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    How to Cook Your Life
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    How to Cook Your Life
    Von Samuel Rothenpieler

    In Zeiten der Globalisierung ist es eine offensichtliche Entwicklung, dass sich auch die Essgewohnheiten der Menschen stark wandeln. Die Verfügbarkeit von Coca-Cola, Erdnussriegeln oder Hamburgern ist auf dem ganzen Planeten Erde zur Selbstverständlichkeit geworden. Regionale und traditionelle Gewohnheiten des Essens, Landesspezialitäten- und Besonderheiten werden mehr und mehr auch für den Weltmarkt erschlossen, selbst wenn sich ein italienischer Olivenanbauer nie und nimmer mit dem gestreckten, abgepackten und konfektionierten Produkt Olivenöl identifizieren würde, das der Supermarkt um die Ecke zum Sonderpreis und im Vorratspack anbietet. Das breite und reichhaltige Angebot des Marktes bestimmt unsere Lebens- und Essgewohnheiten derart, dass wir vielleicht unser ganzes Leben lang pappartiges Toastbrot, Tütensuppe und Tiefkühlpizza für den Höhepunkt aller kulinarischen Genüsse halten. Doch es kommt nicht von ungefähr, dass sich in zeitversetzten Schüben Widerstand regt gegen die verlotterte, dekadente und ungesunde Lebensart unserer Zeit. Die Tatsache, dass sich Filmemacher nun daran begeben, Kritik zu äußern, dürfte in dieser Hinsicht als positive und notwendige Entwicklung gesehen werden. Super Size Me war bereits ein gelungener Affront an das McDonalds-Imperium, der jedoch nur an der Oberfläche kratzte. Mit dem Dokumentarfilm „How To Cook Your Life“ von Erfolgsregisseurin Doris Dörrie gewinnt die Trendbewegung der Gesellschafts- und Kulturkritik einen bedeutenden Mitkämpfer: die Philosophie. Genauer, die Philosophie des Zen-Buddhismus in der Verkörperung des Zen-Priesters und Meisterkochs Edward Espe Brown aus Fairfax, Kalifornien, dem „berühmten“ Verfasser der Tassajara-Kochbücher.

    Man könnte sich jetzt fragen, was Kochen mit Philosophie zu schaffen hat; schließlich ist der Hunger mittlerweile zum Randbedürfnis unserer schnelllebigen Kultur verkommen oder aber nur noch Teil des Müßiggangs bestimmter Gesellschaftsschichten. Die Antwort findet sich fernab unserer westlich geprägten Vorstellungen von Esskultur und Lebensphilosophie in der buddhistischen Religion des Zen. Oder wie Edward Espe Brown es anschaulich formuliert: „Wenn du kochst, dann kochst du nicht einfach, du arbeitest zugleich an dir selbst und an anderen Menschen.“

    Der Inhalt des Films interessiert nur am Rande. Man sieht, wie Brown einen Kochkurs in einer österreichischen Kleinstadt leitet, ruhig die Kochanweisungen erklärt, scherzt und herzhaft über seine eigenen skurrilen Aussagen lacht. Die Teilnehmer hören gebannt zu und bemühen sich redlich, den Anweisungen des Zen-Priesters zu folgen. Sie machen Meditationsübungen und schnitzen kurz darauf wieder an Möhrchen und Radieschen, backen Brot und heften sich wieder an die Lippen Browns. Sie sind unkonzentriert und der in sich ruhende Meister bekommt plötzlich einen unerwarteten, zornigen und wütenden Anfall. Der Schauplatz wechselt nach Kalifornien: Im Tassajara Zen Mountain Center, wo der jung gebliebene, leicht bubenhaft-verschmitzt wirkende Zen-Priester Brown seine Tassajara-Kochbücher anpreist, zeigt Dörrie das Umfeld Browns und gibt Einsichten in sein Leben als gemeinnütziger Koch für die amerikanischen „Tafeln“, aber auch Einblicke in das Leben einer Zweiklassengesellschaft, in der die einen genussüchtig und verschwenderisch ihre Lebensmittel wegwerfen, die die anderen wieder aus den Mülltonnen fischen, um sich damit am Leben zu erhalten.

    Dörries Film ist Kulturkritik pur, auch wenn man dies anfangs nicht vermuten mag. Aber „How To Cook Your Life“ ist auch die Lebensgeschichte eines bemerkenswerten und tiefgründigen Mannes, gleichsam eine Einführung in die facettenreiche und bemerkenswert bedeutungsvolle Philosophie des Kochens. Edward Espe Brown ist wohl der einzige Mensch auf der Welt, der mit alten, zerbeulten Kochtöpfen mitleidet, der die treibende Ente im endlosen Gewässer (eine Thematik des Zen) zu seinem Vorbild erklärt oder das einzelne Reiskorn wie seinen eigenen Augapfel zu behandeln trachtet. Natürlich wirkt solch ein Verhalten auf den westlichen Beobachter befremdlich, aber nichtsdestotrotz taucht man mühelos in das Universum des Zen-Priesters Brown ein und fühlt sich geborgen, ja fast schwerelos in den wolkigen und blumigen Poesien des Zens wieder, die eine immense Lebenskraft versprechen, eine geruhsame Abstinenz von Eile, engstirnigen Zielen und engherzigen Lebensweisen. Die Sequenzen von Browns buddhistischen Lehrmeister Suzuki Roshi zeigen einen weisen Mann mit mehr Freude in den Winkeln seiner Gesichtsfalten als das Alter es vermuten lässt. Es ist diese außerordentliche Kombination von „How To Cook Your Life“ aus emotionalen, weisen und überaus lehrreichen Momenten, romantischen Poesien und Bildern von denkenden Menschen, die den Film sehr eigenwillig, aber auch sehr besonders machen.

    Dörrie nutzt die gesamte Länge des Films, um eine feine, subtile und erstaunlich tiefgründige Geschichte zu erzählen, die der Zuschauer nicht so bald vergessen kann - dabei wirkt das Charisma Browns wie Balsam für die Seele. Interessant ist aber auch, zu beobachten, wie Brown mimosenhaft auf die geringsten Komplikationen und Widerstände reagiert; und man sieht, wie hinter dem trainierten und (selbst-)disziplinierten Zen-Priester ein vom Leben schwer gezeichneter und gekränkter Mann steht, der in der Philosophie des Zen und in der Praxis des Kochens seine Lebenserfüllung und den Mittelpunkt seines Selbst gefunden hat. Was im Leben von Brown zählt, was auch im Zen das Wichtigste ist, ist das Einswerden, das Verschmelzen mit dem Leben, das Gefühl des Jetzt und Hier, das Konzentrieren auf das Wesentliche oder mit anderen Worten, auf das Seiende. Die Verbindung dieser Philosophie zum Kochen sieht Edward Espe Brown im direkten Zugang zu dem einfachsten aller denkbaren Prinzipien:

    „Als ich mit dem Kochen anfing, fragte ich Suzuki Roshi um Rat. Er sagte: ‚Wenn du den Reis wächst, dann wasch’ den Reis. Wenn du Karotten schneidest, schneid’ Karotten. Und wenn du die Suppe umrührst, rühr’ die Suppe um.‘“

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