»...the land of the free, and the home of the brave«. Das mag Amerika sein, aber in unzähligen Fällen eben nur für die Gleichsten der Gleichen, für all jene, die im Angesicht von Tradition oder Religion als normal gelten. Die Geschichte des Harvey Milk ist von ihm als Person ausgehend eine über Hoffnung, Liberalität, eine Geschichte über Verständnis und Verständigung. Ausgehend von den Rahmenbedingungen, unter denen sie stattfand, ist die Geschichte des Harvey Milk eine über Intoleranz, Feigheit, des Widerspruchs und des Unwillens. Ein mit ungleichen Waffen ausgetragener Kampf, an den sich zu erinnern Dustin Lance Black, Gus van Sant und Sean Penn mit „Milk“ aufrufen. Und ihr Ruf verhallt nicht ungehört.
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Auf der „Suche nach einer neuen Szene“ zieht der homosexuelle Harvey Milk mit seinem Freund Scott Smith Anfang der 1970er nach San Francisco. Im Stadtviertel Castro eröffnen sie einen Fotoshop, der schnell zum Treffpunkt der schwulen Szene wird, für deren Rechte im Viertel und darüber hinaus Milk immer aktiver eintritt. Die ersten Versuche, in ein politisches Amt gewählt zu werden, scheitern noch, doch mit der stetig anwachsenden Community sich offen zu ihrer Sexualität bekennender Schwuler im Rücken gelingt ihm schließlich die Wahl zum städtischen Supervisor. Doch nicht erst, als Milk beginnt, seine Ziele weit über San Francisco hinaus zu formulieren, erwachsen ihm mächtige Rivalen im Kampf um die Rechte der Homosexuellen...
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Mit Schlagzeilen und Archivaufnahmen von Polizisten in den 1950er und –60er Jahren, die aufgrund des Verstoßes gegen Sitten und Moral Bars räumen und Schwule nur ihrer Sexualität wegen auf den Straßen verprügeln und inhaftieren, beginnt der Film. Dann, 1978, sieht man Harvey Milk, der ein Tonband bespricht, seine Geschichte für den Fall aufzeichnet, dass sie mit einem Attentat auf ihn ein plötzliches Ende findet. „Milk“ verschweigt nicht, dass es bereits neun Tage später dazu kommen sollte, zeigt einen kurzen Ausriss aus der Pressemitteillung, in der Harvey Milks Tod bestätigt wird. Ein Zeitsprung ins Jahr 1970 und nach New York, Milk begegnet am Vorabend seines vierzigsten Geburtstages erstmals seinem jungen Liebhaber Scott Smith. Auf der Suche nach mehr Anerkennung für ihre Beziehung gehen sie nach San Francisco. Doch zunächst, nachdem sie ihren Laden Castro Camera‘ eröffnet haben, begegnen Milk und Smith Menschen, die sich die Hände mit einem Tuch abwischen, nachdem sie sie ihnen geschüttelt haben, sie begegnen der Polizeigewalt und dem Umstand, dass Homosexuelle Trillerpfeifen bei sich tragen, um bei Gefahr Hilfe herbeirufen zu können. Sie begegnen einem Schwulen, der einen Abend später erstochen auf dem Bordstein liegt.
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„Milk“ portraitiert eine Situation voller Beklommenheit, die aber schnell einer ansteckenden Aufbruchstimmung weichen muss. Regisseur Van Sant vollführt dabei fliegende und clevere Wechsel zwischen Doku-Material und Film, bringt wichtige Fakten und Personen unter, ohne den Fluss des Films dafür zerhacken oder verlangsamen zu müssen. Nebenbei erweist sich Harris Savides‘ Kamera immer wieder als subtiles Auge, etwa wenn sie in Großaufnahme eine am Boden liegende Trillerpfeife zeigt, in der sich das Gespräch Milks mit einem Polizisten spiegelt. Die Freude am Faktischen geht so nie auf Kosten des Unterhaltsamen und ohne das „Milk“ zur politischen Bagatelle absackt, ist besonders die erste Stunde von einer enormen erzählerischen Leichtigkeit und Versiertheit. Dazu kommt ein Sean Penn, dessen Performance einen voll und ganz an den Film und seine Ereignisse bindet, der diesen Harvey Milk als Menschen über den bloßen Politaktivisten hinaus spürbar macht, was Story und Drehbuch teils etwas vermissen lassen.
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Die knöchernen Widerstände konservativer Politik, wie sie etwa von Sängerin und Werbespot-Star Anita Bryant ausgehen, wirken gegen das Leben und die Lebhaftigkeit, die von Milk ausgestrahlt werden, geradezu grotesk. Bryants Rolle überlässt Van Sant keiner Schauspielerin, ihr Beharren auf Willen und Werte Gottes und der Familie ist in Auszügen echten Reden und Stellungnahmen entnommen, womit die Verbohrheit rechter Politik so deutlich wie real gemacht wird. Ebenso wie die Auftritte des von Denis O’Hare gespielten Senators John Briggs können Bryants Tiraden eine regelrechte Wut auslösen angesichts der Borniertheit, mit der gegen Homosexuelle argumentiert wird und der Tatsache, dass diese Argumente sich in entsprechenden Wahlergebnissen wiederfinden. Denn Harvey Milks Weg zur Bekleidung eines öffentliches Amtes ist über lange Strecken von Rückschlägen und Enttäuschungen geprägt, worunter Milks Eifer manches Mal leidet, aber nie versiegt. Dies kostet ihn die Liebe seines Wahlkampfhelfers Smith, was im Film nur kurz behandelt wird. Dass „Milk“ nach einigen Szenen zu Beginn hier und überhaupt einen privaten Harvey so gut wie gar nicht mehr stattfinden lässt, macht den Film mehr zum Portrait einer Zeit, nicht eines einzelnen Menschen, zum Portrait eines politischen Umbruches, einer Bewegung und eines Gefühls. Seinem Protagonisten, der sich selbst all dem am stärksten verschrieben hatte, aber sich „nur“ als ein Teil der Bewegung begriff, wird dieser Ansatz dennoch gerecht.
