Platz für große, melodramatische Epen à la Vom Winde verweht bietet das moderne Kino nicht mehr wirklich. An Laufzeiten von bis zu vier Stunden und Kameraeinstellungen, die länger als bloß für kurz aufzuckende Momentaufnahmen verweilen, sind gewinnorientierte Produzenten nicht mehr interessiert, sorgt die Länge eines Films doch beispielsweise für das Problem, das ein Kino ihn möglicherweise nur zwei-, dreimal am Tag zeigen kann, wohingegen sich der Standart-90-Minüter locker doppelt so oft im Programm unterbringen lässt.
Regie-Virtuose Baz Luhrmann nun hat den Begriff Epos zum Konzept erklärt und legt mit Australia 159 Minuten langes Bombastkino vor, das einem den sprichwörtlichen alten Schlag mit dem Donnern einer Rinderherde verpasst. Obwohl seit 1992 (Debüt mit Strictly Ballroom) erst sein vierter Film, ist Luhrmann in der Inszenierung dramatischer Liebesgeschichten durchaus geübt: bei Romeo + Julia widmete er sich immerhin der bekanntesten aller Zeiten, mit Moulin Rouge schuf er nicht nur eine optisch außergewöhnliche, sondern potenzierte auch den Tragikgehalt in kaum mehr messbare Dimensionen. Da zu wahrhaft epischer Größe ein wahrer Hintergrund gehört, vor dem die Helden über sich hinauswachsen können, wählte Luhrmann für Australia ein Szenario kurz vor Überschwappen des Zweiten Weltkrieges auf sein Heimatland. Darüber hinaus mengt er dem Geschehen nicht nur das Unausweichliche von Außen bei, sondern zeigt anhand des Aborigine-Mischlings Nullah auch das zeitgeschichtliche Drama von Innen.
Australien, 1939: Die Aristokratin Lady Sarah Ashley reist aus London nach Darwin, um ihren Ehemann zur Rede zu stellen, der die Rinderfarm Faraway Downs führt. Ein raubeiniger Viehtreiber, der Drover, begleitet Sarah ins australische Outback. Doch auf der Farm finden sie nur die Leiche von Sarahs Mann. Widerwillig erklärt sich Drover bereit, die 1.500 Rinder zurück nach Darwin zu treiben und dem übermächtigen Konkurrenten King‘ Carney zuvorzukommen. Begleitet werden sie unter anderem von dem Jungen Nullah, der aufgrund seiner Herkunft (Mutter eine Aborigine, Vater ein Weißer) ständig fürchten muss, von den Behörden zwecks Zivilisierung‘ aufgegriffen zu werden...
Mit dem Eindringen der Europäer in Australien sank nicht nur die Einwohnerzahl der Aboriginis drastisch, zu Beginn des 20. Jahrhunderts und andauernd bis in die 70er wurden darüberhinaus systematisch und unter Zwang Kinder aus Reservaten entfernt, um besonders jene mit weißen Vorfahren in weiße Familien und deren Kultur zu assimilieren. Baz Luhrmann macht dies im Film zu einem der zentralen Themen und erzählt seine Geschichte aus Nullahs Sicht, der auf der Suche nach seiner Identität ist. Dieser australienspezifische Hintergrund unterfüttert Australia mit einer gewissen frischen und eigenständigen Komponente gegenüber den Vorbildern, an denen Luhrmann sich ansonsten reichlich orientiert. Dennoch ist gerade dieser individuelle Aspekt in der Umsetzung einer der holprigeren des Films. Nullahs Kommentare aus dem Off, die besonders in der ersten Hälfte sehr dominant sind, werden ein wenig überstrapaziert. Mit Ausdrücken wie „als die Sonne schlafen ging“ und ähnlichem überspannt Luhrmann das Motiv des romantisch-unwissenschaftlich-unzivilisierten Wilden an einigen Stellen. Sieht man dazu zig mal Nullahs mystischen Großvater ,King George‘ im Gegenlicht auf Bergspitzen Stammestänze und -gesänge aufführen, ohne dass dies für die Handlung einen fortlaufenden Sinn hätte, so ist die Freude bei Tourismusunternehmen wahrscheinlich größer ob dieser Ästhetisierung des Exotischen, als das der Filmzuschauer davon auf Dauer fasziniert bleibt. Insgesamt und besonders in der zweiten Filmhälfte funktioniert die Veranschaulichung des Kulturenkonflikts jedoch sehr gut und eingängig, und der kleine Brandon Walters ist mit seinen riesigen braunen Augen bestens geeignet, Nicole Kidmans Muttergefühle zu wecken.
