Die Invasion des Kinderzimmer-Kinos geht weiter: 1964 veröffentlichte Spielzeugriese Hasbro als Gegenentwurf zur Mädchen begeisternden Barbie-Puppe von Konkurrent Mattel deren an männliche Heranwachsende gerichtetes Pendant, den dreißig Zentimeter hohen G.I. Joe. Die erste sogenannte Action-Figur fand zunächst nicht gerade reißenden Absatz, konnte ihre Popularität aber im Laufe der Zeit durch Werbemaßnahmen steigern und hält sich in immer wieder aktualisierten Editionen und Kollektionen bis heute. Dabei bezeichnet der Begriff G.I. Joe mittlerweile keinen einzelnen Soldaten mehr, sondern vielmehr ein ganzes Team von Spezialisten. Neben den zuvorderst in den USA beliebten Figuren erschienen im Marvel Verlag Comics, mehrere Zeichentrickserien mit verschiedenen Teams und im Jahr 1985 ein Computerspiel. Ohne den 2003 ausbrechenden Irak-Krieg wäre es wohl schon früher zu einer Realverfilmung gekommen, das angekratzte militärische Image Amerikas hielt die Produzenten jedoch zunächst davon ab. So kamen 2007 zunächst unter Michael Bays Regie die ebenfalls über Hasbro vertriebenen „Transformers“ (2007) auf die Leinwände, deren überragender Erfolg der Entwicklung eines Joe-Films zweifellos entgegen kam. Im Sommer 2009 erschien schließlich nicht nur das Sequel „Transformers: Revenge of the Fallen“, sondern auch „G.I. Joe – Geheimauftrag Cobra“. Zumindest in Sachen krachender Sinnlosigkeit nimmt sich das (bisherige) Hasbro-Trio nicht viel, aber was haben die Joes sonst noch zu bieten?
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In einer nicht allzu fernen Zukunft: während des Transports vierer hochentwickelter Sprengköpfe mit Nanotechnologie wird die Truppe um die Elitesoldaten Duke und Ripcord von einem technisch überlegenen Gegner angegriffen. Als deren Anführerin kann Duke seine Exverlobte Ana identifizieren, mittlerweile bekannt als The Baroness. Eine strenggeheime Militäreinheit, genannt G.I. Joe kann schließlich rettend eingreifen. Unter der Führung von General Hawk schließen sich Duke und Ripcord dem weltweit operierenden Spitzenteam an. Doch als die Baroness und der Ninja Storm Shadow in G.I. Joes Basis erneut zuschlagen gelingt es den Finsterlingen, die Sprengköpfe an sich zu bringen. Mit dem Ziel, drei Großstädte mit Hilfe der alles vernichtenden Nanomites auszulöschen, bleibt den Joes nur eines zu tun: alles an Einheiten und Equipment zu mobilisieren, um das Böse zu vereiteln...
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BOOM, BOOM, POW artikulieren es die Black Eyed Peas im Abspann und liefern mit ihrem Track ein Motto, wie es nicht besser zum Film passen könnte. An einer Einleitung wird nicht lange herumpraktiziert, BOOM gefährliche Nanosprengköpfe, BOOM erstes Gefecht, POW die Joes schlagen zurück. In dieser Frequenz geht es ohne längere Verschnaufpausen weiter, bis man vor lauter BOOMs und POWs kaum noch vorne von hinten unterscheiden kann. „G.I. Joe“ kann man sich in etwa wie den Zusammenschnitt eines halben Dutzends von Showdowns vorstellen, denn allein die erste halbe Stunde hätte vor ein paar Jahren noch einen kompletten Blockbustersommer mit Höhepunkten füllen können. Nach ungefähr einem knappen Viertel Laufzeit, in dem die Story im Grunde kaum in die Gänge gekommen ist, hat man deshalb das Gefühl, bereits mindestens einen kompletten Film hinter sich zu haben, denn bei „G.I. Joe“ schreien in so vielen Szenen so viele Dinge, die im Vorder- oder Hintergrund, beiläufig oder hauptsächlich passieren, nach der Aufmerksamkeit des Zuschauers, dass man ihn eigentlich mit sechs Augen gucken müsste. BOOM, gewaltige Explosion, BOOM Schallkanone schleudert Soldaten durch die Gegend, POW Sienna Miller schält sich aus ihrem Oberteil. Wem das alles in einem einzigen Bild zuviel ist, sieht sich bei „G.I. Joe“ chronischer Überforderung ausgesetzt.
