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    Out of the blue
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Out of the blue
    Von Christoph Petersen

    Immer wieder knallen Menschen aus heiterem Himmel, so die sinngemäße Übersetzung des englischen Titels „Out Of The Blue“, die Sicherungen durch, und dann fangen sie an, wild um sich zu ballern. Im Schlepptau von Columbine und anderen Highschool-Massakern ist zuletzt eine kleine Welle an Amok-Streifen über das Kino hereingebrochen. Von Michael Moores Satire-Doku Bowling For Columbine über Uwe Bolls Möchtegern-Drama Heart Of America bis hin zu Gus Van Sants preisgekröntem Meisterwerk Elephant griff die amerikanische Filmszene das hochgekochte Amok-Thema auf. Doch auch Länder und Gegenden, die auf den ersten Blick so ruhig und beschaulich wirken, dass man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie hier ein solch willkürliches Massaker stattfinden könnte, haben zum Teil eine unerwartet blutige Vergangenheit. So auch Aramoana, ein neuseeländisches Küstenkaff, das am 13. November 1990 seine Unschuld verlor. Der bisher unauffällig gebliebene Außenseiter David Gray griff ohne Vorwarnung zur Waffe und löschte in den folgenden 24 Stunden 13 unschuldige Leben aus, darunter das von drei kleinen Kindern. Regisseur Robert Sarkies zeichnet die blutigen Ereignisse dieses Tages in seinem Thriller-Drama „Out Of The Blue“ nun mit unerwarteter Zurückhaltung nach. Und genau dieses konsequente Understatement macht aus dem Film einen der bisher treffendsten und verstörendsten Beiträge zum Thema Amoklauf überhaupt.

    Eine wahre Geschichte: der 13. November 1990, scheinbar ein weiterer ganz normaler Tag im betulichen Küstenstädtchen Aramoana. Die Bewohner gehen ihren alltäglichen Nichtigkeiten nach, fahren zur Arbeit, machen Besorgungen. Doch dann betritt ein Nachbarskind einmal zu oft das Grundstück des Einzelgängers David Gray (Matthew Sunderland). Der schizophren-paranoide Gray sieht rot. Er greift in den reichlich gefüllten Waffenschrank und fängt an zu schießen. Zunächst wissen die Menschen in der näheren Umgebung noch nicht, welch tödliche Gefahr sie erwartet, einige treibt gar die Neugier in Richtung des Killers. Aber auch als Polizei und Notarzt endlich informiert sind, ist ein Ende des Amoklaufs nicht abzusehen. Zu konfus und unkoordiniert gestaltet sich der Einsatz der für einen solchen Vorfall weder ausgebildeten und ausgerüsteten Einsatzkräfte. Mit Tarnbemalung und Army-Suit streift David weiter um die Häuser, in denen viele der Bewohner noch immer ausharren. Als der unsichere Polizist Nick Harvey (Karl Urban, Doom, Pathfinder) schließlich die Chance bekommt, David zu erschießen, lässt er sie ungenutzt verstreichen. Erst am nächsten Tag kann ein herangeschafftes Sondereinsatzkommando den Amokläufer überwältigen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat David Gray 13 Menschen getötet...

    Die gewählte Perspektive ist schnell durchschaut, Regisseur Sarkies geht es glücklicherweise nie darum, Ursachenforschung irgendeiner Art zu betreiben. Vielmehr interessiert ihn, wie ganz normale Menschen mit der plötzlich über sie hereinbrechenden Katastrophe umgehen. Die Ausrichtung der vielen kleinen Schicksale ist dabei aufregend breit gefächert. Von ganz persönlichen Tragödien bis hin zu angedeuteten Heldengeschichten reicht der Fokus. Eine alte Frau kann zwar ohne ihre Krücken nicht mehr gehen, dennoch robbt sie mehrmals zwischen ihrem Telefon und dem Angeschossenen draußen auf der Straße hin und her. Eine Mutter liegt schwer verwundet und bewegungsunfähig auf dem Boden, hinter sich vermutet sie ihre getöteten Kinder, doch sie kann sich nicht umdrehen, um nach ihnen zu sehen. Dabei gelingt es Sarkies stets, auch wenn er nur mit äußerst kurzen Einblicken in ihr Leben auskommen muss, den Zuschauer auch emotional an seine Charaktere zu binden. So wirkt jeder der Schüsse wie ein gezielter Faustschlag in die Mägen des Publikums. Und diese haben es auch so schon in sich, statt nämlich in Hollywood-Manier jeden Schuss mit einem lauten Knall zu unterlegen, vernimmt man hier nur ein sehr gedämpftes, in dieser Lautstärke beinahe harmlos wirkendes Puff-Geräusch. So fällt auch noch diese verfremdende Barriere und der Zuschauer akzeptiert das Geschehen noch eher als etwas Reales.

    Auch die Inszenierung passt sich perfekt in das Gesamtbild mit ein. „Out Of The Blue“ hat sicherlich eine der unspektakulärsten ersten Viertelstunden der Filmgeschichte. Mit kargen Einstellungen blickt er in das gediegene, unaufgeregte Alltagsleben der Einwohner von Aramoana. Dabei passiert aber auch wirklich rein gar nichts Ungewöhnliches, lediglich der Kauf eines Gewehrs bei einem Pfandleiher sorgt für kurzzeitiges Unbehagen. Doch dieses beinahe einschläfernde Herantasten ist nötig, damit der Zuschauer von den ersten Schüssen schließlich genauso unbedarft überrascht wird wie die Opfer selbst. Und auch nach den ersten Toten fällt Sarkies nicht etwa ein, seinen weiteren Film als actiongeladenes Blutbad zu inszenieren. Stattdessen hält er bis auf wenige Ausnahmen seine nahezu dokumentarische Distanz, streut immer mal wieder tempoarme Passagen ein, in denen das Publikum genauso wie die überforderten Einsatzkräfte den Überblick verliert. Immerhin hat der Amoklauf einen ganzen Tag und eine ganze Nacht angedauert, eine schlicht aberwitzige Situation, deren Absurdität der Film treffend rüberbringt. Und in den Szenen, in denen Sarkies seine filmische Askese vergisst, passt der fiebrige Handkamera-Stil hervorragend zur verzweifelten Planlosigkeit der Protagonisten. Die neuseeländische Filmszene ist auch abseits der hier gedrehten Hollywood-Blockbuster schwer im Kommen. Und der aufregend andersartige Genrestreifen „Out Of The Blue“ unterstreicht diese These ein weiteres Mal eindrucksvoll.

    Fazit: „Out Of The Blue“ ist ein knallharter und gut recherchierter Amok-Thriller, der immer wieder überraschend unaufgeregte Passagen einstreut, welche sich schlussendlich als größte Stärke des Films herausstellen.

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