Mit dem entlarvenden Road Movie Aaltra feierte das Duo Benoît Delépine und Gustave Kevern ein eindrucksvolles schwarzhumoriges Debüt. Die Regisseure setzten sich als Streithähne in Rollstühle und durchquerten Europa auf der Suche nach einer Firma, die sie für ihre Querschnittslähmung verantwortlich machen könnten. Dabei legten sie hemmungslos den verklemmten Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen bloß. Ihr neuer Film „Louise Michel“ folgt einem ähnlichen Muster. Ein ungleiches Duo durchquert Europa und das Ziel ist erneut eine Speerspitze des Kapitalismus: Ein Firmenchef, der aus Profitgier ein Werk in Frankreich schloss, um in Asien billiger produzieren zu lassen, soll liquidiert werden. Dabei beweisen die belgischen Filmemacher erneut ihr Gespür für bösartigen Humor ohne Tabus.
Von einem Tag auf den anderen sind die Angestellten einer Reinigungsfabrik arbeitslos. Gestern noch wurde ihnen versprochen, dass die Krise fast vorüber sei und es gab sogar einen Kittel als Geschenk. Doch heute ist die Halle leer und von den Bossen fehlt jede Spur. Immerhin gibt es von der Gewerkschaft eine Abfindung, popelige 20.000 Euro für alle zusammen. Louise (Yolande Moreau), die eigentlich ein Mann ist und Jean-Pierre heißt, hat eine Idee, was man mit der Summe anfangen könnte: Rache. Ein Killer soll beauftragt werden, den Verantwortlichen aus der Chefetage zu liquidieren. Der Vorschlag stößt auf breite Zustimmung und Louise wird mit der Beauftragung eines geeigneten Kandidaten bedacht. Die Wahl fällt auf den Waffennarr und Wohnwagenpark-Wächter Michel (Bouli Lanners), der eigentlich eine Frau ist und Cathy heißt. Doch Michel ist ein Aufschneider, der gar nicht den Mumm hat, tatsächlich abzudrücken. Das ist jedoch nicht das einzige Problem des Duos Louise/Michel: Schließlich ist es in Zeiten der Globalisierung und dank immer komplexerer Unternehmensstrukturen mit Briefkastenfirmen und Steuerparadiesen gar nicht so leicht, „den Chef“ überhaupt auszumachen...
Der Plot von „Louise Michel“ erinnert ein wenig an britische Gangsterfilme, dient hier aber vor allem als Vehikel für Humor der allerschwärzesten Färbung. Den Weg des ungleichen Duos säumen bald Leichen - und das, obwohl Michel eigentlich niemand töten kann und Louise, die als Jean-Pierre bereits wegen Mordes im Gefängnis saß, es selbst nicht mehr machen will. Schon hier zeigt sich der politisch gnadenlos unkorrekte Humor des Regie- und Autorenduos: Für die finale Ausführung der Mordtaten werden kurzerhand totkranke Mitmenschen requiriert. Und wenn dann Michels krebskranke Cousine Jennifer (Miss Ming), die sich aufgrund ihrer Chemotherapie kaum noch auf den Beinen halten kann, mit einer Pistole in der Hand über ein Fest der Reichen und Mächtigen stolpert, ist der Höhepunkt der ätzenden Bösartigkeit erreicht.
Der nach der französischen Revolutionärin und Sozialreformerin Louise-Michel benannte Film steckt voller solcher Szenen, bei denen dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken bleibt. Doch diese Unerschrockenheit in Bezug auf Tabubrüche war es, die auch schon „Aaltra“ auszeichnete und diesmal erneut voll zum Tragen kommt.
Frankreichs Superstar Matthieu Kassovitz (Regisseur von Die purpurnen Flüsse, Gothika, Babylon A.D.) war von Delépines und Keverns Stil im Allgemeinen und von „Aaltra“ im Speziellen so angetan, dass er dem Regieduo seine Hilfe anbot, sowohl ihren nachfolgenden Film „Avida“ als nun auch „Louise Michel“ zu produzieren. Außerdem übernahm er in beiden Werken jeweils eine kleine Nebenrolle. Kassovitz‘ Einfluss und seiner exponierten Stellung ist es sicher auch zu verdanken, dass mit Yolande Moreau (Die fabelhafte Welt der Amelie, Wenn die Flut kommt) und Bouli Lanners (Eldorado) zwei Ausnahmeschauspieler gewonnen wurden. Als absonderliches Duo in vertauschten Geschlechterrollen sorgen die beiden für einen Mordsspaß. Daneben bereichern auch noch Benoît Poelvoorde (Narco, Asterix bei den Olympischen Spielen) als paranoider Nachbar, der an einem 9/11-Verschwörungsbuch schreibt, und Albert Dupontel (Odette Toulemonde, So ist Paris) das skurrile Figurenkabinett.
Fazit: „Louise Michel“ ist eine herrlich schwarzhumorige, bitterböse, politisch bis zum Erbrechen unkorrekte Komödie mit hoher Lachgarantie, die ganz sicher nicht für jeden Zuschauer geeignet ist. Einem Teil des Publikums dürfte bei todkranken „Killerwerkzeugen“, explodierenden Köpfen und der Nachstellung der Anschläge des 11. September auf einer Wiese nicht zum Lachen zumute sein. Wer sich aber schon bei „Aaltra“ amüsiert hat oder einer düsteren Humorfärbung nicht abgeneigt ist, wird bei dieser Anarcho-Komödie bestimmt auf seine Kosten kommen - und das auch noch bis nach dem Abspann, den man sich unbedingt bis zum bitteren Ende ansehen sollte.