Das Bild der USA in der Welt war noch nie so negativ, wie zur Amtszeit von Präsident George W. Bush, dessen desaströse Außenpolitik die Vereinigten Staaten weitgehend isoliert und das Ansehen nachhaltig zerstört hat. Die Zeiten des geschätzten Weltpolizisten USA sind vorerst vorbei. So ist es für die Amerikaner entspannend, eine ihrer glorreichsten Epochen noch einmal aus einer neuen Perspektive beleuchtet zu sehen. David Sington lässt in seinem Dokumentarfilm „In The Shadow Of The Moon“ acht der noch lebenden Astronauten des Apollo-Raumfahrtprogramms der NASA über ihre Erlebnisse auf und auf dem Weg zum Mond berichten und ergänzt diese emotionalen Schilderungen mit teils komplett neuen, teils spektakulär remasterten Archivbildern.
1961 befindet sich das US-Raumfahrtprogramm in der Krise. Im Wettlauf zum Mond liegen die Russen weit vorn, doch das Prestige, als erste Supermacht einen Fuß auf den Erdtrabanten zu setzen, wäre unermesslich groß. Präsident John F. Kennedy gibt zu Beginn der Dekade ein kühnes Ziel aus: Bis zum Ende des Jahrzehnts soll ein Amerikaner auf dem Mond landen – vor dem verhassten Systemfeind Russland. Doch die erste Runde geht klar an die Russen, die am 12. April 1961 mit Juri Gagarin den ersten Menschen in den Orbit schießen. 1967 bringt eine Katastrophe die Amerikaner an den Rand des Aus im kaltkriegerischen Wettlauf zum Mond: Bei einem Bodentest verbrennen die drei Astronauten Virgil „Gus“ Grissom, Edward H. White und Roger B. Chaffee aus dem Apollo-Programm am 27. Januar elendig eingeschlossen in ihrer Kapsel. Keiner weiß, wie es weiter gehen soll, doch es geht weiter. Und zwar mit Erfolgen. Zu Weihnachten 1968 gelingt Apollo 8 die Umrundung des Mondes und nach zwei weiteren Testflügen (Apollo 9 und 10, 1969) brechen Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins zur größten Sternstunde der bemannten Raumfahrt auf. Die gesamte nicht-kommunistische Welt hält am 21. Juli 1969 den Atem an, als Armstrong („That’s one small step for man, a giant leap for mankind“) seinen Fuß als erster Mann auf den Mond setzt. Während Aldrin ihm als zweiter (von insgesamt zwölf Menschen) folgt, hat Collins, der das Mutterschiff steuert, den für Außenstehende bittersten Job aller Zeiten. Da im Lunar-Landemodul nur Platz für zwei ist, muss Collins tatenlos mit ansehen, wie Armstrong zu einem der berühmtesten Menschen der Geschichte wird und Aldrin immerhin als Nummer zwei in den exklusivsten Clubs der Welt gelangt.
Die Apollo-11-Mission ist der Kern der Dokumentation. Insgesamt gingen zwischen 1969 und 1972 neun Apollo-Missionen (8 bis 17) auf die 240.000 Meilen lange Reise zum Mond... und zurück. Dass Apollo 13 den Weg zurück überstand, gleicht einem Wunder. Doch da dieser „erfolgreiche Fehlschlag“, der die Welt in den Tagen Anfang April 1970 bewegte, bereits hinlänglich dokumentiert ist (am prominentesten in Ron Howards meisterhaftem Apollo 13), verschwendet Sington für dieses Kapitel nur eine verschwindend kurze Erwähnung.
Was „In The Shadow Of The Moon“ außergewöhnlich macht, ist die Perspektive. Noch nie waren diese acht noch lebenden Apollo-Astronauten - Buzz Aldrin, Alan Bean, Gene Cernan, Michael Collins, Charlie Duke, Jim Lovell, Edgar Mitchell, Harrison Schmitt, Dave Scott und John Young - gemeinsam in einem Film zu sehen. Bei den lebhaften Berichten der Alt-Astronauten spielen weniger technische als emotionale Aspekte eine Rolle, was ebenso noch nicht auf der Leinwand zu erleben war. Was fühlte ein Michael Collins, als er zum Zuschauer der Geschichte wurde? Die Antwort darauf ist überraschend - wie so einiges, was Sington den alten Männern entlockt. Dabei bilden sich kleine Charakterporträts heraus, die zeigen, wie unterschiedlich die Astronauten doch vom Wesen her sind. Gerade Collins, ein zentraler Punkt der Dokumentation, ist einfach sympathisch und sehr humorvoll. Vom Macho bis zum kühl-analytischen Wissenschaftlertypen ist alles vertreten. Eine klare Botschaft, die sich durch ihre Abenteuer festigte, haben diese vitalen Kerle auch auf Lager: Die Menschheit sollte die Vielfalt und das Leben auf der Erde mehr zu schätzen wissen, als sie es bisher tut. Das wirkt mitunter ein wenig blumig, ist aber angesichts dessen, was diese Burschen gesehen haben, zugestehbar. Sie sind schließlich nicht dafür zuständig, die Welt medial vor der ökologischen Zerstörung zu retten – dieser Aufgabe hat sich bereits der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore (Eine unbequeme Wahrheit) angenommen. Sind diese Männer dennoch Helden? Und ob sie das sind! In jeder Sekunde ihrer Missionen schwebten sie in permanenter, ständig schwelender Lebensgefahr, was sie auch in ihren emotionalen Erinnerungen deutlich machen.
