Mein Konto
    Kommissar Bellamy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Kommissar Bellamy
    Von Andreas Staben

    „Kommissar Bellamy“ ist bereits der 57. Film in der inzwischen fünfzigjährigen Karriere von Claude Chabrol („Biester“, „Süßes Gift“, Die zweigeteilte Frau). Aber es ist erstaunlicherweise das erste Mal, dass er mit Gérard Depardieu zusammenarbeitet. Nachdem aus einem gemeinsamen Balzac-Projekt vor einigen Jahren nichts wurde, hat der Regisseur dem Mimen die Titelrolle seines sommerlichen Krimi-Dramas auf den massigen Leib geschrieben, und Depardieu überzeugt tatsächlich wie selten in den vergangenen Jahren. Die späte künstlerische Begegnung dieser beiden Schwergewichte des französischen Kinos erweist sich zudem als ein äußerst persönliches Werk: Ganz im Sinne des Zitats aus W.H. Audens „At Last The Secret Is Out“, das Chabrol dem Zuschauer nach der finalen Wendung ins Tragische mit auf den Weg gibt, versteckt sich hinter der verzwickten Geschichte um Versicherungsbetrug mit Todesfall eine ganz andere Erzählung. Zur Krimihandlung gesellt sich ein Familiendrama und zur Freude am Streuen offensichtlicher Hinweise ein hintergründiges (Selbst-)Porträt von Darsteller und Regisseur.

    Der Pariser Kommissar Paul Bellamy (Gérard Depardieu) verbringt den Sommerurlaub wie gewohnt mit seiner Frau Françoise (Marie Bunel, „Eine Frauensache“, Saint Jacques... Pilgern auf Französisch) im südfranzösischen Nîmes. Als ein Mann mehrere Tage um das Haus des Ehepaars herumschleicht, ehe er es wagt, um eine Unterredung mit Bellamy zu bitten, ist die Neugierde des Polizisten geweckt. Der Fremde (Jacques Gamblin) gibt seinen Namen zunächst als Noël Gentil an und erzählt dem Kommissar, dass er einen Menschen umgebracht habe. Bald klärt sich die wahre Identität des geheimnisvollen Mannes, aber der angeblich von ihm verursachte Todesfall bleibt mysteriös. Während der Polizist bei der freizeitlichen Tätigkeit als Kriminalist Fortschritte erzielt, wird er mehr und mehr von privaten Problemen bedrängt. Sein unsteter Halbbruder Jacques Lebas (Clovis Cornillac) hat sich im Haus der Bellamys einquartiert. Paul wird von Eifersucht und von den Phantomen der Vergangenheit geplagt...

    Zu Beginn des Films sitzt Gérard Depardieu (Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt, 1492, Chanson D'Amour) auf dem Sofa und löst ein Kreuzworträtsel. Nebenher läuft der Fernseher. Das gesuchte Wort ist „bonheur“. Dieser Verweis auf das Glück und die Suche nach ihm könnte wie eine bedeutungsschwangere Wichtigtuerei daherkommen, bei Chabrol und Depardieu ist der ganze Anfang aber ein Ausdruck purer Spiellaune. Der Regisseur lässt dem instinktgesteuerten Darsteller freien Lauf, und er weiß genau, was er tut: Der wunderbar entspannt und dennoch hochkonzentriert wirkende Star, der in fast jeder Szene zu sehen ist, läuft nicht nur bei seiner zweiten Begegnung mit dem Glück (diesmal in Gestalt der Baumarkt-Angestellten Claire Bonheur) zu großer Form auf. Depardieu vollführt unentwegt kleine Bravourstücke: wenn er sich mit seinen 140 Kilogramm schnaufend die Treppenstufen hinaufkämpft oder die Hände auch in der Küche nicht von seiner Frau lassen kann; wenn er als Gast eines Abendessens eine zweite Portion Austern verdrückt oder staunend den zierlichen Schuh der Gattin mit dem eigenen stattlichen Treter vergleicht. Der Schauspieler fügt solche Momente nahtlos in eine Charakterstudie ein, in der er auch Eifersucht, Reizbarkeit und Unsicherheit zum Vorschein kommen lässt.

