Mit dem Erfolg steigt die Erwartungshaltung, was unter anderem im Filmgeschäft immer wieder für zumindest leise Enttäuschungen sorgt. Prominente Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. Nehmen wir den Fall Panic Room. Sicherlich kein schlechter Film, im Grunde genommen sogar ein sehr guter. Aber nach Sieben und Fight Club hat man von David Fincher eben mindestens Überirdisches erwartet. Oder wie wäre es mit George Lucas? Seien wir ähnlich: Die Erwartungshaltung an die Fortsetzung seiner bereits zum modernen Kino-Mythos gewordenen ersten „Star Wars“-Trilogie erreichte bereits kurze Zeit nach deren Ankündigung Dimensionen, über die er nur stolpern konnte - alle sicherlich vorhandenen Unzulänglichkeiten der neuen Trilogie hin oder her.
Ob Paul Haggis sich einmal über seine prominenten Kollegen Gedanken gemacht hat, ist nicht überliefert. Doch ein Vergleich drängt sich wegen der jüngeren Vergangenheit auf. 2005 verhalf er Clint Eastwood mit seinem Drehbuch zu Million Dollar Baby zu seinen Oscars Nummer drei und vier. Eigentlich plante er zunächst selbst Regie zu führen, trat diese dann aber ab, nachdem Eastwood Interesse bekundete. 2006 schaffte Haggis mit L.A. Crash als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Magath’scher Personalunion gar das Double und räumte selbst die Oscars für den besten Film und das beste Drehbuch ab. Dabei war das kraftvolle Plädoyer für mehr Menschlichkeit und gegen Rassismus nach einigen unbedeutenden Versuchen im TV- und Serienbereich die erste wirklich bedeutsame Regiearbeit des gebürtigen Kanadiers. Haggis hätte sich also die Messlatte selbst kaum höher legen können. Es ist fast schon ein wenig unfair, dass sich das Thriller-Drama „Im Tal von Elah“, Haggis‘ erste Regiearbeit nach „L.A. Crash“, dem Vergleich mit den genannten Werken stellen muss. Aber eben nur fast. Und so kommen wir an der Feststellung nicht vorbei, dass „Im Tal von Elah“ die wieder einmal zu hohen Erwartungen nicht erfüllen kann und eben „nur“ ein recht passabler Film ist. Aber der Reihe nach...
Der pensionierte Militärpolizist Hank Deerfield (Tommy Lee Jones) führt gemeinsam mit seiner Frau Joan (Susan Surandon) ein zurückgezogenes Leben. Dies ändert sich jäh, als er einen Anruf von der Army erhält. Sein Sohn Mike (Jonathan Tucker), eben zurückgekommen von einem Einsatz im Irak, hat sich unerlaubt von der Truppe entfernt und wird vermisst. Da dies ganz und gar nicht zu Mike passt, macht sich Hank auf, um nach seinem Sohn zu suchen. Und leider sollte er recht behalten. Die Leiche seines Sohnes wird furchtbar entstellt auf einem Feld in der Nähe der Militärbasis gefunden. Die Polizei vermutet einen Mord im Drogenmilieu. Eine Erklärung, die Hank viel zu einfach erscheint und die er nicht akzeptieren möchte. Er beginnt – zunächst auf eigene Faust – Ermittlungen anzustellen und gräbt in der Tat einige Ungereimtheiten aus. Die Polizistin Emily Sanders (Charlize Theron) nimmt den alten Mann als einzige ernst und wird hellhörig. Auch sie ist davon überzeugt, dass irgendetwas an der Geschichte gewaltig stinkt.
Vergleicht man die Vita von Paul Haggis und sein neuestes Werk „Im Tal von Elah“, so drängen sich einige interessante Parallelen auf. 1.) Haggis wusste lange nicht, was er eigentlich möchte. So versuchte er sich zunächst vergeblich als Modefotograph, bis er dann schließlich über Umwege im Filmgeschäft landete. 2.) Haggis ist ein Spätstarter. Er benötigte mehr als 20 Jahre, bis er sich endgültig in der Branche etablieren konnte und den Durchbruch schaffte. Diese beiden Punkte spiegeln sich in gewisser Hinsicht in „Im Tal von Elah“ wider. Zunächst braucht der Film viel zu lange, bis er richtig ins Rollen kommt. Lange Zeit geschieht wenig bis nichts. Vom Zuschauer wird zunächst viel Geduld und Wohlwollen erwartet. Insbesondere die erste halbe Stunde entpuppt sich als zäh und inhaltsleer. Erst als die Leiche von Mike Deerfield gefunden wird, kommt die Geschichte in Gang. Aber dies dauert schlicht zu lang.
