Körperliche Veränderungen und Deformationen nehmen im Schaffen von Shinya Tsukamoto viel Raum ein. Neben seinem Durchbruchsfilm „Tetsuo – The Iron Man“ wird dies vor allem in „Tokyo Fist“ deutlich, einer Art japanischen Fight Club-Variante, die deutlich Tsukamotos große inszenatorischen Fähigkeiten zeigt, aber auch seinen Hang diese gegenüber der Gesichte in den Vordergrund zu stellen.
Der perspektivlose Versicherungsvertreter Tsuda Yoshiharu (Regisseur Shinya Tsukamoto selbst) vegetiert mehr vor sich hin, als er lebt. Er erledigt seine Arbeit solide und abends verbringt er die Zeit mit seiner Frau Hizuru (Kahori Fujii) vor dem Fernseher. Ein Sexleben haben beide schon lange nicht mehr. Eines Tages trifft er auf seinen ehemaligen Schulkameraden Kojima Takuji (Kôji Tsukamoto, der Bruder des Regisseurs), der sich nun als Boxer durchs Leben schlägt. Tsuda hat kein großes Interesse, die alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen, doch Kojima drängt sich in sein Leben. Er besucht ihn zu Hause und macht sich schließlich an seine Frau heran. Er küsst Hizuru, die sich aber sträubt. Gegenüber Tsuda erweckt Kojima allerdings den Eindruck, er habe sogar mit seiner Frau geschlafen. Tsuda will den Rivalen daraufhin verprügeln, hat aber gegen den Boxer keine Chance. Ein zertrümmertes Gesicht und an Erfahrung reicher fängt Tsuda wie besessen an Boxen zu trainieren, um sich erneut mit Kojima zu messen. Währenddessen fängt Hizuru nun wirklich eine Beziehung mit Kojima an, zieht sogar in dessen Wohnung ein. Doch auch sie verändert sich dadurch. Sie fängt an sich zu tätowieren und zu piercen.
Mit seinem 1989 entstandenen, knapp über eine Stunde langen, Experimentalfilm „Tetsuo – The Iron Man“ avancierte Shinya Tsukamoto innerhalb kürzester Zeit zum Kultregisseur und Liebling europäischer Festivals. Dabei spaltet der schwer zu fassende Film über einen Mann, der sich im Zuge von Selbstverstümmelungen und Sex mit seiner Partnerin immer mehr in ein Metallwesen verwandelt, die Kritiker und Filmfans. Von den einen als unansehnlicher, unzusammenhängender Schwachsinn eingestuft, ist der Film für einen Großteil von Kritikern und Filmgelehrten eines der wichtigsten Werke der letzten zwanzig Jahre, Krone der Cyberpunkbewegung und Vorläufer solcher Blockbuster wie Matrix, der sicher von „Tetsuo“ beeinflusst ist.
Nach dem Nachfolger und Quasi-Remake „Tetsuo II – Body Hammer“ (1992) und der Auftragsarbeit „Hiruko - The Goblin“ (1990) nahm sich Tsukamoto 1996 also nun wieder einiger Grundaussagen aus „Tetsuo“ an. Die körperlichen Veränderungen eines vorher in der gesichtslosen Masse untergehenden, angepassten, einfachen Angestellten, stehen auch hier im Zentrum. Im Gegensatz zu der surrealen Aneinanderreihung von Bildern wechselt er hier aber in deutlich realere Gefilde und erzählt sogar die Geschichte einer klassischen Dreiecksbeziehung; dies aber auf seine ganz eigene Art und Weise.
Am deutlichsten an „Tetsuo“ erinnert natürlich die Frau in der Dreiecksbeziehung. Auch Hizuru betreibt die Selbstverstümmelung mit Metall, allerdings ohne sich – wie im surrealen „Tetsuo“ – in ein Metallwesen zu verwandeln. Auch bei Tsuda nimmt die Selbstverstümmelung seinen Lauf, in dem er Schmerzen bereitwillig in Kauf nimmt. So ist es fast schon logisch, innerhalb der eigenen Linie des Films, dass erst das gegenseitige Zufügen von körperlichen Schmerzen Hizuru und Tsuda wieder hilft, eine Beziehung miteinander aufzubauen. Sie brechen damit aus der Monotonie der Gesellschaft aus, deren Kälte und Eintönigkeit von Tsukamoto hier wieder kritisiert wird. Unterstützt wird dies von zahlreichen Aufnahmen von Menschen, die gleichgültig und auf festen Pfaden wie Roboter ihr tägliches Leben verbringen, zur U-Bahn laufen, vor dem Fernseher sitzen, ihre Arbeit verrichten.
Passend dazu ist der Film durch den exzessiven Einsatz von Farbfiltern fast nur in kalte Farben getaucht. Alles wirkt blass und verblichen, nur das Blut, welches teilweise spritzt, oder die roten Pfeiler in den Ecken des Boxrings setzen kleine, lebendige Farbtupfer. Untermalt wird dies durch schon aus „Tetsuo“ bekannte Inszenierungsmittel: eine sich fast dauernd bewegende Handkamera, der wilde Metal/Industrial-Soundtrack-Mix von Chu Ishikawa, die stilisierte Gewalt. So entstehen Bilder, an denen man sich zweifellos berauschen kann, doch oft macht sich auch der Eindruck breit, dass Tsukamoto mal wieder Style over Substance stellt. Vieles wirkt selbst verliebt, einzelne Szenen sind einfach nur Schauprobe der eigenen inszenatorischen Fähigkeiten.
„Tokyo Fist“ ist ohne Frage ein stellenweise brillantes Werk, doch leider kann dieses Niveau nicht den ganzen Film über gehalten werden. Zu vieles verpufft hinter der Selbstdarstellung von Allesmacher Tsukamoto (hier: Regie, Buch, Hauptrolle, Kamera, Schnitt, Art Director) und das ist wohl mit ein Grund dafür, dass „Tokyo Fist“ nur phasenweise das Niveau des inhaltlich und in Einzelaussagen ähnlich gelagerten Meisterwerks Fight Club von David Fincher erreicht. Dass Tsukamoto zu ganz Großem fähig ist – auch wenn er weiter alle Fäden in der Hand hält – hat er mit „A Snake Of June“ bewiesen, bei „Tokyo Fist“ zeigen sich diese Fähigkeiten zwar über weite Strecken, aber nicht oft genug. Allerdings ist „Tokyo Fist“ deutlich zugänglicher als „Tetsuo“, so dass jeder, der sich zu den Verächtern der Metallorgie zählt, dem Regisseur hier noch einmal eine Chance geben kann. Wer sich zu den Fans des abgedrehten Experimentalfilms zählt, wird dies ohnehin tun.