Die Praxis, beliebte Fernsehserien nach deren Auslaufen im Kino fortzusetzen, hat sich über die Jahrzehnte in Hollywood etabliert. Bei „Akte X“, der kultigen Mystery-Serie schlechthin, liegt der Fall jedoch ein bisschen anders. Der erste Kinoausflug, Akte X – Der Film, diente 1998 als unverzichtbare Verbindung zwischen der fünften und sechsten von insgesamt neun TV-Staffeln, überzeugte aber trotz dieser speziellen Ausrichtung sowohl qualitativ wie an der Kinokasse. Doch nachdem sich das Serienkonzept über die Jahre (1993 bis 2002) tot gelaufen hatte und Hauptdarsteller David Duchovny zum Ende hin von Robert Patrick ersetzt wurde, herrschte lange Zeit Funkstille. Mit „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ greift Schöpfer Chris Carter nun auf dem Regiestuhl noch einmal im Kino an und will damit neben den alten Fans vor allem jüngere Zuschauer ansprechen, die die Serie noch gar nicht kennen. Und so funktioniert sein düsterer Mystery-Thriller auch ohne Vorkenntnisse – jedoch zu dem hohen Preis, dass „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ zwar optisch sehr wohl Kinoformat hat, aber inhaltlich nicht über den Standard einer TV-Folge hinauskommt und zudem elementare Erfolgszutaten der Vorlage vermissen lässt.
FBI-Agentin Dakota Whitney (Amanda Peet) gerät bei einem Fall in arge Bedrängnis. Agentin Monica Bannan (Xantha Radley) ist entführt und möglicherweise getötet worden. Der als pädophil gebrandmarkte Pater Joseph Crissman (Billy Connolly) führt die Ermittler in die winterliche Ödnis des US-Hinterlands und auf eine heiße Spur. Die Crux: Geheimnisvolle Visionen zeigen ihm den Weg, sorgen zugleich aber auch für Misstrauen bei den Bundesbehörden. Gegen den Willen ihres Partners Mosley Drummy (Alvin „Xzibit“ Joiner) greift Whitney zu einem letzten Strohhalm und versucht über Ex-Agentin Dana Scully (Gillian Anderson), die mittlerweile als Ärztin in einem katholischen Krankenhaus arbeitet, an Fox Mulder (David Duchovny) heranzukommen. Der Spezialist für Übersinnliches ist sechs Jahre nach seinem unglücklichen Ausscheiden beim FBI untergetaucht. Obwohl die Trennung schmutzig verlief, will das Bureau alle Vorwürfe gegen ihn fallen lassen, um nun seine Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Nach kurzem Zögern willigt Mulder ein und findet schnell einen Draht zu Pater Crissman, während Scully sich zunächst dagegen sperrt, an dem Wettlauf gegen die Zeit mitzuwirken. Als eine zweite Frau (Nicki Aycox) verschwindet, spitzt sich die Lage weiter zu…
Ist ein zweiter „Akte X“-Kinofilm wirklich notwendig? Ist nicht bereits in neun Jahren TV-Präsenz und einem Leinwandabenteuer alles erzählt und gesagt? Eigentlich schon. Und trotzdem hat „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ eine gewisse Daseinsberechtigung, weil er auf die beiden alles dominierenden Hauptcharaktere Scully und Mulder ein neues Licht wirft. Wie in der Wirklichkeit sind auch im zweiten Kinofilm sechs Jahre seit den Geschehnissen des Serienfinals vergangen. Auch wenn die beiden Ex-Agenten im Kern immer noch dieselben sind, haben sie sich doch verändert. Scully will die emotionale Düsternis ihrer FBI-Zeit für immer hinter sich lassen, während Mulder (zu Beginn mit rauschendem Vollbart) zwar verbittert über sein würdeloses Aus ist, aber den Glauben an das Übernatürliche dennoch nicht aufgegeben hat und relativ fix wieder von der Arbeit infiziert wird. Ein zweiter wichtiger Nebenaspekt ist die direkte, persönliche Beziehung zwischen Scully und Mulder, deren Tiefe permanent ausgelotet wird - wie praktisch in der gesamten gemeinsamen Serienzeit.
