An der Kinokasse abgestürzt, von der Kritik verprügelt: Das Historien-Epos Alexander wurde 2004 zum persönlichen Waterloo für Regie-Bulldozer Oliver Stone (JFK, The Doors, Platoon). Aber das Desaster bedeutete nicht nur für Stone einen Karriereknick, sondern riss auch noch einen anderen Filmemacher mit runter: Der Australier Baz Luhrmann stand mit seiner eigenen „Alexander“-Adaption samt Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio bereits in den Startlöchern. Bitter enttäuscht musste Luhrmann sein Projekt auf Eis legen und nach Ersatz suchen. Der nicht gerade als Vielfilmer bekannte Regisseur wurde fündig. Er kehrte in seine Heimat nach Down Under zurück, um das größte Epos zu drehen, das Australien bisher gesehen hat. Das schlicht „Australia“ betitelte Abenteuer-Melodram ist herrlich altmodisches Bombast-Kino, das mit monströsen Schauwerten protzt, jedoch den Sprung zum Instant-Klassiker verpasst. Großes Kino ist „Australia“ irgendwie aber dennoch…
Australien, 1939: Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs reist die britische Aristokratin Lady Sarah Ashley (Nicole Kidman) von London nach Darwin, um ihrem Mann (Anton Monsted), der sie vermutlich betrügt, den Kopf zu waschen. Sie engagiert den stoischen Viehtreiber Drover (Hugh Jackman), um sie zur familieneigenen, im nördlichen Outback gelegenen Rinderfarm Faraway Downs zu führen. Dort angekommen, findet Lady Ashley ihren Mann ermordet vor. Es tobt ein erbitterter Farmer-Krieg, in dem der skrupellose Vorarbeiter Neil Fletcher (David Wenham) gemeinsame Sache mit dem Rinderbaron King Carney (Bryan Brown) macht und seinen Boss ans Messer geliefert hat. Lady Ashley feuert Fletcher und schafft sich so einen gefährlichen Feind. Sie nimmt den heimatlosen Aborigine-Mischling Nullah (Brandon Walters) bei sich auf und fasst einen kühnen Plan. Die Adlige will einen Treck von 1.500 Rindern über Hunderte von Meilen quer durch das unwirtliche Outback nach Darwin treiben, um das Vieh dort zu verkaufen und so Carneys Monopol zu durchbrechen. Sie überredet Drover, das Himmelfahrtskommando anzuführen. Mit einer Handvoll Farmbediensteter starten Drover und Lady Ashley in ein lebensgefährliches Abenteuer, während Fletcher und Carney alles daran setzen, die Karawane zu stoppen…
Zwischen 1992 und 2001 drehte Baz Luhrmann ganze drei Filme - die sogenannte Red-Curtain-Trilogie, bestehend aus „Strictly Ballroom“, William Shakespeares Romeo + Julia und Moulin Rouge. Insbesondere die beiden letzteren Werke begründeten Luhrmanns Ruf als visionärer Filmemacher, der optische Welten erschafft, für die das Prädikat „Fantasievoll“ noch eine Untertreibung wäre. Der Rausch der Sinne, den der Australier etwa in „Moulin Rouge“ entfesselte, ist schlicht sensationell. Weitere sieben Jahre vergingen, bevor „Australia“ nun endlich das Licht der weltweiten Leinwände erblickt. Der Film soll den Auftakt zu einer neuen Trilogie von mächtigen Epen bilden. Das Budget für den ersten Akt ist dementsprechend opulent: 130 Millionen Dollar.
Wer sich fragt, wie bei Luhrmann wohl ein großes Abenteuer-Melodram über seine Heimat Australien aussieht, wird nicht lange auf die Folter gespannt: Bereits die Eröffnungsszene von „Australia“, in der Kamerafrau Mandy Walker („Lantana“) den fünften Kontinent in betörende, kraftstrotzende Bilder bannt, setzt ein deutliches Zeichen. Der unbedingte (Stil)-Wille, großes, altmodisches Breitwand-Kino in überwältigender Farbenpracht auf der Leinwand zu zelebrieren, zieht sich durch den gesamten Film und ist in seiner grandiosen Wucht der größte Trumpf, das alles andere überstrahlt. Sein Regiestil ist trotz neuen Genres unverkennbar. Über wie viele Regisseure lässt sich sowas schon sagen? Wenige!
So weit, so fantastisch. Erste Irritationen stellen sich jedoch früh ein. Der Ton, den Luhrmann anschlägt, ist gewöhnungsbedürftig. Aber dadurch wird auch schlagartig klar, was „Australia“ sein will: im positiven Sinne anachronistisches Kino. Die dezente Albernheit und Naivität, die Lady Ashley nach Australien bringt, legt sich im Laufe des Films und weicht den ganz großen Gefühlen, die der bekennende Träumer Luhrmann bis an die Grenzen ausreizt. Sein Film soll eben nicht modern, sondern zeitlos sein. Der Australier orientiert sich dabei an den Epen der Vierziger- und Fünfzigerjahre, an Werken wie John Fords „Mogambo“ oder John Hustons African Queen. Und so verwundert es auch nicht, wenn die Figuren allesamt Archetypen darstellen. Kein Charakter verschwimmt im Grau, jeder ist eindeutig auf Gut oder Böse festgelegt. Auch diese Klarheit treibt Luhrmann auf die Spitze, so dass der Zuschauer bei der Boshaftigkeit der Antagonisten Fletcher und King Carney am liebsten auf die Leinwand springen würde, um die Schergen eigenhändig aus dem Verkehr zu ziehen. Auf der anderen Seite steht die pure Reinheit des Guten, personifiziert durch den Aborigine-Mischling Nullah.