Kidmans Eignung für die Rolle der anfangs hektisch kieksenden Britin, die sich mit dem ungehobelten Mannsbild Drover kabbelt und letztlich zur toughen Outback-Amazone wandelt (was sein Vorbild in Katharine Hepburns Performance in African Queen findet), ist hingegen ein anderes Thema. Wie schon in Moulin Rouge inszeniert Luhrmann seine Landsfrau zu Beginn mit einem enormen Nervpotenzial. Doch wo es bei der Kurtisane Satine zum Geschäft gehörte, ist Edeldame Sarah Ashley hier einfach ein affektiertes, steifes Gewächs, das im Laufe der Geschichte zu blühen beginnt. Dies wird von Kidman zwar gut, aber auch sehr routiniert und schlicht gespielt und es zeigt sich, dass sie nicht unbedingt im Stande ist, die Tragweite des Films als dessen emotionales Zentrum zu stemmen. Es wirkt, als trüge sie ein Schloss vor sich her, zu dem man als Zuschauer keinen passenden Schlüssel findet. Die Chemie mit Hugh Jackman passt dessen ungeachtet, obwohl die beiden (bei aller Offensichtlichkeit, dass es sowieso passieren wird) vielleicht eine halbe Stunde zu früh anbandeln, denn dazu scheint besonders Jackmans Drover zu diesem Zeitpunkt nicht viel Anlass geboten zu sein. Drover selbst gibt als Charakter ebenfalls nicht viel her, was Jackman allerdings mühelos mit überbordend raubeinigem Charme und seiner Präsenz wettzumachen weiß. Er beweist, dass er auch ohne Krallen an den Händen ein ungemeines Star-Potenzial besitzt. Luhrmann zeigt ihn in gleißenden Heldenposen, in denen Jackman wie hineingewachsen aussieht.
Perfekt abzubilden weiß der Regisseur nicht nur seinen Hauptdarsteller. Bei den betörenden Bildern, die in sattesten Farben so raue wie tolle Panoramen zeigen, geht Luhrmanns Konzept voll auf. In seiner Optik ist Australia von der ersten bis zur letzten Szene absolut meisterlich und nicht wenige wären wohl nach dieser Flut vom echten, zwar wunderschönen, aber eben nicht noch zusätzlich am Computer nachbearbeiteten Australien enttäuscht. Die bewusste Künstlichkeit (wohl der prächtigste Rausch seit der Skull Island-Sequenz in Peter Jacksons King Kong) ist dabei ebenso konzeptioneller Teil von Luhrmanns Vorhaben, ein überlebensgroßes zu schön um wahr zu sein‘-Epos zu schaffen, wie es die simpel in Gut und Böse geteilten Protagonisten und Antagonisten sind. Somit kann man Australia neben Abenteuer, Romanze, Western und (Kriegs)Drama in gewisser Weise vor allem einen Experimentalfilm nennen. Hier wird kein Jahr 1939 penibel rekonstruiert, vielmehr wird es mit Vereinfachungen (Story, Charakterzeichnung) auf der einen und Aufhübschungen (Optik) auf der anderen Seite nachgebaut. Und kann so als Gesamtes auch tatsächlich überzeugen. Diese Huldigung des Altmodischen bekennt sich jederzeit zu dem, was sie ist und täuscht nicht mehr vor: man weiß als Zuschauer, woran man ist. Die Bösen werden verachtet, um die Guten wird gebangt, obwohl man längst ahnt, dass am Ende alles gut wird. Bis dahin lässt man sich vom Zauber der Bilder gefangen nehmen (ein so abgenutzter Begriff, dass er hier schon wieder passt) und vergisst zweieinhalb Stunden lang, dass die wahre Welt nicht so aussieht.
Australia hat sicher seine Schwachpunkte, die ihn auf der Gefühls- und Mitfühlebene weniger packend machen, als er hätte werden können und als es manches seiner Vorbilder ist. Die Figuren sind einen Tick zu sehr schablonenhaft, er ist voller Klischees, vorhersehbar und kaum tiefer, als ein australischer Fluss während der Trockenzeit. Das alles ist er aber nur, weil er eben nicht vor fünfzig, sechzig Jahren entstanden ist, sondern 2008. Und genau damit hat Luhrmann seine Ziele erreicht. Über dem Gerüst aus filmhistorischer Vergangenheit ist Australia nämlich auch ein eskapistisches Werk von teils absolut entfesselter visueller Wucht und inszenatorischer Dynamik. Ein Film von damals für heute und am Ende einen Seufzer des Staunes über die Utopie eines schöpferisch visionären Regisseures und einen des Bedauerns wert, dass es von letzteren viel zu wenige gibt. Oder eben nicht mehr so viele, wie vor fünfzig, sechzig Jahren, als man Klischees noch unter dem Wort Innovationen führte.
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