Als großer Schwachpunkt stellt sich jedoch die Haupthandlung heraus – und zwar auf mehreren Ebenen. Wer hinter den Entführungen steckt und was mit den Opfern geschieht, lässt sich relativ früh antizipieren. Das hemmt das Spannungsmoment erheblich, selbst wenn der Film von Chris Carter ausgesprochen sauber und elegant inszeniert ist. Besonders in einigen clever montierten Sequenzen, in denen zwei Szenarien zusammenlaufen, blitzt das feine Händchen Carters auf. Das beschert „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ optisch Kinoformat, das über jeden Zweifel erhaben ist. Aber warum der Mastermind – ganz im Gegenteil zum ersten Teil - auf eine arg abgespeckte Version des „Akte X“-Mikrokosmos setzt, bleibt völlig rätselhaft. Natürlich gab es auch in der Serie nicht wenige Folgen, in denen das übernatürliche Element nur spärlich eingesetzt wurde, aber da „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ als Eventfilm konzipiert ist, der im Sommer in den USA gegen die großen potenziellen Blockbuster der Saison antritt, enttäuscht die unspektakuläre Story nachhaltig. Wer dies noch verschmerzen kann, wird sich allerdings noch über das komplette Fehlen von rassigen Verschwörungstheorien, einem der prägnantesten Markenzeichen der Serie, ärgern. Auch personell ist die gute alte Zeit - bis auf ein Cameo von FBI-Director Skinner (Mitch Pileggi) - kaum vertreten.
In Sachen Atmosphäre kann „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ durchaus überzeugen. Chris Carter entwirft eine düstere Welt, in der Scully und Mulder versuchen, ihren neuen Platz zu finden. Kameramann Bill Roe (Elektra) leistet gute Arbeit, indem er die Kälte der Winterlandschaft in ebenso kühlen Bildern auf die Leinwand überträgt, wobei der Moll-lastige Score für weiteren Bitterstoff sorgt. Ebenso gefallen die kleineren Gimmicks, die sich in Details offenbaren. Zum Beispiel, wenn Fox Mulder bei einem Blick auf Wandfotos von US-Präsident George W. Bush und dem berühmt-berüchtigten FBI-Chef J. Edgar Hoover seine ganze Verachtung für das System, für das die beiden stehen, zum Ausdruck bringt.
Eine Bank sind selbstverständlich weiterhin David Duchovny (Evolution, Things We Lost In The Fire) und Gillian Anderson (Der letzte König von Schottland, Straightheads), die in den Rollen ihres Lebens auch nach der Neuausrichtung ihrer Charaktere immer den richtigen Ton treffen und dementsprechend glaubhaft rüberkommen. Die Nebendarstellerriege agiert solide. Amanda Peet (Igby, Identität, Was das Herz begehrt) dient als Verbindung zum FBI, während Rapper Alvin „Xzibit“ Joiner (Spiel auf Bewährung, Entgleist) als interner Konterpart fungiert, aber blass bleibt. Billy Connolly (Der blutige Pfad Gottes, Timeline, Last Samurai) hat da schon deutlich mehr Profil zu bieten und gibt seiner Figur (im Brent-Spiner-Gedächtnis-Look aus Independence Day) mehr Reibungsfläche. Sein Pater Crissman ist quasi das letzte Mystery-Überbleibsel, an dem sich übersinnliche Spekulationen festmachen lassen.
Fazit: „Akte X – Jenseits der Wahrheit“ ist ein düsterer Fall aus dem „X-Files“-Universum, der zwar dank routinierter Darsteller und einer elegant-ruhigen Inszenierung gefällt, aber viel zu konventionell und unspektakulär gerät, um als großes Kinoereignis Gehör zu finden.
Tipp: Der Abspann ist nicht nur visuell äußerst stilvoll und gelungen, sondern bietet ganz am Ende auch noch ein „kleines Extra“, das „Akte X“-Fans nicht verpassen sollten.