Aus der Charakterzeichnung ergeben sich einige Schwächen. Nicht weil die Figuren universell angelegt sind, sondern weil sie nicht in der Tiefe berühren, wie es bei einem Epos eigentlich der Fall sein sollte. Luhrmann und sein Co-Drehbuchschreiber Stuart Beattie (Collateral, 30 Days Of Night, Pirates Of The Carribean 2, Pirates Of The Caribbean 3) packen alles, was ihr Land um 1940 ausmachte in den Film und verarbeiten nebenbei noch die für weiße Australier schmerzhafte Vergangenheit um die Unterdrückung der Aborigines: von rauen Farmern und Provinzfürsten, über eigenbrötlerische Viehtreiber und den wenig geliebten Adel, bis zur feinen Gesellschaft - das alles platziert vor dem historischen Hintergrund des ausbrechenden Zweiten Weltkriegs, der auch Australien mit der Bombardierung Darwins durch die Japaner im Februar 1942 erreicht.
Frei nach dem Motto der ZDF-Reihe „Unsere Besten“ hat Luhrmann für sein Mammut-Projekt die Creme de là Creme des fünften Kontinents zusammengetrommelt. Nun gut, die Nummer eins der Schauspielgilde, Russell Crowe (L.A. Confidential, Todeszug nach Yuma, American Gangster), stieg aus und wurde durch die Nummer zwei Hugh Jackman (X-Men, The Fountain, Prestige, Scoop) ersetzt. Doch der ist ein ähnlich kerniges Mannsbild wie sein Kollege Crowe. Aus jeder einzelnen Pore dringt seine Männlichkeit. Für die des Drover, einer Mischung aus Indiana Jones und Crocodile Dundee, ist Jackman genau der Richtige. Die Chemie zwischen ihm und Nicole Kidman (Eyes Wide Shut, Der Goldene Kompass, Die Dolmetscherin) stimmt weitgehend. Als völlig gegensätzliches Paar, das sich zusammenrauft, bieten sie genug Glaubwürdigkeit. Trotzdem reichen sie nicht ganz an die großen Leinwand-Paare der Filmgeschichte wie Vivien Leigh und Clark Gable in Vom Winde verweht heran. Kidmans Figur wird vom Drehbuch mehr gesegnet als die von Jackman. Sein Charakter verändert sich kaum, während Kidmans Lady Ashley einen Reifeprozess von der affektierten Zicke zur hemdsärmeligen Lady durchmacht. Das ist schon stimmig, aber die ungeheure Intensität, die Luhrmann beispielsweise in Moulin Rouge kreierte, stellt sich nie ein. Das Zusammenspiel aus Kitsch, Bombast und großen Gefühlen, das beim Vorgänger noch brillant funktionierte, überzeugt bei „Australia“ nicht zu hundert Prozent.
Die Nebendarsteller steuern solide Leistungen bei. Besonders hervor sticht Schauspieldebütant Brandon Walters, der als Nullah nicht nur als Bindeglied zwischen den Kulturen, sondern auch als Erzähler eine wichtige Funktion einnimmt. David Wenham (Herr der Ringe - Die zwei Türme, Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs) und Bryan Brown („Cocktail“, „Gorillas im Nebel“) bringen als Erzbösewichte das nötige Charisma rüber, um den kalkulierten Unmut des Publikums auf sich zu ziehen. „You’re monsters!“, bellt Lady Ashley ihren Widersachern an einer Stelle des Films entgegen und trifft damit ins Schwarze.
Doch auch wenn „Australia“ bei weitem nicht perfekt ist, punktet er doch immer wieder mit Momenten voll atemberaubender Schönheit. Etwa wenn Lady Ashley dem kleinen Nullah ein sehr schräges „Over The Rainbow“ aus „Der Zauberer von Oz“ vorsingt – was im Folgenden übrigens zum Leitmotiv wird. Das ist voller Herz, Humor und Charme. Die Schauwerte einer mächtigen Stampede, die auf einen Abgrund zurast, sind überwältigend. Ebenso beeindruckend inszeniert ist der Bomber-Angriff auf Darwin und eine weitere Sequenz, in der eine Rinderherde in die Stadt getrieben wird. Dabei schreckt Luhrmann auch vor bewusst CGI-unterstützten Tableaus nicht zurück, die eine gewollte Künstlichkeit offenbart. Er ordnet dies einfach seinem Konzept des Großen und Schwelgerischen unter. Es wird gelitten, es wird gelacht und es fließen Tränen.
Fazit: Baz Luhrmanns kühner Versuch, ein monumentales Epos für die Ewigkeit zu schaffen, ist zwar nicht wirklich gelungen, aber dennoch ist „Australia“ ein sehenswertes Abenteuer-Melodram der alten Schule - hemmungsloses Gefühlskino, das sich auf Gedeih und Verderb dazu bekennt. Die unheimlich wuchtige Inszenierung und die superben Bildern entschädigen für die kleineren Schwächen in der Charakterzeichnung.