Die Interviews mit den Protagonisten, die allesamt mittlerweile in ihren 70ern und 80ern sind, werden durch bekannte, rare und zum Teil gar bisher unverwendete Archivaufnahmen ergänzt und zusammengehalten. Sington wühlte sich durch Tonnen von NASA-Originalmaterial, blies es von 16 auf kinotaugliche 35 Millimeter auf und säuberte das Celluloid so, dass es wirkt wie neu. Atemberaubende Nahaufnahmen und Zeitlupen wechseln sich mit spektakulären Bildern vom Mond und mit Blicken zur Erde ab. Sington verbindet seine Elemente zu einem zwar homogenen, aber dennoch abwechslungsreichen Ganzen. Für Raumfahrt-Interessierte ist „In The Shadow Of The Moon“ unverzichtbar. Das Ereignis ist von derart geschichtsträchtiger Relevanz, dass es selbst einem größeren Publikumskreis zu empfehlen ist – vorausgesetzt, dieser hat sich noch nicht ausführlich mit dem Thema auseinander gesetzt.
Trotz allem hinterlässt „In The Shadow Of The Moon“ ein großes Loch. Wo ist eigentlich Neil Armstrong? Sein Schatten schwebt wie ein Geist über der gesamten Produktion. Er hat sich rar gemacht und nach der ausschweifenden Feiertour rund um die Welt die Öffentlichkeit gescheut, wie die Motte das Licht. Nicht einmal für diesen Film konnte er sich überwinden, sein Schweigen zu beenden – was ausgesprochen schade ist und die Dokumentation in allerletzter Konsequenz ein wenig unvollkommen wirken lässt. Dennoch ist Armstrong immerwährend präsent – durch die Ausführungen seiner Kameraden, die ihn als den Coolsten der Coolen, als den Besten der Besten charakterisieren, ihn heroisieren und zu einer übermenschlichen Ikone erhöhen. Ob dies der Wahrheit nahe kommt, ist nicht nachprüfbar. Aber zumindest kommen aufgrund der Äußerungen von Jim Lovells in Ron Howards „Apollo 13“ ein paar Zweifel auf. Klar ist zum Beispiel, dass Lovell sich für den besseren Astronauten hielt.
Nach den Gemini- und Mercury-Programmen, die Astronauten noch eher als hilflose Versuchstiere missbrauchten, können die Apollo-Fahrer mit Fug und Recht behaupten, ihrem wissenschaftlichen Auftrag gerecht geworden zu sein, da sie auch maßgeblich an der technischen Entwicklung beteiligt waren, was Sington herausarbeitet. Die Zeiten von „Spam in a can“ (so nannten sich die Gemini-Astronauten selbst) waren vorbei... und eine heldenhafte Epoche brach an. Doch diese war überraschend kurz. Seit 1972 (Apollo 17) hat kein Mensch mehr den Mond betreten – und außer den Amerikanern sowieso keiner. Das hat fleißige Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen, die seitdem immer noch nicht verstummt sind, da die NASA es bisher nicht für nötig erachtete, den ultimativen, über alles erhabenen Beweis zu liefern, dass die Amerikaner wirklich auf dem Mond waren. Dieses Thema wird stilistisch geschickt im Abspann aufgegriffen. Die NASA hat inzwischen zaghaft Stellung zu den Vorwürfen bezogen, doch alles lässt sich je nach eigenem Gusto immer von zwei Seiten sehen. Doch das beste Argument gegen eine Verschwörung, die dann die wohl größte der Menschheitsgeschichte wäre, liefern die Apollo-Astronauten in locker-flockigem Ton (selbst, wenn diese nicht neu ist): In einem kleinen Kreis lässt sich ein Geheimnis sicherlich pflegen, aber unter Tausenden von Mitarbeitern, die an dem Programm beteiligt waren, ist dies einfach ein Ding der Unmöglichkeit: Irgendwann hätte irgendjemand geredet... Es sei denn, er heißt Neil Armstrong: Der redet schließlich gar nicht mehr öffentlich. Warum? Das ist sein Geheimnis.