Die Flut der Filmporträts über Musiker und Schriftsteller, über bildende Künstler und Architekten scheint gar nicht mehr abreißen zu wollen. Was letztlich auch gar nicht so verwunderlich ist. Schließlich sind Künstler mit all ihren Erinnerungen und Geschichten in der Regel ein geradezu ideales Gegenüber für einen Dokumentarfilmer. Nur wie ist es mit ihrem Werk. Während sich die Persönlichkeit des Porträtierten fast immer recht schnell in einigen Interviewsequenzen wie auch in Gesprächen mit Freunden und Weggefährten umreißen lässt, entzieht sich dessen künstlerische Arbeit meist dem filmischen Zugriff. Geschichten, gerade auch Lebensgeschichten, erzählen, das kann das Kino perfekt. Von Kunst, ihrer Entstehung, ihrer Bedeutung und ihrem Wirken zu sprechen, damit tun sich Filmbilder dagegen generell eher schwer. Dem brasilianischen Filmemacher Fabiano Maciel ist mit seiner Dokumentation „Oscar Niemeyer – Das Leben ist ein Hauch“ nun genau dieses Kunststück gelungen. Sein Porträt des Jahrhundert-Architekten ist zugleich auch ein filmisches Testament der Macht, die von Gebäuden ausgehen kann.
Mehr als zehn Jahre haben Fabiano Maciel und sein Produzent Sacha an ihrer Dokumentation gearbeitet. Immer wieder haben sie sich mit dem 1907 geborenen avantgardistischen Architekten und streitbaren Kommunisten getroffen, haben seine überall auf der Welt zu findenden Werke gefilmt und sich mit seinen Freunden und Bewunderern getroffen. Seit 1937, als er zusammen mit seinem Freund und Förderer Lúcio Costa und seinem Lehrmeister Le Corbusier einen Entwurf für das Erziehungsministerium in Rio de Janeiro entwickelt und schließlich umgesetzt hat, zählt Oscar Niemeyer zu den radikalen Erneuerern der architektonischen Moderne. Seine oft in Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern entstandenen Arbeiten haben nicht nur sein Land geprägt, große Teile von Brasiliens aus der Retorte erschaffener Landeshauptstadt Brasília wurden von ihm geplant. Mit ihren geschwungenen Linien, all ihren mal schlichten, mal extravaganten Stützpfeilern und ihren Rampen haben die von ihm entworfenen Gebäude der Architektur weltweit neue Räume eröffnet.
Niemeyer ist ein Mann der Widersprüche. Auf der einen Seite ist er zeitlebens für kommunistische Ideen und Ideale eingetreten. Auf der anderen war er aber immer auch ein radikaler Ästhet, ein Architekt, dem Zweckmäßigkeit nicht viel bedeutet, einer, der seinen eigenen Geniekult begründet hat. Fabiano Maciel versucht gar nicht erst, diese Widersprüche aufzulösen. Stattdessen hat er Niemeyer ganz bewusst eine filmische Bühne bereitet, auf der sich dieser überaus pragmatische Träumer nach Herzenslust präsentieren kann. Niemeyer arbeitet dabei unentwegt an seinem Mythos und erweist sich nebenbei noch als Schlüsselgestalt des 20. Jahrhunderts. Seine nicht aufzulösenden inneren Widersprüche sind die dieser Zeit.
Zunächst mag es ein wenig irritieren, wenn der Architekt sagt, dass er mit seinen Bauwerken gerade auch den einfachen Menschen, den Armen, die ansonsten von Architektur eher ausgeschlossen werden, etwas schenken wollte. Ihre sinnlichen Formen sollen Schönheit in das Leben der Passanten bringen, sie für einen Moment zum Innehalten bewegen und sie verzaubern. Auf den ersten Blick scheinen diese ästhetizistischen Ideen und Vorstellungen so gar nicht zu den sozialrevolutionären Idealen zu passen, zu denen sich der Architekt auch in dieser Dokumentation immer wieder bekennt. Doch nach und nach gelingt es Fabiano Maciel, das utopische Potential von Niemeyers Entwürfen zu offenbaren. Wenn Maciels Kamera an den geschwungenen Außen- oder Innenwänden seiner Bauwerke entlang schwebt, wenn sie oft nur für einen kurzen Augenblick deren unverkennbare Formen in Beziehung zu den sie umgebenden Räumen setzt oder einfach nur deren Extravaganz huldigt, hat das jedes Mal etwas von einer Offenbarung. Diese Gebäude, die im perfekten Einklang sind, mit der Natur genauso wie mit der sie umgebenden Zivilisation, erzählen von einer Freiheit, die mehr sein kann als ein Traum.