Ein neuer Film von Wim Wenders ist an sich ein Ereignis – „Palermo Shooting“ ist jedoch auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Nach 15 Jahren drehte Wenders, der Klassiker wie Paris, Texas und Bis ans Ende der Welt und Der amerikanische Freund schuf, erstmals wieder in Europa. Seine vorherigen Filme produzierte der mittlerweile 63-jährige Filmemacher allesamt in den USA. Doch „Palermo Shooting“ ist nicht nur eine Rückkehr nach Deutschland, Wenders besinnt sich auch auf seine persönlichen Wurzeln. Immerhin spielt die erste Filmhälfte in Düsseldorf, der Heimatstadt des Regisseurs. Um voller Begeisterung von Wenders deutschem Comeback zu sprechen, ist sein Film aber leider nicht gut genug.
Über mangelnden Erfolg kann sich Finn (Campino) nicht beklagen. Seine Bilder werden in bedeutenden Museen ausgestellt und auch als Modefotograf ist er sehr gefragt. Doch der Erfolg hat auch seine Schattenseiten. Sein Mobiltelefon steht nie still und das hektische Leben in Düsseldorf hat ihn ruhelos gemacht. Er leidet unter Schlaflosigkeit. Erst als er bei einer nächtlichen Heimfahrt beinahe tödlich verunglückt, merkt Finn, dass er etwas in seinem Leben ändern muss. Nach einer Übernachtung auf den Rheinwiesen bringt ihn eine seltsame Begegnung mit einem Hobby-Schafzüchter auf eine Idee: Er beschließt, wegzufahren und seinen nächsten Job – ein Fotoshooting mit Mila Jovovich – nach Palermo zu verlegen. Dort angekommen, lässt sich der Fotograf durch die Altstadt treiben und verliert sich immer mehr in bedrohlichen Träumereien, in denen er von einem geheimnisvollen Bogenschützen (Dennis Hopper) verfolgt wird. Gemeinsam mit der schönen Restaurateurin Flavia (Giovanna Mezzogiorno) ergründet Finn, was es mit seinen Visionen auf sich hat…
Auch wenn Kraftfahrzeuge in dem Film nur eine untergeordnete Rolle spielen, hat „Palermo Shooting“ etwas von einem Road Movie. Es geht ums Unterwegssein. Die von Finns MP3-Player mit wundervollen Stücken untermalte Reise ist allerdings eher innerer Natur. Bei dieser Erzählform kann Wenders seine Stärken voll ausspielen. Dass er ein Meister darin ist, (Reise-)Stimmungen einzufangen und in Bilder zu übersetzen, hat der Musikfan schon mit Don‘t Come Knocking und Bis ans Ende der Welt unter Beweis gestellt. Und wie zum Beispiel schon bei „Buena Vista Social Club“ und Viel passiert - Der BAP-Film spielt die Musik auch in „Palermo Shooting“ wieder eine besondere Rolle. Wenders selbst bezeichnet sein neues Werk als Rock'n'Roll-Film, der sich in der Art eines Bluessongs dem Thema Tod über seine Bilder nähert. Besonders in der zweiten Filmhälfte, in der sich Finn zur Musik seines Players einfach durch die Stadt treiben lässt, entfaltet Wenders’ spezifische Art, Filme zu machen, seine volle Wirkung. Songs von Nick Cave, Lou Reed (der auch einen kleinen Gastauftritt absolviert) und anderen Größen schmücken diesen Film und sorgen bei Finns Odyssee durch die malerischen Gassen Palermos für Gänsehautmomente.
Wer die Befürchtung hatte, dass Andreas Frege alias Campino („Langer Samstag“) den Herausforderungen dieses Beinahe-Einpersonenstücks nicht gewachsen ist, sei beruhigt. Zwar hat der Sänger der Band „Die Toten Hosen“ mit dem ruhelosen Finn eine schwere Aufgabe zu stemmen, doch er meistert sie erstaunlich gut. Was Campino an Schauspielerfahrung fehlt, macht er durch eine starke Präsenz und Natürlichkeit wieder wett. Dass manche Szenen dennoch unfreiwillig komisch wirken, ist weniger Campino als dem Drehbuch von Wim Wenders anzulasten – und das ist auch schon die Überleitung zu den Problemen des Films. An den Bildern und der Musik des Films, der wie alle Wenders-Werke einen eigentümlichen Sog entwickelt und den Zuschauer in die Geschichte hineinzieht, ist nicht das Geringste auszusetzen. Weniger gelungen sind allerdings viele der gestelzt wirkenden Dialoge, die sich durch den ganzen Film ziehen. Da hilft auch das Aufbieten von Mila Jovovich („Million Dollar Hotel“) und Dennis Hopper (mit dem Wenders zuletzt vor 30 Jahren bei Der amerikanische Freund zusammenarbeitete) nichts. Auch ihnen legt Wenders immer wieder Sätze in den Mund, die es schwer machen, sich über ihre Auftritte zu freuen. Als einen „Quasselfilm, dessen erbärmliche Dialogqualität den Zuschauer von Anfang an quält“ hat der Filmkritiker Rüdiger Suchsland „Palermo Shooting“ bezeichnet. Auch wenn es ganz so schlimm dann doch wieder nicht ist – die Qualität des Drehbuchs vermag einfach nicht zu überzeugen.
Ebenfalls zwiespältig ist der Erzähldrang des Regisseurs, mit dem er diverse angeschnittene Themen scheinbar ungefiltert aneinanderreiht. Assoziationen zum Wahren und Schönen, dem Verhältnis von Schein und Sein, zum menschlichen Verhältnis zur Begrenztheit der eigenen Existenz, zur Sinnfrage und schließlich zum Thema Liebe, die sich zum Schluss auch noch in den Film schmuggelt, müssen Wenders bei der Arbeit am Skript durch den Kopf gegangen sein. Einen stimmigen Ansatz, diese Komplexe unter einen Hut zu bekommen, hat Wenders allerdings nicht gefunden. Stattdessen wirft er mit Bildern, Metaphern, Symbolen und bedeutungsvollen Andeutungen um sich, ohne wirklich etwas Substanzielles mitzuteilen. Ein wenig kann man da schon das Gefühl bekommen, dass Wenders selbst nicht so genau wusste, wohin die Reise eigentlich gehen soll. „Wovon man nicht reden kann, darüber sollte man schweigen“, schrieb Wittgenstein in seinem Tractatus. Selbst wenn man diese Forderung schwerlich auf künstlerische Arbeit anwenden kann, hätte Wenders doch gut daran getan, sich dezidierter zu überlegen, was er mit seinem neuen Werk eigentlich zum Ausdruck bringen will.
Fazit: Theatralisch, prätentiös und bedeutungsschwanger? Oder doch eher stilvoll, geheimnisumwoben und todschick? Das muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden. Fest steht allerdings, dass Wim Wenders mit „Palermo Shooting“ den – für seine Verhältnisse – schwächsten Film seit langer Zeit abgeliefert hat. Aber zumindest Wenders Gespür für Atmosphäre und Stimmungen machen auch diesen Film noch sehenswert.