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    Nichts als Gespenster
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Nichts als Gespenster
    Von Daniela Leistikow

    Buchverfilmungen haben Hochkonjunktur: Auf der Frankfurter Buchmesse liefern sich jedes Jahr unzählige Scouts ein Formel-1-reifes Rennen um die Filmrechte der vorgestellten Werke. Da ist es schon etwas Besonderes, wenn Regisseur Martin Gypkens („Wir“) selbst eine Erzählung entdeckt, die er verfilmen möchte – so geschehen bei seinem Episodenfilm „Nichts als Gespenster“, der auf Geschichten von Judith Hermann basiert: „Die Idee ließ mich nicht mehr los, (...) und wir erkundigten uns, ob die Filmrechte überhaupt noch zu haben waren. Es stellte sich heraus: Das zweite Buch war tatsächlich noch frei, während das erste Buch bereits optioniert war – außer der Karibik-Geschichte, die wir brauchten! Das war für mich ein Zeichen: Diese Erzählungen sollten offenbar mein nächstes Filmprojekt werden.“ Aus einem Wink des Schicksals wurde ein Film, der die ewige Reise des Menschen auf der Suche nach Liebe und Leben in wundervollen Bildern auf die große Leinwand bringt.

    Fünf Episoden, fünf Länder, irgendwann im hier und jetzt: Ellen (Maria Simon, Good Bye, Lenin!) und Felix (August Diehl, Was nützt die Liebe in Gedanken) sind auf einem Trip durch die USA, doch ihre ganz persönliche Reise scheint sich ihrem Ende zu nähern - das Pärchen hat sich kaum noch etwas zu sagen. Caro (Karina Plachetka, „Die Spielwütigen“) hingegen hat sich gerade in Raoul (Stipe Erceg, Die fetten Jahre sind vorbei) verliebt – den Schwarm ihrer besten Freundin Ruth (Chiara Schoras, „Vaya con Dios“), die in der deutschen Provinz am Theater arbeitet. Die Komplikationen der Liebe hat Nora (Jessica Schwarz, Der rote Kakadu), die ihren Ex-Freund Kasper (Janek Rieke, Lichter) auf Jamaika besucht, fast hinter sich gelassen. Ihre Freundin Christine (Brigitte Hobmeier, Winterreise) flirtet während dessen mit einem bereits vergebenen Mann. Auch in Island fliegen die Funken, als sich Jonina (Sólveig Arnarsdóttir, „September“) und Jonas (Wotan Wilke Möhring, Das Experiment) begegnen. Während sie in einer lieblosen Beziehung fest hängt, hat er sich gerade getrennt. Die letzte Trennung ist für Single Marion (Fritzi Haberlandt, Liegen lernen) weniger ein Thema, als für ihre aufdringlich-dominante Mutter (Christine Schorn, Good Bye, Lenin!). Marions Besuch bei den Eltern, die gerade in Venedig sind, wird zu einer Zerreißprobe mit tragischen Folgen...

    Die rosa Neonleuchte „Liebe“ ist in „Nichts als Gespenster“ immer sichtbar: Ob nun direkt über den Köpfen der Figuren, oder in weiter Ferne gerückt - sie ist das Ziel der Charaktere auf ihren Reisen durch die Welt und gleichzeitig in ihr Inneres. Dieses komplizierte Thema, das die Geschichten in „Nichts als Gespenster“ miteinander verknüpft, wird abwechslungsreich inszeniert und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet. So kommt zwar niemals Langeweile auf, doch es fehlt an erzählerischer Dramaturgie: Während die meisten Geschichten einen Spannungsbogen aufbauen, sind die Storys in Gypkens Film eher mit einer geraden Linie zu vergleichen, die Raum für Interpretation lässt. Diese kreative Stärke des Films ist jedoch zugleich eine Schwäche: Wo der eine Zuschauer die Offenheit der Geschichte loben wird, könnte dem anderen der ultimative Abschluss fehlen.

    „Nichts als Gespenster“ ist ein filmischer Beweis dafür, wie wichtig es ist, an Originalschauplätzen zu drehen: Das Licht in den USA unterscheidet sich von dem in Island so fundamental, das auf der Leinwand ein wunderbarer Kontrast entsteht – nicht nur zwischen den Geschichten, sondern auch zwischen den Schauplätzen. Die Verknüpfung von Visuellem und Erzählerischem ist insgesamt sehr gelungen. Die Schönheit der Landschaften an den fünf Drehorten ist mit Liebe zum Detail eingefangen wurden. Dazu wirkt es mitunter witzig-ironisch, wenn Jonas von der Schönheit Islands geradezu aphrodisiert wird, während der Zuschauer im Kinosessel gerade ähnliches fühlt.

    Die Liste der Schauspieler, die Gypkens für „Nichts als Gespenster“ verpflichten konnte, liest sich wie ein „Who is Who“ deutscher Schauspieler um die Dreißig. Bei der Fülle an Schauplätzen und Geschichten ist es jedoch schwer für den einzelnen Darsteller, eine überragende Leistung abzuliefern. Einzig Diehl und Haberlandt stechen etwas aus dem insgesamt guten Ensemble heraus, in dem jedoch nicht jeder Darsteller seiner Figur in nur wenigen Minuten Leben einzuhauchen vermag. Dementsprechend gehören die Episoden in Amerika und Venedig zu den stärksten, während der Handlungsstrang in Jamaika etwas schwerer in Gang kommt. Die Jamaika-Episode kommt aus einem anderen Erzählband Judith Hermanns, als die restlichen Geschichten und ist in der filmischen Inszenierung weniger symbolhaft aufgeladen, als zum Beispiel die Venedig-Geschichte, deren Schauplatz aus der Literaturgeschichte kaum wegzudenken ist, wenn es um tragische Liebe, Verfall und Tod geht.

    Ein abruptes Ende erwartet man von Anfang an: So unmittelbar, ohne Erklärungen und Prologe, wie man in die Welt der Charaktere hineingestoßen wird, wird man auch wieder herausgefischt. Die Unmittelbarkeit von „Nichts als Gespenster“, gepaart mit visuell ansprechender Umsetzung vermag gut zu unterhalten, auch wenn nicht alle Schauspieler in gleicher Weise überzeugen können. Letztendlich fehlt der Literaturverfilmung manchmal der rote Faden, den das Thema Liebe allein nicht ersetzen kann. Für Liebhaber des deutschen Films und Fans von Judith Hermann mit einer ähnlichen Lesart ihrer Erzählungen, wie vom Drehbuchautor und Regisseur Martin Gypkens in „Nichts als Gespenster“ inszeniert, dürfte sich der Kauf der Kinokarte jedoch trotzdem lohnen.

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