Mein Konto
    The Cemetery Club
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Cemetery Club
    Von Nicole Kühn

    Von seinem angestaubten Image hat sich der Dokumentarfilm in den vergangenen Jahren mit erstaunlicher Dynamik entfernt. Das Schattendasein, das die pointierte Beobachtung der Realität lange Jahre führte, ist einem enormen Interesse gewichen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die allgegenwärtigen Reality-Soaps geradezu das Verlangen nach dem authentischen Blick in die Welt geweckt haben – und eine erstaunlich große Zahl von Regisseuren ein feines Gespür dafür zeigen, das Besondere im Alltäglichen zu entdecken und dramaturgisch spannend in Wort und Bild zu erzählen. Tali Shemesh nähert sich in ihrem „The Cemetery Club“ dem beklemmenden Thema der Holocaust-Überlebenden mit unerwarteter Offenheit und wagt sogar, sich ihren Protagonisten mit einem Hauch von Ironie zu begegnen, ohne dabei die Einzigartigkeit ihrer schmerzlichen Erfahrungen in Frage zu stellen.

    Was sie jedoch in Frage stellt, sind die Grenzen, an denen die Erlebnisse der porträtierten Menschen in Schweigen und Verhärtung umschlagen. Dass sie sich bei allem Respekt die Freiheit der Aufbereitung des gefilmten Materials nicht nehmen lässt, macht der eröffnende Disput über den Filmtitel amüsant deutlich: Die Protagonistin Lena wehrt sich vehement dagegen, ihre „Mount Herzl Academy“ als „The Cemetery Club“ zu bezeichnen und fordert einen anderen Filmtitel. Sekunden später flimmert in weißen zurückhaltenden Buchstaben „The Cemetery Club“ über die Leinwand. Der Club besteht aus Überlebenden des Holocaust, die sich jeden Samstag auf dem Gelände des Nationalfriedhofs Mount Herzl in Israel zu einem Picknick mit literarischen und politischen Diskussionen treffen. Bewaffnet mit Klappstühlen aus Plastik sowie Kost für Körper und Geist ziehen sie vorbei an Gräbern und teilen im Schatten einer Pinie die Erfahrungen ihrer alten Tage: die Verarbeitung der Verluste durch den europäischen Holocaust ebenso wie den unerwarteten Tod, der die Zahl der Clubmitglieder unweigerlich dezimiert. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht neben der resoluten Lena die Großmutter der Filmemacherin, die zurückhaltende Minya. Durch Familie und Schicksal untrennbar miteinander verbunden, pflegen die beiden betagten Damen ein auf seine Weise inniges Verhältnis, das vielleicht nicht wegen, sondern gerade trotz der Gegensätzlichkeit ihrer Charaktere ein Bund fürs Leben ist. Während die bescheidene und gutherzige Minya offensichtlich ein einfaches Leben geführt hat, scheint die aktive Lena angetrieben von einer unbeugsamen Energie, die sie keine Auseinandersetzung scheuen lässt. Ihr Selbstbewusstsein und klare Haltung, die sie entwickelt hat, macht sie nicht unbedingt in jedem Moment sympathisch. An vielen Stellen im Gespräch mit Tali wird eine Mauer sichtbar, durch die die junge Filmemacherin weder mit Verständnis noch mit beharrlichem Fragen dringen kann. Auf der anderen Seite gelingen sehr intime Momente, in denen die Verletzlichkeit dieser Frau gerade im Kontrast zu ihrer oft zutage tretenden Barschheit umso ergreifender spürbar wird.

    Filmautorin Shemesh geht es nicht darum, das quantitative Ausmaß des Holocaust ein weiteres Mal zu belegen. Wie total die Vernichtungsstrategie angelegt war, streicht die wie beiläufig im Gespräch von Lena erwähnte Aufzählung der Verwandten heraus, die sie verloren hat. Eindringlicher und dabei doch versöhnlicher als die historischen Fakten wirkt dieses persönliche Porträt, das ohne aufdringliche Moral die Prägungen aufzeigt, die das Erlebte den Menschen lebenslang aufdrückt. Mit ihrem Einblick in den Cemetery Club weist Shemesh über die Thematik des Holocaust hinaus. Es geht auch grundsätzlich darum, wie man in Würde altern kann, welche Strategien vor Einsamkeit schützen können und welche Bindungen Halt geben. Die Tatsache, dass dieser Club aus Überlebenden des Holocaust besteht und damit eine Art Schicksalsgemeinschaft darstellt, bündelt die Begleiterscheinungen des Alterns wie ein Brennglas die Sonnenstrahlen: die Einsamkeit derer, die oft große Teile ihrer Familie auf einen Schlag verloren haben, das Nachlassen der körperlichen Flexibilität, das Angewiesensein auf andere; gleichzeitig auch die Muße, sich aus reinem persönlichen Interesse heraus mit Grundsatzfragen zu beschäftigen, die festgefahrenen Strukturen den gefürchteten Altersstarrsinn. Wie die Autorin dabei vermeidet, ihre Protagonisten als hilflose Opfer darzustellen und ihnen mit einem Augenzwinkern begegnet, das die Persönlichkeiten mit ihren positiven wie negativen Eigenschaften respektiert, wirkt herzerfrischend.

    Die Begleitung von Lena und Minya an verschiedene Orte des Geschehens erscheint zunächst recht willkürlich, sie schafft jedoch neue Bühnen, auf denen die beiden Hauptdarstellerinnen neue Facetten ihrer Persönlichkeit offen legen. Allerdings hätte Shemesh guten Gewissens auf die wenigen Kameraeinstellungen verzichten können, die den Blick des Betrachters wie den eines Spions durch einen verengten Winkel lenken. Viel zu deutlich ist dafür die Kontrolle Lenas über das, was sie sagt und zeigt. Hätte die Autorin es übers Herz gebracht, die eine oder andere Sequenz zu streichen, die im Grunde schon einmal Gezeigtes wiederholen, hätte dieses Portrait an Eindrücklichkeit noch mehr gewonnen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top