Mein Konto
    Du bist nicht allein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Du bist nicht allein
    Von Martin Thoma

    Berliner Plattenbaubewohner, für die „ein Jummibaum, dit Jrößte is“. Ehekräche, bei denen Fernseher aus dem Fenster geworfen werden. Ein alter Nachbar, der seinen fetten Mops durch die Straße trägt. Ein verklemmter deutscher Spießer auf einer Russenparty, auf der alle aus vollen Kehlen singen. Eine erfolglose Schauspielerin, die Telefonsexwerbung synchronisieren muss. Riesenhafte wandelnde Werbe-Handys mit armen jobsuchenden Menschen drin. Solche Einfälle wären selbst dann nicht gerade originell, wenn man sie zum ersten Mal sähe. Regisseur und Drehbuchschreiber Bernd Böhlich („Mutterseelenallein“) hat eine Tragikomödie nach dem Schema „sozialrealistisch, aber warmherzig-hoffnungsvoll“ gedreht, die sich immer mal wieder an der Grenze zur unfreiwilligen Parodie auf das Genre bewegt. Dennoch weiß „Du bist nicht allein“ zu unterhalten, stellenweise sogar zu berühren. Nicht nur, aber zu einem großen Teil liegt das an den Darstellern. Vor allem Katharina Thalbach und Axel Prahl als Ur-Berliner Ehepaar geben hier so energiegeladen und sensibel traditionelles Volksstück, dass man ihnen jedes gebrauchte Klischee als Neuware abkauft.

    Familie Moll wohnt in einem Berliner Plattenbau. Hans Moll (Axel Prahl, Halbe Treppe, Willenbrock) ist arbeitslos und hat viel Zeit aber wenig Lust, seinen Sohn zum ermäßigten Tarif („Schwerbehindert, arbeitslos oder Student?“) ins Freibad zu begleiten. Frau Moll (Katharina Thalbach, Die Blechtrommel) war Wurstverkäuferin und ist mehr als stolz darauf, im Schichtdienst bei einem privaten Wachschutzunternehmen endlich wieder eine Arbeit gefunden zu haben. Die Molls bekommen neue Nachbarn. Da ist einmal Kurt Wellinek (Herbert Knaup, Das Leben der Anderen, Lichter, Agnes und seine Brüder), promovierter Physiker, ebenfalls arbeitslos und wie es aussieht bald auch depressiv und alkoholkrank. Seine Frau Sylvia (Karoline Eichhorn, Ferien, großartig in Dominik Grafs „Der Felsen“) hat ihn rausgeschmissen. Er ist in die Plattenbauwohnung gezogen, von deren Balkon er ihr Einfamilienhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite weiter fest im Blick hat. Sylvia wiederum kann sich als Schauspielerin gerade so über Wasser halten, allerdings nur unter für sie demütigenden Bedingungen. Dann ist da die Russin Jewgenia (Katerina Medvedeva), die mit ihrer Tochter in die Wohnung direkt neben den Molls zieht. Jewgenia, auch ohne Arbeit, ist attraktiver und mit mehr Lebensenergie ausgestattet als der Rest der Figuren. Hans Moll verliebt sich auf den ersten Blick in sie, startet eine Reihe von Annäherungsversuchen und überhäuft sie mit kleinen spontanen Aufmerksamkeiten wie einer Waschmaschine für 200 Euro („Wer hat denn hier im letzten Monat 200 Euro von unserm Konto abjehoben?“), und sogar dem legendären Gummibaum („Wo is denn der Jummibaum abjeblieben?“). Jewgenia ist nicht wirklich entschieden, wie sie damit umgehen will. Lange so weitergehen kann das nicht.

