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    Nichts als die Wahrheit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Nichts als die Wahrheit
    Von Jan Hamm

    Wir sind besser als der Rest! Tagtäglich dokumentieren Boulevard und vorgeblich seriöse Pendants sprichwörtlich Seite an Seite, was uns von den Barbaren unterscheidet: Wir kennen unsere Menschenrechte, wir retten den Planeten – und wir halten das hohe Gut der Pressefreiheit in Ehren. Dumm nur, wenn ein unverantwortlicher Konzern nach kritischer Berichterstattung keine Anzeigen mehr schaltet und der bloßstellende Artikel dann lieber schon im Vorfeld eingezogen wird. Wenn es sich bei diesem Konzern auch noch um die Regierung handelt, haben die vielgepriesenen Freiheitswerte Feierabend. Was tun, wenn das journalistische Ethos ins Abseits führt? Dieser diffizilen Fragestellung folgt Rod Lurie (Rufmord), ein Highschool-Kumpel Barack Obamas, mit „Nothing But The Truth“. Das ruhige und überraschend pathosfreie Drama geht den Nebenwirkungen des investigativen Journalismus auf den Grund und zeigt, dass in Kate Beckinsale eine respektable Darstellerin steckt, so sie nicht von Gatte Len Wiseman (Underworld) als Fetischobjekt inszeniert wird. Nicht vom Direct-to-DVD-Etikett täuschen lassen: „Nothing But The Truth“ ist angenehm ambivalentes Politkino, das relevante Fragen aufwirft, ohne sie vorschnell zu beantworten.

    Mit der Enttarnung der CIA-Agentin Erica Van Doren (Vera Farmiga, The Departed) ist Rachel Armstrong (Kate Beckinsale, Pearl Harbor) ein großer Coup gelungen. Doch ehe die Pulitzer-Preis-Kandidatin ihren Triumph richtig auskosten kann, findet sie sich auch schon in Handschellen wieder. Die integere Journalistin weigert sich, ihre Quelle zu offenbaren, obgleich die Enttarnung staatlicher Geheimnisträger als schwerwiegende Verletzung der nationalen Sicherheit gilt. Mit der Unterstützung des renommierten Anwalts Burnside (Alan Alda, Flash Of Genius) betritt Rachel die Arena der Juristen. Doch auch Staatsanwalt Dubois (Matt Dillon) geht nur seinem Job nach. Auch wenn das bedeutet, die Reporterin hinter Gitter zu bringen. Ungemütliche Bettnachbarn sind da noch das kleinste Problem: Die Zeit im Knast bringt auch die Ehe mit Politautor Ray (David Schwimmer, serie,Friends) und das Verhältnis zu ihrem Sohn ins Wanken. Wie weit kann und wird Rachel gehen, um die Quelle zu decken und ihre journalistischen Prinzipien zu schützen?

    „Nothing But The Truth“ basiert auf einer Geschichte, die allen engagierten Bush-Feinden noch gut im Gedächtnis sein dürfte. 2003 titelte die Washington Times über die Enttarnung der CIA-Agentin Valeria Plame durch die Reporterin Judith Miller, die daraufhin für 85 Tage hinter schwedische Gardinen wanderte, da sie ihre Quelle nicht preisgeben wollte. Pikantes Detail: Plames unwissender Gemahl Joseph Wilson schrieb im Vorfeld der Irak-Invasion über die nonexistenten Massenvernichtungswaffen des Hussein-Regimes. War die Enttarnung seiner Frau ein Vergeltungsakt gegen die allzu kritische Arbeit Wilsons? Rod Lurie interessiert sich allerdings für etwas ganz anderes. Investigativer Journalismus basiert auf Vertraulichkeit – wer seine Quellen preisgibt, verscherzt es sich mit weiteren Insider-Informanten. Rachels Schweigen ist damit eben auch pragmatisch, so wie der Vorstoß ihrer Opponenten.

    Ein bloßgestellter Staatsapparat verliert an Handlungsradius und muss infolge nach undichten Stellen fahnden. Rachel wird weggesperrt - nicht etwa zur Strafe, darüber sind sich selbst ihre patriotischen Feinde einig, sondern um sie zu brechen. Der verletzte Souverän wehrt sich und zwingt das abtrünnige Schäflein zum Widerruf der Sünde. „Nothing But The Truth“ stellt Machtmechanismen aus, deren subtil bedrohliche Wirkung sich zwischen Kafka und Foucault entfaltet. „Imprisoning journalists? That’s for other countries. That’s for countries who fear their citizens. Not countries, that cherish and protect them”, so das hitzige Plädoyer von Anwalt Burnside. Für sich belassen wäre „Nothing But The Truth“ hier in eine Amerika-Laudatio entgleist.

    Mit so knappen wie effektiven Nebenplots aber negiert Lurie etwaige Selbstgefälligkeit, indem er präzise auf das private Scheitern Rachels eingeht. Da ist die empathisch geschilderte Konsequenz, die der Artikel für die Van Dorens hat. Und da ist die fatalistische Distanz ihres Mannes, die nur zu verständlich ist, stellt sie mit ihrer professionellen Schweigsamkeit doch ein Credo über familiäre Bedürfnisse. Ist journalistische Integrität den Verlust der Liebe, des Sorgerechts und der sozialen Würde überhaupt wert? Lurie singt hier eine Hymne auf Rachels heroische Kompromisslosigkeit – aber nur, um diese im überraschenden Schlusstwist über die Identität der Quelle wiederum auf gänzlich private statt idealistische Motive herunterzubrechen. „Nothing But The Truth“ bleibt konsequent: Der ambivalente Schlussakkord rundet Luries angenehm offen gehaltene Konfrontation mit dem komplizierten Verhältnis zwischen forschem Journalismus und Staatsgewalt stimmig ab.

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