Auf Realismus getrimmte Paranoia-Thriller sind schwer in Mode. Den Anfang machte die „Bourne“-Trilogie, dann kam Casino Royale hinzu, der dem Bond-Franchise einen realistischeren Anstrich verpasste. Albernen Firlefanz gibt es im modernen Spannungskino kaum noch, ebenso wenig technische Kinkerlitzchen, die von der eigentlichen Handlung ablenken. In dieselbe Richtung bewegt sich auch Regisseur Nai-Hoi Yau mit „Eye In The Sky“, der offensichtlich in der Tradition des superben Infernal Affairs (das asiatische Original von Departed: Unter Feinden) steht. Hier wie dort geht es um ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Superschurken und der Polizei.
Hongkong: Noch namenlose Menschen bewegen sich durch die labyrinthische Metropole. Darunter die junge Bobo (Kate Tsui). Sie verfolgt einen Mann mittleren Alters (Simon Yam) quer durch die Stadt bis in ein Restaurant. Der Mann setzt sich zu ihr und fragt sie freundlich, warum sie ihn verfolgen würde. Sie gibt sich ahnungslos, aber der Verfolgte lässt sich nicht täuschen. Dann wird klar: Es war ein Test. Bobo ist Polizistin und will zur Überwachungsabteilung der Polizei. Der Verfolgte ist „Schlappohr“, ihr zukünftiger Boss. Bobo besteht den Test mit Ach und Krach und erhält den Spitznamen „Piggy“, denn in der neuen Abteilung redet sich niemand mit wahrem Namen an. Der erste Auftrag lässt nicht lange auf sich warten: Die Stadt wird von einer Reihe generalstabsmäßig durchgeführter Überfälle auf Schmuckläden erschüttert. Bald gibt es eine erste Spur. Die Überwachungsbeamten versuchen verzweifelt, das Netz um die Tätergruppe enger zu ziehen. Ihr Ziel: Den „Unsichtbaren“ (Tony Leung) zu erwischen, der selbst nie bei den Überfällen in Erscheinung tritt, aber immer die Fäden in der Hand hält. Doch so sang- und klanglos lässt der sich nicht in die Suppe spucken und entgeht sämtlichen Versuchen, seiner habhaft zu werden. Und er schreckt im Ernstfall auch vor tödlicher Gewalt nicht zurück, um seinen letzten großen Coup zu landen…
Moderne Thriller zehren oft von der Angst der Bevölkerung, zum Objekt organisierter Staatsspitzelei zu werden. „Eye In The Sky“ geht den umgekehrten Weg. Ausnahmsweise sind die Überwacher diesmal Guten. Sie hören Telefone ab, beschatten und belauschen - immer im Dienste der Gerechtigkeit. Die Männer und Frauen um „Schlappohr“ durchschwärmen die Stadt, ständig im Funkkontakt zueinander, um ebenso unauffällig wie effektiv ihrem Auftrag nachzugehen. Das funktioniert im Film wirklich beeindruckend. Wenn ein Verdächtiger ausgemacht ist, wechseln sich die Überwachungsteams so unauffällig wie reibungslos ab, dass dieses heimliche Ballett schlichtweg fasziniert. Folgerichtig entledigen sich die Mitglieder des Teams auch ihrer Rufnamen. Sie gehen völlig in ihren Rollen als nicht wahrnehmbare Verfolger auf, reden sich nur noch mit ihren Spitznamen an und erfinden ebensolche auch für ihre Zielobjekte („Fat Man“).
Die heimlichen Ermittlungen richten sich stets gegen die Richtigen, Unschuldige sind hier nicht das Opfer von staatlichen Maßnahmen. Kritische Untertöne werden so ausgeblendet, politisches Bewusstsein schaffen ist nicht das Anliegen dieses straffen und schnörkellos inszenierten Thrillers: Überwachung muss sein, ansonsten würde Anarchie herrschen. Liberale Aspekte werden nicht angesprochen, was der Story eine Menge Potential raubt.
Gelungen ist vor allem die Wahl der Perspektiven. Sympathieträgerin ist „Piggy“, die jung und unerfahren ist, und der der Zuschauer gern die Daumen drückt. Durch sie wird es leicht gemacht, in die fremde schöne Überwachungswelt einzutauchen. Ebenso nett kommt auch „Schlappohr“ rüber, der sein Team mit väterlicher Güte führt. Allerdings geht dies auf Kosten der Glaubwürdigkeit, denn den harten Zugriff traut man ihm dann nicht wirklich zu. Auf der anderen Seite steht der „Unsichtbare“, der ebenfalls kein Abziehbild eines Berufskriminellen ist, sondern eher wie ein Vertreter wirkt. Irgendwie fiebert man auch mit ihm mit, jedenfalls bis er zu extremen Mitteln greift, um sich seiner Verhaftung zu entziehen. Seine Hintergrundgeschichte wird zwar angedeutet, dient aber nicht wirklich dazu, aus ihm einen dreidimensionalen Charakter zu machen. Er will die Kohle und er will flüchten. Das muss als Motiv ausreichen.
Der Film ist immer dann stark, wenn die junge „Piggy“ in Situationen gerät, in denen sie eine Wahl zwischen ihrer Mission und den Interessen Dritter treffen muss. Darf man eine Observation abbrechen, um zu verhindern, dass ein Mann auf offener Straße zusammengeschlagen wird? Wenn nein, wo ist die Grenze des nicht mehr Hinnehmbaren? Darf man einen sterbenden Mann liegen lassen, um einen Täter weiter zu verfolgen? „Piggy“ muss mehr als einmal derartige Entscheidungen treffen, bei denen es kein richtig oder falsch gibt. Dies sind die spannendsten Momente des Films. Was würde man selbst in solch einer Situation tun?
Ansonsten wird im Drehbuch allzu oft der Zufall bemüht, um die Handlung am Laufen zu halten. Hinzu kommt ein Nebenplot um eine Entführung, der nicht vorbereitet ist und aufgesetzt wirkt. Außerdem wird der Zuschauer das eine oder andere Mal an der Nase herumgeführt, speziell wenn sich der Film nicht entscheiden kann, einen der Hauptcharaktere sterben zu lassen oder nicht. Und der langsam aufgebaute und mit Spannung erwartete Showdown verpufft. Etwas mehr Action hätte dem ansonsten recht spannenden Film gut getan. Am Schluss fehlt einfach das reinigende Gewitter. Auf der Haben-Seite positiv zu verbuchen ist noch die gute Fotografie, das subtile Spiel der Hauptkontrahenten und die passende Musik.
Fazit: „Eye In The Sky“ ist das Regiedebüt von Nai-Hoi Yau, dem langjährigen Drehbuchautoren von Meisterregisseur Johnnie To (Mad Detective, The Sparrow). Zudem hat To den Film auch produziert und seine Stammdarsteller stellen einen Großteil der Besetzung. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen, die der Thriller jedoch nicht erfüllen kann. Insgesamt ist „Eye In The Sky“ ein handwerklich sauber gemachter Thriller, mehr aber leider auch nicht.