    Schwimmenlernen als Metapher gehört ja eigentlich auch verboten. Bernd Böhlich findet sie so aussagekräftig, dass sie sogar für die Schlussszene herhalten muss. Immerhin man versteht, was gemeint ist. Hans Moll hat sich zurückgezogen zwischen die Trennwände seines Balkons, die er mit bunten Bildern bemalt. Als er sich Hals über Kopf in Jewgenia verliebt, wagt er sich wieder hinaus aufs weite Meer, oder zumindest ins Freibad. Kurt Wellinek ist gestrandet in seiner unfertig eingerichteten Wohnung mit Balkonblick zurück auf sein altes Leben. Sylvia muss ihn wieder ins Wasser holen, wohl auch, um selbst nicht unterzugehen. Frau Moll, die Figur, die am Ende des Films im Wortsinne Schwimmen lernt, hat mit der Aussicht, mit einem neuen Job auch endlich wieder einen Sinn im Leben gefunden zu haben, einen naiven Tunnelblick entwickelt, der sie die Dinge, die wirklich wichtig wären, übersehen lässt. Frau Moll strampelt sich ab für das Gefühl, wichtig zu sein, eine wichtige Funktion einzunehmen. Am Ende lernt sie für sich selber schwimmen. Jewgenia ist schon aufgebrochen in ein neues Leben, in dem sie sich neu zurechtfinden muss.

    Wir haben also eine Anzahl von Personen unterschiedlicher Herkunft mit einer Reihe von Problemen, von denen Arbeitslosigkeit und Einsamkeit die zentralen sind, an einem ausreichend traurigen Ort versammelt. Wenigstens im immer übervölkerten Fahrstuhl – einem schönen Running Gag - ist hier niemand allein. Dazu kommen die Liebe und Veränderungen in realistischer Dosierung sowie - für alle Geschichten obligatorisch - ein offenes Ende, das ein bisschen traurig stimmt, aber auch Hoffnung macht.

    Wenn es nicht so schematisch wäre, könnte es richtig gut sein. Wenn der Film so stark wäre wie seine Hauptdarsteller. Axel Prahl macht nicht zum ersten Mal den Bilderbuchproll, aber bei ihm stimmt jeder leise Zwischenton. Hans Moll ist unbeholfen, komisch, eine Type, vielleicht lächerlich aber nie albern. Man glaubt ihm die Verliebtheit in jedem einzelnen Blick, man glaubt ihm sogar den Gesangsvortrag und den Gummibaum. Und man geht mit, wenn er schließlich im Treppenhaus heult und brüllt wie ein Kind. Katharina Thalbach die Begeisterung für ihren Wachschutzjob abzukaufen fällt etwas schwer, was nicht an ihr liegt, sondern an einigen unnötig überzogenen Szenen. Aber ihre Versuche, Hans zu erreichen und ihr tapferes Ignorieren, wie weit weg von ihr er tatsächlich schon ist, sind großartig. Es ist nicht nur die Schauspielkunst dieses perfekt besetzten Pärchens. Der Film hat einige Szenen, die ganz einfach und ganz stark sind. Wenn Hans Moll schmerzhaft verliebt und existenziell verunsichert durch die Nacht streift und versehentlich seine Frau von der Spätschicht abholt zum Beispiel. Böhlich geht so sensibel mit seiner weit überdurchschnittlichen Schauspielerriege um, kann die Sehnsucht und Unsicherheit der Figuren auch in kleinen Gesten und gelungenen Dialogen so unmittelbar rüberbringen, dass man sich wundert, warum er trotzdem so häufig auf Plattheiten zurückgreift.

    Besser als die überzogene (und dreifach erklärte) Symbolik leerer Lagerhallen oder Witzchen mit Enten, von denen sich Frau Moll nicht gerne beim Pinkeln beobachten lässt oder gar dem ganz schlichten Kitsch, wenn ein Nachtfalter eine Schnittfolge überbrücken muss, sind die lakonischen Momente. Ist die ganz nebenher laufende Geschichte der Kinder von Familie Moll und Jewgenia. Der Sohn der Molls würde gern von Jewgenias Tochter beachtet werden. Sie sucht lieber Beachtung, indem sie vorm Einkaufscenter betteln geht. Drei Szenen, kaum Dialog, glückliche Kindheit in vollendeter Einsamkeit.

    Die eigentliche Schlussszene soll nicht verraten werden. Sie ist das Negativ einer klärenden Aussprache der drei Hauptfiguren und der Höhepunkt des Films, der hier einmal wirklich originell und konsequent ist. Wie Frau Moll Jewgenia danach erst gefasst und dann auf Nachfrage schreiend die Absolution zusammen mit einer Deutschlektion erteilt: „’Nicht vorsätzlich’, das heißt nich mit Absicht!“, das nennt man großes Kino.

    Na ja und dann sehen wir Frau Moll beim Schwimmenlernen zu.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top