„Zeichentrick hat einen neuen Namen: Animation X.“ Dieses marktschreierische Zitat aus der Pressenotiz zum Zeichentrickfilm „Die drei Räuber“ weist auf große Ambitionen hin. Die Tomi-Ungerer-Verfilmung unter der Regie von Hayo Freitag („Käpt'n Blaubär – Der Film) ist die erste Produktion der 2004 gegründeten Animation X, deren Gründer angetreten sind, künstlerischen Anspruch mit technischer Qualität und internationaler Vermarktbarkeit zu kombinieren. Hehre Ziele, die schwer in die Tat umzusetzen sind, aber „Die drei Räuber“ erfüllt diese hohen Vorgaben tatsächlich weitgehend. Im Gegensatz etwa zum auch in Deutschland co-produzierten, grässlich einfallslosen Es war K´Einmal im Märchenland, der fast ausschließlich an den großen Hollywood-Erfolgen orientiert ist und dabei sowohl erzählerisch als auch animationstechnisch enttäuscht, waren die Macher von „Die drei Räuber“ klug genug, den Tonfall und Stil der berühmten Vorlage aufzugreifen und sie zugleich individuell anzureichern und weiterzuführen. Aus dem bereits 1961 erschienenen schmalen Bilderbuchklassiker wurde mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail ein originelles Filmvergnügen für die ganze Familie.
Die kleine Tiffany (Stimme: Elena Kreil) soll nach dem Tod ihrer Eltern in das Waisenhaus gebracht werden, als die Kutsche im nächtlichen Wald von den drei Räubern Malente (Joachim Król), Flinn (Bela B. Felsenheimer) und Donnerjakob (Charly Hübner) überfallen wird. Als diese statt der erhofften reichen Beute nur das Mädchen vorfinden, wollen sie enttäuscht von dannen ziehen. Aber Tiffany wittert die Chance, dem gefürchteten Heim zu entgehen und gibt sich als Tochter eines reichen Maharadschas aus, worauf die Räuber sie in ihre Höhle entführen und bald lieb gewinnen. Unterdessen führt die böse Tante (Katharina Thalbach) im Kinderhaus ein grausames Regiment. Sie lässt die Kinder hart in ihrer Zuckerrübenfabrik arbeiten und versorgt sie schlecht. In ihrem Turm genießt die Tante dagegen herrliche Torten. Als sie erfährt, dass Tiffany entführt wurde, ist sie fuchsteufelswild und verlangt die Hilfe des Polizisten (Hayo Freitag). Bald können zwei Jungen aus dem Heim flüchten, Tiffanys Schwindel droht aufzufliegen und der Gendarm verwarnt eine Schnecke wegen Überschreitung des Tempolimits. Am Ende wird die böse Tante in einer großen Tortenschlacht besiegt und ein Schatz einer guten Bestimmung zugeführt.
Tomi Ungerer ist nicht nur als Zeichner und Autor von Kinderbüchern weltbekannt, sondern auch als Grafiker und Satiriker. In seiner New Yorker Zeit in den 60er Jahren schockierte er mit expliziten Cartoons, die den grassierenden Sexismus karikierten. Seit 30 Jahren lebt der Elsässer nun im Wechsel auf einer Farm in Irland und in Straßburg. Er betätigt sich nach wie vor in den verschiedensten graphischen Genres und für „Die drei Räuber“ übernahm er höchstpersönlich die Erzählerstimme. Er führt mit der ihm eigenen Lakonie durch die Geschichte, diese Haltung trägt wesentlich dazu bei, dass „Die drei Räuber“ nie der simplen didaktischen Moralisierung verfällt, die in vielen anderen Kinderfilmen vorherrscht. Hier sind Gut und Böse durchaus nicht immer eindeutig zuzuordnen. Und die fein kultivierte Skepsis gegenüber Autoritäten, die den ganzen Film über immer wieder zum Ausdruck kommt, lässt die anarchische Ader des Moralisten Ungerer spüren.
Ganz bewusst wurde für „Die drei Räuber“ ein fast schon altmodischer, zweidimensionaler Zeichenstil gewählt, der sich an Ungerers Buch orientiert. Regisseur Freitag folgt aber wie bei „Käpt'n Blaubär“, mit dem er 1999 bereits eines der gelungensten Beispiele des jüngeren deutschen Zeichentrickfilms vorlegte, nicht sklavisch einer ästhetischen Leitlinie. Düstere Nachtbilder vermitteln das Unheimliche des Waldes, die fiese Tante wirft einen langen Schatten über die Kinder. Auch die endlosen Treppen des Turms und das Zuckersirup-Maschinenungetüm erinnern an expressionistische Stummfilmbilder. Diese Mittel des Kinos der Angst sind überaus wirkungsvoll in die märchenhafte Erzählung integriert. Das Düstere hat seinen Platz und wird wunderbar durch verspielte oder niedliche Elemente ergänzt. Freitag vermeidet jede Hektik, vielmehr wird die Handlung manchmal regelrecht angehalten, damit wir uns gebührend an einem skurrilen Detail am Wegesrand erfreuen können. In den flächigen Bildern können wir auf Entdeckungsreise gehen und so kann für Momente eine Eule oder eine Fledermaus die Hauptrolle übernehmen.
Besonders lebendig wird „Die drei Räuber“ durch die sehr gute Besetzung - nicht zuletzt, weil die Sprecher sich bei den zu großen Teilen bereits vor Montage und Animation durchgeführten Tonaufnahmen ganz individuell zur Geltung bringen konnten. Die Räuber bekommen durch Joachim Król („Der bewegte Mann“, Lautlos), Bela B. Felsenheimer (Terkel In Trouble, Video Kings), der als Drummer und Co-Sänger der Band „Die Ärzte“ am bekanntesten ist, und Charly Hübner (Im Schwitzkasten, Hände weg von Mississippi) ganz unterschiedliche Konturen. Sie haben genauso wie Katharina Thalbach (Die Blechtrommel, Sonnenallee), die genüsslich die böse Tante gibt, hörbar Spaß an ihren Rollen. Die Show stiehlt ihnen aber die achtjährige Elena Kreil als Tiffany. Aufgeweckt und herzensgut, frech und einfallsreich gewinnt sie nicht nur die Herzen der Räuber für sich.
„Die drei Räuber“ bietet als kongeniale Adaption von Tomi Ungerers Vorlage weit mehr als bloß perfekte Familienunterhaltung. Hayo Freitags Film ist nebenbei ein unaufdringliches Plädoyer für das Recht, Kind zu sein, wobei respektlos-kritische Untertöne nicht fehlen. Beseelt wird das Ganze von der Räubermusik der „Bananafishbones“. Das Titellied hat Ohrwurmqualitäten, der Film ist ein kleines Juwel. Animation X hat mit „Die drei Räuber“ einen nachhaltig gelungenen Einstand gegeben. Dem deutschen Zeichentrickfilm ist ein vielversprechender Weg gewiesen.