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Allerdings, und das weiß sogar Mullbindenreanimierer und Spitzzahnjäger-Mythenschänder Stephen Sommers (siehe „Die Mumie“, „Die Mumie kehrt zurück“ und „Van Helsing“), volle 113 Minuten Spielzeit lassen sich dann doch nicht ausschließlich mit Krawall füllen, zumindest dann nicht, wenn man irgendein Interesse an den handelnden Figuren und ihrer Geschichte hat oder es erzeugen will. Für Sommers untypischerweise schwächlt „G.I Joe“ massiv beim Hautdarsteller. Boten „Die Mumie“ und „Van Helsing“ mit einem bestens aufgelegten Brendan Fraser, beziehungsweise Mannsbild Hugh Jackman, noch starkes Führungspersonal, ist der von Channing Tatum gespielte Duke Hauser von reichlich unscheinbarer Angestelltensorte. Von den vielen Charakteren, die auf Seiten der Guten und Bösen eingeführt werden und die über zum Teil gar nicht eimal uninteressante Hintergrundgeschichten miteinander in Verbindung stehen, ist Duke der mit Abstand langweiligste, gibt weder lockere Sprüche von sich, noch tut er sich mit halsbrecherischen Heldenaktionen in den Actionszenen hervor. Warum man gerade ihm durch den völlig überdreht dargestellten Kosmos der Vorlage folgen sollte, erschließt sich aus seiner Anlegung nicht. Dazu kommt ein gesichtslos agierender Tatum, der sich in reichlich dösigem underacting versucht, während alles um ihn herum dem Stoff entsprechend fröhlich am overacten ist und sich darin gegenseitig übertrumpft, was er weder mit Charisma noch Körpereinsatz kompensieren kann. Wer nach seinen Auftritten in „Step Up“ (2006) und „Fighting“ (2009) auf Tatum als Hollywoods next big thing gesetzt hat, der dürfte etwas ernüchtert auf das Kinojahr 2009 und seinen Kürzestauftritt in Michael Manns „Public Enemies“ und eben „G.I. Joe“ zurückblicken. Schattierungen finden sich zwar zwischen Tatums Brust- und Bauchmuskeln, nicht jedoch in seinem Spiel.
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Abgesehen von Tatum ist die Besetzungsliste aber nicht nur von den Namen her durchaus illuster und interessant, auch die Leistungen stimmen. Sienna Miller, viel mehr als Tatum als Werbepferd des Films vor den Marketingkarren gespannt, liefert nicht nur eine für Lederfetischisten zum Niederknien scharfe Gestalt, neben dem ganzen nervigen ja-nein-doch nicht-Journalismus bezüglich ihrer Beziehung zu Jude Law hat man es bei ihr auch mit einer überaus fähigen Darstellerin zu tun, die ihrer Rolle physisch wie mimisch mit Leichtigkeit gewachsen ist. Marlon Wayans gibt einen sehr erträglichen Sidekick ab, dem man fast eher die Hauptrolle zugetraut und abgenommen hätte, Dennis Quaid und Jonathan Pryce als General Hawk und US-Präsident glänzen bereits durch ihre Anwesenheit, Christopher Eccleston und besonders Joseph Gordon-Levitt bilden als verschlagener Waffenhändler und entstellter Doktor ein sehenswertes Oberschurkenduo. Das übrige Joe-Team bekommt mit Adewale Akinnuoye-Agbaje und dem zwar vermummten, aber durch seine Kampfkünste bestechenden Ray Park zwei echte Typen, mit Rachel Nichols einen Miller ebenbürtigen Blickfang und mit Brendan Frasers Auftritt einen Gaststar, den auf Seiten der Bösen Arnold Vosloo ausgleicht. Wie der Film selbst nimmt sich niemand (zu) ernst, alle manövrieren mit ihren überlebensgroßen Figuren gekonnt durch die banal-behämmerte Story.
