirty Harry-Reihe und zahlreiche Charles-Bronson-Streifen, die allesamt eine „Erst schießen, dann fragen“-Politik suggerierten. Zwar verfährt die BOPE-Einheit nach einem ähnlichen Modus operandi, aber im Gegensatz zu den eben Genannten frappiert Padilhas knallharte polizeiliche Milieustudie mit einem authentischen Ansatz sowie einem realen Umfeld. Das Drehbuch, das unter anderem auf den Erlebnissen eines ehemaligen BOPE-Mitglieds basiert, musste sich wiederholt dem Vorwurf aussetzen, faschistoides Gedankengut zu transportieren und Faszination fürs Militär zu schüren. Eine reichlich absurde und allzu kurz gedachte Lesart, zählt der Überraschungssieger des Goldenen Bären der Berlinale 2008 doch zu jenen Werken, die eine Höllenkluft offenbaren zwischen dem, was sie zeigen, und dem, was sie vermitteln möchten.

    Im Fokus steht ein hermetisches System aus Verdorbenheit, Korruption und Angst, in dem Gangster und Staatsgewalt sich gegenseitig zu neuen Dimensionen der Eskalation hochschaukeln. Der BOPE-Chef Nascimento erzählt die Handlung retrospektiv aus dem Off. Dass er sich im Verlauf des Films zunehmend als selbstgerechter und cholerischer Charakter mit einem Hang zum Narzissmus entlarvt, betont zum einen, dass Nascimento nicht zum Identifikationsstifter taugt, zum anderen pointiert es die extreme Drucksituation, in der jeden Tag ein Stück Menschlichkeit der Beteiligten verendet. Schonungslose Gewaltdarstellungen, die bis ins Knochenmark dringen, veranschaulichen die Verdinglichung des Feindes. Dabei wird die Gewalt nicht zelebriert, sondern als ein so elementarer und alltäglicher Bestandteil der Interaktion gezeigt, dass einem der Kinnladen sinkt: Gewalt als Bewegungsfluss und Reflex.

    Nascimento muss für seine Nachfolge zwischen dem scharfsinnigen Kopfmenschen Matias und dem blutdurstigen Tatmenschen Neto wählen. Wer letztlich auserkoren wird, ist zweitrangig, der Film nutzt dieses Plotgerüst vielmehr zur Bebilderung des polizeilichen Milieus. So entstehen immer wieder Szenen, die parodistisch anmuten, aber bitterernst gemeint sind. Einmal muss sich Matias vor seinem Vorgesetzten dafür rechtfertigen, dass er einen am Strand gefundenen, kugeldurchsiebten Körper als Mord deklariert: Er müsse doch wissen, dass Tote am Strand zu den Ertrunkenen zu rechnen seien. Eine andere Szene beleuchtet, was ein Polizist als „Meat war“ bezeichnet: Um die Mordstatistik zu schönen, werden Leichen schon mal in einem anderen Bezirk abgeladen - natürlich verfrachtet die dortige Polizei den Körper in Regel wieder woanders hin.

    Während Neto mehr als Typ, denn als Charakter agiert, werden Nascimento und Matias gelungen eingeführt, wobei Letzterer der interessantere Charakter ist: André Ramiro gibt mit zurückhaltendem Spiel den steifen, leicht bornierten, stoisch verbissenen Intellektuellen. Wagner Mouras Nascimento changiert hingegen glaubhaft zwischen Amoklauf und Selbstzweifel, unerbittlicher Härte und an ihm nagender Reue. Während eines blutigen Einsatzes teilt ihm seine Frau mit, dass die Geburt ihres Kindes unmittelbar bevor steht. Die Verkündung neuen Lebens inmitten tödlicher Auseinandersetzungen ist nur eines von vielen zynisch anmutenden Irrlichtern.

    José Padilha setzte sich schon in seinem Debüt, dem Dokumentarfilm „Bus 174“, mit Polizeigewalt sowie der Stigmatisierung der Unterschicht auseinander und skizzierte ein Schneeballsystem aus Verzweiflung und Gewalt (bezeichnenderweise hieß der Busentführer aus „Bus 174“ auch Nascimento). Auch sein erster Spielfilm ist in einem quasi-dokumentarischem Stil gehalten, der dem Porträtierten gerecht wird. Die hektische Handkamera, die verschwitzten Bilder sowie die harten Schnitte sind dem Chaos angemessen. Leider unterminiert der harte, aufputschende Soundtrack an einigen Stellen den authentischen Impetus. In einem 08/15-Actioner hätte die Musik ihre Berechtigung, doch hier vermittelt sie den Eindruck, dass Padilha sich nicht zwischen Actionfilm und Sozialdrama entscheiden konnte.

    Dass er ein unbestreitbares Gespür für die richtigen Bilder und Einstellungen hat, ist auch Hollywood nicht entgangen, wie seine Verpflichtung für die neueste Robert-Ludlum-Verfilmung („The Sigma Protocol“) zeigt. Während zumeist enge Gassen, Häuser und Hinterhöfe als Schauplätze der Konflikte dienen, öffnet Padilha für ein Schussgefecht einmal den Raum: Beim Anblick dieser Landschaft aus Häuserruinen geht einem auf, dass dies kein Polizeieinsatz ist, sondern ein Krieg. Die finale dramaturgische Verdichtung und Zuspitzung ist nicht neu, aber schlussendlich die einzige Konsequenz aus den vorangegangenen 100 Minuten. Selbst ein Vergleich mit David Finchers Sieben ist nicht zu weit hergeholt, beschreibt die Auflösung doch auch hier Menschen als fremdbestimmtes Produkt ihrer Umwelt.

    Auch wenn „Tropa De Elite“ nicht an die Meisterschaft von Meirelles Favela-Apokalyptiker City Of God heranreicht, ist er durch sein wuchtiges Chaos, seine Rasanz und seine Gewalt ein Schlag in die Magengrube. Was Konflikt- und Charakterzeichnung betrifft, betritt der Film kein Neuland. Sein größtes Verdienst ist vielmehr, keine Lösung zu bieten und sich nicht in Appellen zu verlieren. Padilhas Adrenalin-Testosteron-Gemisch beschreibt Eskalation als Zustand in einem dichten Circulus vitiosus, in dem man, um vermeintlich Gutes zu bewirken, zwingend zu einem Teil des Bösen werden muss.

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