    Wie beim Widmungsträger Georges Simenon ist in „Kommissar Bellamy“ der Protagonist wichtiger als die Krimihandlung. In die Titelfigur fließen nicht nur Spuren von Maigret, sondern auch Vorlieben und Eigenheiten Depardieus und Chabrols. Der Regisseur gilt seit jeher als Meister des Doppelbödigen, seine Strategie mit ihren Spiegelungen und Gegensatzpaaren hat er aber kaum jemals so offen dargelegt wie in diesem Film. Wie bei den scheinbar klaren Gleichsetzungen der von ihm so geliebten Kreuzworträtsel trägt hier fast jede Figur ihren Charakter im Namen und alles hat sowieso zwei Seiten. Für Chabrol spricht nichts dagegen, die von Vahina Giocante (39,90) gespielte tangotanzende Fußpflegerin mit heißem Blut (sang chaud) direkt Sancho zu nennen, was genauso ausgesprochen wird. Nach gleicher Logik verwandelt sich auch der „hässliche“ Betrüger Leullet in den „netten“ Monsieur Gentil. Jacques Gamblin (Wie in der Hölle, C'est La Vie) lässt diese Figur gekonnt ins Ungreifbare gleiten und so bleibt ihre Deutung der Sichtweise Bellamys überlassen. Dieser erkennt überall Zeichen: Zerwühlte Laken und ein offener Gürtel wecken seine Eifersucht, auch die Wahrnehmung des Krimirätsels wird von Affekten infiziert. So ist es natürlich kein Zufall, dass Jacques Gamblin in den aus Bellamys Perspektive erzählten Rückblenden auch den Obdachlosen Leprince verkörpert. Täter und Opfer werden eins.

    Die zentrale Beziehung in Chabrols Film ist die zwischen Bellamy und seinem Halbbruder mit dem einmal mehr überdeutlichen Namen Jacques Lebas. Der sagt es Paul einmal klar ins Gesicht: „Du hast mich fallen lassen.“ Allerdings kommt diese Komplementärfigur des tief gesunkenen kleinen Bruders nicht über das Schematische hinaus. Der sonst so extrovertierte Clovis Cornillac (Mathilde – Eine große Liebe, Sky Fighters, Paris, Paris) nimmt sich vergleichsweise zurück (erinnert sei als Gegensatz nur an die frühere Paarung mit Depardieu als „Asterix und Obelix“), aber er schafft es mit seinem trotzigen Gestus trotzdem nicht, Jacques Tiefe zu verleihen. Die Figur bleibt ein fast abstrakter Störfaktor im System. Dies ist umso bedauerlicher, da das Chabrol-Universum in der Vergangenheit immer wieder von denkwürdigen Außenseiterfiguren bevölkert wurde, denen spürbar die besondere Sympathie des Cineasten galt, wie etwa zuletzt dem von Sohn des Regisseurs verkörperten Félix in Geheime Staatsaffären. Der Gegensatz zwischen Depardieu und Cornillac droht den von Chabrol und seiner langjährigen Co-Autorin Odile Barski so sorgfältig ausbalancierten Film gelegentlich aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber die daraus erwachsende Irritation hat auch etwas Reizvolles.

    „Kommissar Bellamy“ ist „den zwei Georges“ gewidmet. Neben Simenon ist damit der Chansonnier Georges Brassens gemeint. Ihm wird eine ausgefallene Hommage erwiesen, wenn ein Anwalt vor Gericht das Lied „Quand les cons sont braves“ als gesungenes Plädoyer vorträgt. Diese Sequenz ist nicht nur eine stimmungsvolle Miniatur über die zwiespältige Natur des Menschen, sondern auch Ausdruck der Freiheit, mit der Chabrol seine Vision umsetzt: Die Maskenspiele des Regisseurs waren selten persönlicher geprägt als hier. In seinem Hauptdarsteller findet der Filmemacher zudem einen Bruder im Geiste. Zusammen machen sie aus „Kommissar Bellamy“ Star- und Autorenkino im besten Sinne.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top