Bei der Beziehungskomödie „Ein fliehendes Pferd“ stehen mit Regisseur Rainer Kaufmann und Romanautor Martin Walser die üblichen Verdächtigen des aktuellen deutschen Mainstream-Kinos nicht nur hinter der Kamera: Die in Langeweile erstickte Gattin eines im Pedantentum meisterlichen Vorzeigespießers erblickt durch schicksalhafte Fügung den Mann (oder besser noch: das Paar), das ihr erkaltetes Blut wieder in Wallungen bringt. Bekannte Geschichte mit vorwiegend bekannten Gesichtern wie Katja Riemann, Ulrich Noethen und Ulrich Tukur. Dass dieser Mann die eigentliche bessere Hälfte ihres Angetrauten ist, der sich all das gönnt, was jener sich verkneift, hebt die Versuchsanordnung menschlicher Beziehungen auf ein fast philosophisches Niveau. Leider vertraut Kaufmann dem Erfolg der literarischen Vorlage so blind, dass er offensichtlich keinen Blick mehr dafür hat, wie aufdringlich die Symbole werden, wenn sie vom sprachlichen Bild in ein visuelles umgesetzt werden.
Mit Literaturverfilmungen ist das ja immer so eine Sache: Macht die Regie von der künstlerischen Freiheit Gebrauch, wird ihr das schnell zum Vorwurf gemacht, hält sie sich allzu streng an die Vorlage, wird aus einem guten Buch selten ein guter Film. Immerhin steht ein scharf analysierender Autor wie Martin Walser auch bei einer Komödie über die gängigen Irrungen und Wirrungen der menschlichen Gelüste für treffsichere Beobachtungen. So sind die Figuren sehr genau gezeichnet: In den routinierten Urlaub des routiniert nebeneinander her lebenden Ehepaares Helmut (Ulrich Noethen) und Sabine (Katja Riemann) platzt mit dem alten Studienfreund Klaus (Ulrich Tukur) nebst naiv-lebensfroher Geliebten Helene (Petra Schmidt-Schaller) das pralle Leben. Leider wirken all diese genau gezeichneten Figuren so berechnet aufgestellt wie die eines Schachspiels: jede mit vorgegebener Ausgangsposition und mit festgelegten Bewegungsmöglichkeiten. Mit hilflos trotziger Eifersucht sieht der völlig emotionslos wirkende Helmut seiner Frau zu, wie sie sich an der Energie des Lebemanns Klaus labt und zusehends Lust bekommt, auch von einigen der verbotenen Früchte zu naschen, die Klaus sich mir nichts dir nichts nimmt. Gleichzeitig kann er sich Helenes eigenartige Mischung von mädchenhafter Unbedarftheit und bedenkenlosem Hedonismus kaum mehr entziehen und entdeckt fast widerwillig, dass auch er noch in der Lage ist, niedere Triebe zu empfinden.
Was den Liebesreigen über die große Masse deutscher Befindlichkeitskomödien hebt, ist zum einen die deutliche Symbiose, die zwischen den Kontrahenten Helmut und Klaus angelegt ist. Diesen Clou verschenkt Kaufmann beinahe um des einfachen Lästerns willen, das sich auf den Unzulänglichkeiten eines arg überzeichneten Spießers ausruht. Auf der anderen Seite bleibt die Gefallsucht des weltmännisch auftretenden Dandys Klaus lange Zeit so unterbelichtet, dass sich der Verdacht aufdrängt, in dieser Figur spiegele sich eine heimliche Sehnsucht Kaufmanns. Dass die beiden Extreme einander nötig haben und ohne den anderen unvollständig und unausgeglichen bleiben wie die Kugelmenschen des Aristophanes, die seit ihrer Teilung auf der Suche nach ihrer abgeschnittenen Hälfte umherirren, wird erst spät und am Rand deutlich. Wie zum Ausgleich dieser verspielten Gelegenheit zu einem Tiefgang über mal kluge, mal altkluge Dialoge hinaus spart die Inszenierung nicht mit überdeutlicher Bildsprache. Wenn sich in die belanglose Sommerlauheit dunkle Wolken hineintürmen und sich der Sturm am Himmel zusammenbraut, braucht man kein feinsinniger Interpret zu sein, um den Ausgang der dickköpfig angetretenen Bootsfahrt vorherzusehen. Keine Frage, dass auch der rätselhafte Bezug der Figuren zum Titel gebenden Tier ausführlich in Wort und Bild erläutert wird.
Der Griff zu diesen konventionellen Mitteln ist umso bedauerlicher, als es eine ganze Generation junger deutscher Filmemacher deutlich besser vormacht. Die Berliner Schule (Pingpong, Montag kommen die Fenster, Yella, Falscher Bekenner, Ferien) zeigt wahre Dramen in Bildern des Alltäglichen, die ihre Kraft vor allem aus der Hintergründigkeit der Darstellung beziehen und zurzeit allerorten Preise und Anerkennung einheimsen, nur beim Publikum kaum Akzeptanz finden. Die Stärke liegt neben dem reduzierten Stil auch am intensiven und authentischen Spiel der Darsteller. Und hier kann „Ein fliehendes Pferd“ ein zweites Pfand in die Waagschale werfen. Mit Ulrich Noethen und Ulrich Tukur stehen sich zwei Darsteller gegenüber, die in ihrer Rolle aufgehen und Bedeutsames mit kleinen Gesten auszudrücken verstehen. Katja Riemann überrascht nicht ganz so positiv wie zuletzt in Das wahre Leben oder in Agnes und seine Brüder, ist aber nun endlich ihrem lange vorherrschenden Image der romantischen Beziehungstante entwachsen. Als viel versprechende Entdeckung changiert Petra Schmidt-Schaller als Helene zwischen belanglosem Naivchen und abgeklärter Femme Fatale. Die Chemie zwischen den vier Blättern dieses Kleeblattes ist es, die den Film trotz seiner Schwächen sehenswert macht. Sie hält die Spannung, obwohl sehr schnell absehbar ist, wohin der Weg führt. Ein wenig unvermittelt löst sich das Ganze dann auf und der Film ist zu Ende. Was bleibt, ist angenehme Unterhaltung mit pointierten Dialogen, unterstrichen von sinnfälligen Bildern. Nicht schlimm, aber auch kein großer Wurf.