Mein Konto
    Cloverfield
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Cloverfield
    Von Carsten Baumgardt

    Die Internetkampagne und der Hype, die sich um diesen Film entwickelten, waren nahezu beispiellos. Lediglich Blair Witch Project erreichte ähnliche Sphären. Die Erwartungen des Studios und der Box-Office-Analysten schnellten vor dem Startwochenende in kühne Dimensionen. Und was kam am Ende dabei heraus? Ein unspektakulär-mittelmäßiger Film und ein verhältnismäßig enttäuschendes US-Einspielergebnis von 34 Millionen Dollar. „Cloverfield“? Nein, von David R. Ellis‘ Snakes On A Plane ist die Rede, denn dieser leidlich spaßige No-Brainer entfachte vor seinem Start im Jahr 2006 eine ähnliche Hysterie, wie dies dem von J.J. Abrams produzierten „Cloverfield“ anno 2008 gelang. Doch mit einem großen Unterschied: Der für nur 25 Millionen Dollar in kurzer Zeit aus dem Boden gestampfte Monster-Actioner, den TV-Regisseur Matt Reeves für Abrams inszenierte, konnte die hohen Erwartungen an der US-Kinokasse sogar noch übertrumpfen, weil er den Nerv der You-Tube-Generation trifft und Schwächen durch das absolut konsequente Durchdrücken einer Idee auffängt.

    Seine Freunde schmeißen eine Überraschungsabschiedsparty für Rob (Michael Stahl-David), der New York für einen lukrativen Job Richtung Japan verlässt. Bruder Jason (Mike Vogel) ist damit beauftragt worden, den ganzen Abend mit der Digitalkamera zu dokumentieren, worauf er aber keine rechte Lust hat und diese Mission an seinen Kumpel Hud (T.J. Miller) abtritt. Anstatt knackige Statements für die Doku aufzunehmen, interessiert sich Hud jedoch vielmehr für die Dekolletés der weiblichen Partygäste – besonders das von Malena (Lizzy Caplan) hat es ihm angetan. Derweil gerät Rob in einen Streit mit seiner besten Freundin Beth (Odette Yustman), mit der er nach jahrelanger Freundschaft vor kurzem einen One-Night-Stand hatte. Keiner von beiden weiß, wie er sich jetzt verhalten soll. Beth flüchtet gekränkt von der Party. Plötzlich erschüttert ein gewaltiger Erdstoß das Gebäude. Lichter fallen aus, Panik verbreitet sich. Das Partyvolk flieht auf die Straße, wo ein Inferno über Lower Manhattan hereinbricht. Hochhäuser explodieren, es herrscht das totale Chaos. Die Flucht der Gruppe über die nahe Brooklyn Bridge wird brutal gestoppt. Rob ist geschockt, als er seinen Bruder Jason verliert und setzt sich in den Kopf, Beth zu retten, die ihn auf dem Handy um Hilfe anfleht. Sie sitzt verletzt und bewegungsunfähig in ihrer Wohnung fest. Doch der Weg nach Midtown Manhattan ist lebensgefährlich. Ein Monster wütet in der Stadt. Hud, Jasons Freundin Lily (Jessica Lucas) und Malena lassen Rob nicht im Stich…

    Auf der Werbetour zu seinem Kino-Regiedebüt Mission: Impossible 3 kam „Lost“ und „Alias“-Mastermind J.J. Abrams im Juni 2006 in Japan auf eine simple Idee, als er mit seinem Sohn Henry durch einen Spielzeugladen stöberte: Warum gibt es eigentlich kein amerikanisches Pendant zu Godzilla? Was dann folgt, ist ein kleines Stück Film(marketing)geschichte. Innerhalb kürzester Zeit sucht sich Abrams unter seinen alten Weggefährten einen Drehbuchschreiber (Drew Goddard, „Lost“, „Alias“, „Buffy“, „Angel“) und einen Regisseur (Matt Reeves, „Felicity“) und stemmt für moderate 25 Millionen Dollar einen Monsterfilm mit einem No-Name-Cast. Nun kommt der Clou, der „Cloverfield“ so interessant macht. Abrams platzierte vor dem thematisch artverwandten Transformers einen Teaser, der zeigte, wie eine riesige Zerstörungswelle über New York hereinbricht und der abgerissene Kopf der Freiheitsstatue durch die Schluchten der Stadt kugelt. Kein Titel. Kein Hintergrund. Ein Terrorangriff? Eine Naturkatastrophe? Ein Monster? Keine weiteren Informationen! Abrams, der demnächst in Star Trek 11 den Trekkie-Mythos wiederbeleben soll, zählt zu den kreativsten Köpfen der jungen Filmemachergarde - diesen Ruf zementiert er mit „Cloverfield“. Der Teaser-Trailer setzte im Internet eine Welle frei, die kaum gesehene Ausmaße erreichte und bis zum US-Start im Januar 2008 einen unglaublichen Hype verursachte, der durch die Informationssperre zum Film geschickt genährt wurde. Und die Rechnung ging auf, der Monsterfilm avanciert zum Erfolg. Doch nun die bange Frage: So genial die Kampagne auch war, hält der Film diesen gewaltigen Vorschusslorbeeren stand?

