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    O'Horten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    O'Horten
    Von Anna Lisa Senftleben

    Kann man sich etwas Langweiligeres vorstellen, als einen Film über einen betagten Lokomotivführer kurz vor der Pensionierung, der zudem auch noch im trostlos-winterlichen Norwegen spielt? Ein Zug schlängelt sich durch verschneite Landschaften und im Führerstand sitzt ein Pfeife-rauchender Zugführer, der gerade seine letzte Fahrt von Oslo nach Bergen hinter sich bringt. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere „Deutschlands schönste Bahnstrecken“-Fan nun tatsächlich von dieser Kurzsynopsis angesprochen, doch die meisten dürften an dieser Stelle ein Gähnen nur mühsam unterdrücken. Wie gut, dass es Filmemacher gibt, die nicht nur Bahnfreunden ihren Kinospaß gönnen. Dem norwegische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Bent Hamer ist es nämlich gelungen, aus diesem einschläfernd klingenden Thema seine Tragikomödie „O‘Horten“, ein Film voll warmer Ironie und schwarzem Humor, zu basteln.

    Odd Horton (Bård Owe) ist 67 und lebt seit fast 40 Jahren den Kleine-Jungen-Traum schlechthin: Er fährt als Lokführer bei der Norwegischen Staatsbahn Züge. Damit soll jetzt Schluss sein, der Ruhestand lockt. Eine allerletzte Fahrt von Oslo nach Bergen hat Horton noch zu absolvieren. Doch ausgerechnet diesen Dienst verschläft er, weil er sich in einer fremden Wohnung unter einem Kinderbett verstecken muss. So kommt Norwegens zuverlässigster Lokomotivführer zum ersten Mal in seiner Laufbahn zu spät. Doch das ist nur der Auftakt einer Ansammlung skurriler Ereignisse im überraschend aufregenden Leben eines frischgebackenen Pensionärs…

    Die größte Stärke von „O´Horton“ liegt im stimmigen Mix aus wunderbar trockenem Humor und einer ganz besonderen inneren Ruhe, die nicht zuletzt auch der lakonisch-gelassenen Darstellung von Bård Owe zu verdanken ist. Schon die ersten zehn Minuten zeugen von Bent Hamers Gespür, stille und schwarzhumorige Szenen in der richtigen Dosierung miteinander zu kombinieren: Einer Eisenbahnfahrt durch das verschneite Norwegen folgt Hortons Abschiedsfeier inklusive herrlich ironischer Anspielungen auf das Eisenbahner-Dasein. Die Kollegen verabschieden ihren Dienstältesten mit einer synchronen Zugimitation und der Chef überreicht seinem zuverlässigen Mitarbeiter die größte Ehrung der norwegischen Eisenbahner: die silberne Lokomotive. Weiter geht es mit Whiskey und Zigarren, bis schließlich mit dem Klassiker der Eisenbahner-Partyspiele begonnen wird: Bei „Wer kennt das Modell?“ müssen die Teilnehmer anhand von Tonbandaufnahmen von Zuggeräuschen das richtige Modell erkennen.

    Wie bereits in seinen früheren Werken „Kitchen Stories“ und Factotum bedient sich Bent Hamer auch hier wieder eines an die Werke seines skandinavischen Kollegen Aki Kaurismäki (Der Mann ohne Vergangenheit, Lichter der Großstadt) erinnernden minimalistischen Stils. Es gibt keine langen, wortreichen Dialoge, dafür aber viele Szenen, die aus ihrer Situationskomik heraus ihre Stärke auch für tragische Momente schöpfen. Als der Koch in Hortons Stammkneipe vor den Augen der Gäste verhaftet wird, kommentiert der Oberkellner den Vorgang trocken mit folgender Bemerkung: „Es ist wohl überflüssig, sie darauf hinzuweisen, dass ich heute keine Bestellungen mehr annehme?“

    Die eigentliche Handlung tritt auch im Folgenden nur selten in den Vordergrund, es sind vor allem die Situationen, in die Horton gerät, und die Menschen, auf die er dabei trifft, die den Film prägen: Horton will am Flughafen seinem Kumpel Flo (Björn Floberg) sein Boot verkaufen. Als er ihn nicht gleich findet, macht er sich auf die Suche. Dabei wird aus dem rüstigen Rentner, der sich mitten auf dem Rollfeld eine Pfeife anzündet, schell ein Höchstverdächtiger, der sich einer Leibesvisitation unterziehen muss. „O‘Horton“ ist aber nicht nur ein schwarzhumoriges Potpourri voller für sich stehender Gags, sondern auch eine Suche – ob nun nach dem Sinn des Lebens oder nach der richtigen Gestaltung des Lebensabends. Die Botschaft, die am Ende der Suche steht, ist eine angenehme: Man soll sich und das Leben doch bitteschön nicht allzu ernst nehmen.

    Der Film, der bei den Festspielen in Cannes seine Premiere feierte, hat allerdings auch Schwächen. Und in diesem Fall ist es eine Stärke, die sich hin und wieder auch als Schwachstelle entpuppt: „O‘Horton“ ist eine Aneinanderreihung vieler kleiner witziger Situationen. Obwohl dieser sketchartige Aufbau die Chronologie des Films nicht auseinanderreißt, kann dieses Konzept auf Dauer doch ermüdend sein. Zumindest für ein Mainstream-gewöhntes Publikum, das Hamers speziellen, staubtrockenen Humor nicht teilt, dürfte sich ein Kinobesuch als langatmige Angelegenheit herausstellen.

    Fazit: Wer eine gewisse Affinität für schwarzen Humor aus Skandinavien mitbringt, kann mit „O‘Horton“ wenig falsch machen. Die bissig-lakonische Tragikomödie punktet mit ganz viel Herz und hervorragenden Darstellern, denen ihre Rollen auf den Leib geschrieben scheinen.

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