150 Millionen Nutzer weltweit, ein Reingewinn von 1,12 Milliarden Dollar 2006 – ganze elf Jahre nach dem Start. Die Marke ist in der Onlinewelt so bekannt, wie vielleicht nur noch Microsoft oder Google. Von eBay, dem größten Flohmarkt der Welt ist die Rede. Doch was steckt hinter dieser beispiellosen Erfolgsstory? Die beiden deutschen Dokumentarfilmer Marcus Vetter und Stefan Tolz gehen diesem globalen Phänomen in ihrem Film „Traders’ Dreams - Eine Reise in die eBay-Welt“ punktuell und feinfühlig auf den Grund.
Dabei wählen die Filmemacher den ganz kleinen, aber nicht wenig spannenden Ansatz. Sie brechen ein Massenphänomen auf eine Handvoll Menschen rund um den Erdball herunter. Ein Jahr lang reiste das Regie-Duo um die Welt und beobachtete seine Protagonisten bei ihren Erfahrungen mit dem größten Internetauktionshaus der Welt. Das Spektrum reicht vom Münzsammler auf der schottischen Insel Isle Of Skye, über den amerikanischen Geschäftsmann mit einem sechsstelligen Dollarumsatz im Jahr und die mexikanischen Künstler, die ihre kunstvoll bemalten Vasen am liebsten im Eigenvertrieb verkaufen möchten bis zur arbeitslosen Familie im sächsischen Borna, die den amerikanischen Traum vergeblich zu träumen versucht. Die Schicksale dieser Personen stehen im Mittelpunkt von „Traders’ Dreams“. Die Betrachtungen der Gemeinde um eBay-Gründer Pierre Omidyar finden nur am Rande statt. Der Film gibt sich nicht als investigativer Wirtschaftskrimi à la Enron - The Smartest Guys In The Room oder als brillanter, sarkastischer Abgesang wie die Filme eines Michael Moore (Bowling For Columbine, Fahrenheit 911) oder Morgan Spurlock (Super Size Me). Im Kleinen den großen Zusammenhang herstellen, darum geht es Vetter und Tolz offensichtlich.
Die wirtschaftliche Komponente wird jedoch nicht völlig außer Acht gelassen. In China bringt das Flohmarkt-Portal Alibaba mit seinem ehrgeizigen Geschäftsführer Jack Ma den US-amerikanischen Branchenriesen ins Wanken. Keine Gebühren, mehr Flexibilität: Das ist die Zauberformel, mit der Alibaba eBay in China vom Markt drängte.
Vetter und Tolz springen in sorgsam bekannter Dokufilm-Manier von Schauplatz zu Schauplatz, um ihre Geschichten häppchenweise zu erzählen. Das ist nun alles andere als neu, aber dank des feinen Gespürs der Regisseure für ihre Protagonisten funktioniert diese Herangehensweise. Das Duo schafft es, die Zuschauer für ihre so unterschiedlichen Figuren zu interessieren. Die Bemühungen der naiven sächsischen Familie Thurm, die es als Ich-AG zum eBay-Powerseller bringen will, zu verfolgen, schmerzt. Mit grenzenlosem Optimismus kämpfen sie gegen die Windmühlen der Realität am heimischen Markt an. Ob mit Karnevalskostümen, sächsischen Spezialitäten oder einem ganzen Imbissmarktwagen: Der Weg zum erfolgreichen Powerseller ist verdammt schwer, lang und steinig. Die Filmemacher belustigen sich aber keinesfalls am Scheitern der Verzweifelten und vom deutschen Arbeitsmarkt Ausgestoßenen.
Wesentlich humorvoller ist der Blick nach Schottland, wo urtümliche, liebevolle Kauze zeigen, was mit eBay alles möglich ist. Sie wirken, als ob sie gerade Kirk Jones’ Komödie Lang lebe Ned Devine entstiegen sind. In Mexiko ist der moderne Fortschritt auch nicht aufzuhalten, in einer Marktnische gedeiht das Geschäft der begnadeten Kunsthandwerker prächtig, während die Amerikaner dem Kapitalismus wie eh und je frönen, die Mexikaner dafür ausnutzen, aber dies zumindest mit einer gewissen Würde und Menschlichkeit.
Lange Zeit lassen die Filmemacher ihr Publikum im Unklaren darüber, ob sie mit „Traders’ Dreams“ einen lobhudelnden eBay-Werbefilm präsentieren wollen oder doch noch etwas im Kritikköcher haben. Doch dieses Herantasten ist Finesse, denn nach und nach schleichen sich Tendenzen ein, die jeder selbstverständlich nach eigenem Gusto deuten kann. Aber Vetter und Tolz stellen den harten, amerikanischen Kern der ebay-Gemeinde als sektengleiche Vereinigung dar, die zum zehnten Jubiläum der Firma zu einem ekstatischen Jüngerhappening zusammenkommt, um scheinbar den Heiland des Kapitalismus zu preisen. Hinter der Bühne halten Jim Griffith, Verfasser der „eBay-Bibel“, und Gründer Pierre Omidyar einen kleinen Plausch, was „Onkel Griff“ denn bei der Veranstaltung als Moderator zu fragen gedenkt. Was passiert mit den monströsen Gewinnen eBays? Dies will Omidyar besser nicht vor der tobenden Jüngermasse diskutieren... Die Antwort bleibt offen. Der Film gibt sie auch nicht, jeder kann sich selbst vorstellen, was damit geschieht.
Fazit: „Jeder kann dank eBay erfolgreich sein!“ Mit dieser Illusion räumen Vetter und Tolz in ihrem Film unaufgeregt auf. Natürlich „kann“ jeder erfolgreich sein, aber eine Garantie oder etwas, das diesem auch nur ungefähr nahe käme, gibt es nicht. Ist „Traders’ Dreams“ des Sehens wert? Unbedingt! Gibt es einen Grund, dieses augenzwinkernde filmische Essay im Kino zu starten? Eigentlich nicht. Das Format wird kaum ausgenutzt und guckt sich an einem netten Abend bei Arte genauso gut. Wer dennoch den Weg ins Programmkino antritt, wird ihn aber keinesfalls vergebens getätigt haben...