Einen weiteren Stolperstein bringt die Inszenierung mit sich. Dass es sich beim Ableben an Mike Deerfield um mehr als einen simplen Drogenmord handelt, ist dem Zuschauer ebenso lange vor den Protagonisten des Films klar wie die Tatsache, dass die Spur über kurz oder lang zum Militär selbst führen wird. Dadurch funktioniert der eigentliche Ermittlungsplot mit den klassischen Whodunit-Elementen lange Zeit nicht wirklich. Aber offensichtlich war sich Haggis dieses Problems bewusst. So legt er den Fokus weniger auf die Ermittlung, sondern vielmehr auf die handelnden Charaktere. So wird der Beziehung zwischen Hank und Joan viel Zeit eingeräumt und auch die Polizistin Emily Sanders reift durch einige Geschehnisse abseits der Haupthandlung zu einem wesentlich griffigeren Charakter. Hier hat Haggis sicherlich einige gute Entscheidungen getroffen und dem an sich unglücklichen Umstand einige positive Facetten abgewinnen können.
Dass „Im Tal von Elah“ auch in den zäheren Passagen nie wirklich langweilig wird, ist vor allem dem wieder einmal großartigen, hierfür oscarnominierten Tommy Lee Jones (Auf der Flucht, No Country For Old Men) zu verdanken. Zwar erfindet sich dieser keineswegs neu und überrascht mit einem vollkommen neuen Charakter, aber der kauzige Stoiker ist ihm eben auf den Leib geschrieben. Seine stärksten Momente hat „Im Tal von Elah“ immer dann, wenn seine Fassade zu bröckeln beginnt und es dem routinierten Ermittler nicht mehr gelingt, seine Gefühle zu verbergen. Dazu gehört unter anderem die Szene, als er dem jungen Sohn der Polizistin Emily erklärt, was es mit dem namensgebenden Tal von Elah auf sich hat (auch wenn die bibelfesten Zuschauer dies natürlich längst wissen). Weit weniger gelungen ist die Besetzung der zweiten Hauptrolle. Die alleinerziehende Mutter und von den Kollegen gemobbte Polizistin nimmt man der attraktiven Südafrikanerin Charlize Theron (Monster, Kaltes Land Aeon Flux) schlicht und einfach nicht ab. Sicherlich ist sie eine sehr gute Schauspielerin, aber diese Rolle möchte einfach nicht so richtig passen. Ein glücklicheres Händchen hatte Haggis hingegen bei den Nebenrollen. Susan Sarandon (Igby, Dead Man Walking) ist in ihren wenigen Szenen eine echte Bereicherung und auch Josh Brolin (No Country For Old Men, American Gangster) ist in einer kleinen Gastrolle fein besetzt.
Subtil war Paul Haggis noch nie. Auch L.A. Crash muss sich bei aller Klasse den Vorwurf der Holzhammer-Rhetorik durchaus gefallen lassen. Was er dann allerdings in der letzten Einstellung von „Im Tal von Elah“ auffährt, ist zwar symbolisch ganz nett, allerdings auch reichlich platt. Eine treffliche Szene, die den gesamten Film auf den Punkt bringt. Zwar ist „Im Tal von Elah“ zu keinem Zeitpunkt ein wirklich schlechter Film, es hätte aber durchaus ein wenig mehr sein dürfen, vielleicht sogar müssen. Doch das ist eben das Elend mit der Erwartungshaltung und dem Fluch der guten Tat. Wäre Haggis ein Stümper und hätte in der jüngeren Vergangenheit nur Ausschussware auf die Reihe gebracht, so würden diese Zeilen nun wesentlich euphorischer klingen. Doch unter den gegebenen Voraussetzungen kann eben auch ein guter Film manchmal eine leise Enttäuschung sein.