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Letztere erreicht in mehrerlei Hinsicht ihren Höhepunkt bei einer chaotischen Verfolgungsjagd quer durch Paris, bei der Duke und Ripcord in ihren Deta-6-Kampfanzügen die halbe Stadt auseinandernehmen, bevor die Baroness und Storm Shadow den Eifelturm von ihren grün leuchtenden Nanomites zerstören lassen. Das wildgeworden-entfesselte Tempo, mit dem Sommers seine Helden hier durch die Stadt der Liebe wirbeln lässt, ließe sich in seiner Wirkung wohl nur nachahmen, indem man sich permanent und in Höchstgeschwindigkeit abgefeuerte Discokugeln gegen die Birne knallen lässt. Rein vom Ausmaß der Nichtberücksichtigung geltender physikalischer Gesetze her hat man 2009 wohl keine abgefahrenere Sequenz gesehen, wobei sich „abgefahren“ auch bequem durch „dämlich“ ersetzen ließe. Doch „G.I. Joe“ verzichtet glücklicherweise nicht auf Selbstironie und so unterhält diese Passage, auch wenn sich alsbald Ermüdungserscheinungen einstellen, auf unbekümmerte Art trotzdem gut. Worüber man dabei hinwegsehen muss: der überkanditelte Einsatz von CGI-Effekten überzeugt über den ganzen Film keinen Meter weit, wenn man als Maßstab Realismus anlegt. Jeder virtuelle ist auf den ersten Blick vom praktischen Effekt unterscheidbar, jede Green-/Bluescreenaufnahme klar als solche zu erkennen und die Frage, wann dort echte Schauspieler und Stuntleute durch die Gegend turnen, oder diese durch digitale Doubles ersetzt wurden, lässt sich kein einziges Mal nicht sofort beantworten. Das tut dem Vergnügen aber nicht zwingend einen Abbruch, sondern unterstreicht, wie albern das ganze Geschehen ist und auch bewusst so gemeint ist, denn um Himmels willen bezweckt Sommers keine seriöse Auseinandersetzung mit militärischer Zukunftsmusik oder der Doppelmoral von Waffenhändlern. Vom Kollegen Bay, der sich nie zu schade ist, seine Transformers auch zum Hohelied auf den amerikanischen Militärapparat zu erklären, hebt sich Sommers damit sehr wohltuend ab.
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„G.I. Joe“ oder: der Film, den man per Zeitmaschine seinem zwölfjährigen Selbst schicken würde, da er diesem sicher richtig gut gefallen würde. Gerade mit einem etwas präsenteren Hauptdarsteller hätte der Film das Potenzial zum „den lass ich immer mal wieder gerne laufen“-Reißer, mit Channing Tatum ist’s dann aber doch „nur“ ein radikal auf die größtmögliche Ausdehnung seines Unterhaltungswertes aufgeblasenes BOOM, BOOM, POW. Ein wenig bemüht sich das Drehbuch um ein Näherbringen der Figuren und gönnt zum Beispiel Duke, der Baroness und dem Superninja Snake Eyes ein paar Rückblenden, die dann aber in Kriegsgebieten stattfinden, oder die frühen Handkantenkonfrontationen Snakes mit seinem brüderlichen Widersacher Storm Shadow zeigen, sprich, in denen es auch wieder um Action geht. Aber wenigstens stimmt bei „G.I. Joe“ eindeutig die Selbsteinschätzung, die einem stets zu verstehen gibt, dass der Film sich selbst genauso bescheuert findet, wie er einem vorkommt. Und gemeinsam etwas dämlich zu finden ist durchaus ein Konsens, an dem man Vergnügen haben kann.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/01/03/review-g-i-joe-geheimauftrag-cobra/