    Natürlich nicht, weil dies ein Ding der Unmöglichkeit ist. Eine Enttäuschung ist der Film aber nicht. Im Gegenteil: Abrams bringt einen lupenreinen, kleinen Genrefilm an den Start, der zwei Grundprinzipen Hollywoods famos vereint. „Cloverfield“ ist klassisches Larger-Than-Life-Kino, das auf Gedeih und Verderb auf Realismus gedrillt ist – natürlich abgesehen von der Monsterprämisse. Und mit diesen beiden Stützpfeilern punktet der Actioner satt. Das rund 20-minütige Partygeplänkel wird als geschickte Einstimmung auf das Inferno installiert. Der Inhalt der Szenen ist in seiner Substanz völlig belanglos, aber die Charaktere müssen zumindest eingeführt werden, damit der Zuschauer beim Überlebenskampf in Manhattan eine Orientierung erhält. Der Cast besteht praktisch ausnahmslos aus Namenlosen. Lediglich Mike Vogel (The Texas Chainsaw Massacre, Poseidon, Wo die Liebe hinfällt) ist ein halbwegs bekanntes Gesicht, das sich aber recht schnell verabschiedet. Die Konzentration auf die Menschenjagd fern von bekannten Stargesichtern gehört jedoch zu Abrams‘ Konzept.

    Ein viel wichtigerer Punkt ist jedoch der Schachzug, den kompletten Film aus der gnadenlos subjektiven Perspektive der Handkamera zu zeigen. Das Positive: Die Hartnäckigkeit, mit der diese freche Idee abgearbeitet wird, ist beeindruckend und sympathisch. Das Negative: Wer schon von der Wackelkamera in Das Bourne Ultimatum genervt war, wird in „Cloverfield“ lieber mit Anlauf vor eine Wand laufen, als sich den Film zuende anzuschauen. So prima der Realismusaspekt auch durch die Digitalkamera der Protagonisten gefällt, es stellt sich zumindest die Frage, warum gerade der zweitschlechteste Hobbyfilmer (nach dem Freak in Open Water 2) der Welt die Digicam führen muss. Wer an „Cloverfield“ seine Freude haben will, muss sich ganz klar auf die hypernervösen Wackelbilder der Videokamera einlassen. Alle anderen werden wüst schreiend und schimpfend wie die Rohrspatzen aus dem Kinosaal laufen.

    Das bringt uns direkt zur Zielgruppe: Beinahe alles, was auf der Welt an Wichtigem und Nichtigem passiert, wird in der Zeit von You Tube von Amateuren dokumentiert. „Cloverfield“ ist der Film zu diesem Phänomen, weil er sich genau dieser Form des Realismus anpasst. Die Hatz durch die Wolkenkratzerschluchten New Yorks ist knackig-rasant inszeniert und durchgehend auf Spannung getrimmt. Das Monster, das zunächst sehr spärlich zu sehen ist, entfaltet sich erst gen Ende zu voller CGI-Pracht. Der „amerikanische Godzilla“, der seine spinnenartigen Ableger zur Verschärfung des Terrors auf die Menschen loslässt, gefällt als echter Aktivposten des Films, der sich in punkto Ausstattung angesichts des Budgets natürlich nicht mit Materialschlachten wie Transformers oder Krieg der Welten messen kann. Aber das war auch nicht die Absicht. Abrams macht aus einem garstigen Genrefilm ein großes mediales Event, das die Zuschauerschaft brutal spalten wird (ähnlich übrigens wie „Transformers“).

    „Cloverfield“ funktioniert auf seine Weise - trotz Schwächen. Der Actioner hat Charme, Härte und Ideen, sieht fantastisch-beklemmend aus und glänzt mit Endzeitatmosphäre wie ein kleiner rotziger New-York-Chaos-Bruder des Hochglanz-Thrillers I Am Legend, den seine Multimillionen-Dollar-Gelacktheit im krassen Gegensatz zum puren, rauen „Cloverfield“ schließlich ausbremst. Die erste Erschütterung im Film, der sich von nun auf jetzt um 180 Grad dreht, ist ein Ereignis, das apokalyptisch-dröhnend bis in die Zuschauerreihen nachhallt. Dass die Charaktere und Dialoge dabei kaum von Interesse sind, ist von untergeordneter Bedeutung, weil die Schauwerte hier die unverhohlene Hauptrolle spielen. Als logischer Pferdefuß erweist sich die recht schwache Motivation der Hauptfigur Rob, der wider besserem Wissen das Himmelsfahrtskommando zur Rettung seiner Freundin antritt – und dies nicht einmal allein.

    So konsequent sich „Cloverfield“ während des gesamten Films gibt, so konsequent ist auch die Laufzeit von 85 Minuten. Mehr ist nicht nötig. Mehr wäre sogar zuviel. Mehr darf nicht sein. Denn „Cloverfield“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein atmosphärisch packender Post-9/11-Monsterfilm... ein kleiner, gelungener Genrebeitrag, der medial monströs aufgeblasen wurde. Vielleicht wird das einige Erwartungen enttäuschen, aber nur die derer, die nicht wissen, auf was sie sich einlassen. Wer einen straighten, fast schon schmerzhaft innovativen Action-Reißer sehen will, sollte eine Kinokarte lösen.. und besser die Kopfschmerztabletten für danach nicht vergessen. Denn die werden so einige benötigen!

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top