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Zum Einfangen und wirkend machen des abgebildeten Zeitraums verhilft dem Film eine tadellose Ausstattung, die im oft direkten Gegenschnitt zum verwendeten Archivmaterial jederzeit ein glaubwürdiges und zugängliches Bild abgibt. Zudem eröffnet „Milk“ den Blick auf ein Kapitel der 70er Jahre, wie man es so, nämlich aus Sicht der Homosexuellen, noch nicht geboten bekam. Ungezwungen, dabei ohne jede Verdorbenheit, stellt Van Sant den Befreiungsschlag der Rechte auch als einen der Sexualität dar, wobei häufiger Partnerwechsel und kurze Begegnungen, die schnell im vollzogenen Akt enden, keiner verblümten Scheu untergeordnet werden. Zwar wahrt der Film scheinbar eine etwas größere Distanz, als es im allgemeinen in Liebesszenen zwischen heterosexuellen Paaren der Fall ist, aber er verbirgt sie nicht und eine (noch) größere Offenheit hätte das Gewicht dessen, was „Milk“ zu sagen hat, möglicherweise auf den Tabubruch reduziert (wovon zuj reden sich in einer aufgeschlossenen Gesellschaft längst erübrigt haben sollte, sicher aber von vielen Seiten dem Film angekreidet worden wäre, ähnlich wie bei „Brokeback Mountain“).
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Den flotten Erzählfluss drosselt Van Sant ein wenig nach Milks erfolgreicher Wahl zum Supervisor. Milks Kampf führt ihn runter von den Straßen, hinein in Tagungssäle und Büros, erbittert setzt er sich gegen die Anfeindungen des John Briggs zur Wehr und wird ein bißchen selbst zu der Maschine, gegen die er ins Feld gezogen ist, wenn er mit anderen Mitgliedern des Stadtrates um Unterstützung für die eigenen Ziele feilscht. Über dieses Feilschen, diese „eine-Hand-wäscht-die-andere-Politik“ erwächst Milk in Gestalt von Dan White ein weiterer Rivale, der seine eigenen Ziele durch Milk mehr und mehr in den Schatten gedrängt sieht. White ist dabei kein Abziehbild der Hetzreden einer Anita Bryant oder eines John Briggs, tatsächlich erwärmt sich sein Verhältnis zu Milk zunächst, er lädt ihn zur Taufe seiner Tochter ein und Milk vermutet hinter White sogar »einen der unseren«. Gebrochener Stolz und tiefe Enttäuschung ob der Richtung, die die Politik San Franciscos unter Bürgermeister Moscone und den Initiativen Milks einschlägt veranlassen ihn schließlich zu einem verheerenden Schritt. Trotz Josh Brolins mimischer Klasse, mit der er White manches Mal die pure Verzweiflung in die Gesichtszüge treibt, wird Dan White als Charakter nicht ganz sauber und etwas verschwommen dargestellt, worin aber auch eine gewisse Stärke des Films liegt, nämlich ihn nicht in schwarz/weiß-Zeichnung münden zu lassen. White schwankt zwischen Befürworter, solange es seinen eigenen Zielen dient und Gegner, wenn Milk deren Erreichen im Weg steht. Darin findet sich eine durchaus spannender Zwiespalt, nicht zuletzt bezüglich der Wahrnehmung von Politik als reiner Spielplatz eigener Interessen und des Tauschhandels darum.
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Angeführt von einem formidablen Sean Penn fängt „Milk“ ein Stück wichtiger Zeitgeschichte auf höchst unterhaltende Weise ein. James Franco als Scott Smith und Emile Hirsch, der als junger Cleve Jones unter Milks Fittiche genommen wird, leisten, wie auch die übrige Besetzung, großartigen Support. Die lange Anlaufzeit, die das Projekt hinter sich hat, merkt man der Frische und der Leidenschaft, mit der es realisiert wurde, nicht an. Bereits 1991 hatte Oliver Stone ein Drehbuch mit dem Titel „The Mayor of Castro Street“ entwickelt, welches von Gus Van Sant mit Robin Williams in der Hauptrolle verfilmt werden sollte, wozu es aufgrund der vielzitierten kreativen Differenzen nicht kam. Mit Stars wie Richard Gere, Daniel Day-Lewis und James Woods wurde das Vorhaben immer mal wieder aufgegriffen, bis Dustin Lance Black sein Drehbuch vorlegte, Van Sant die Regie nun übernahm und die parallel laufende Arbeit an „The Mayor of Castro Street“ unter der Leitung von Bryan Singer schließlich während des Autorenstreiks 2007 eingestellt wurde. Der bekennende Homosexuelle und Milk-Verehrer Black steckte das sprichwörtliche Herzblut in sein Script und Van Sant gelingt der Transport dessen in den Film in jedem Moment. Harvey Milk und seinen Taten sollte man nicht bloß mit den Augen und dem Hirn folgen und es ist der Verdienst Blacks, Van Sants und Penns, dass man diesem Mann und seinem unwiderstehlichen Bemühen um Toleranz mit dem Herzen folgt.
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komplette Review siehe: http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=418824324&blogId=509383877