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    Vom Schaukeln der Dinge
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Vom Schaukeln der Dinge
    Von Christoph Petersen

    Mit 48 Jahren scheint für den 1948 in der Schweiz geborenen Kabarettisten, Schauspieler und Autor Rudolf Höhn die Welt zusammenzubrechen – die Diagnose Morbus Parkinson macht es ihm unmöglich, weiter in seinem früheren Beruf zu arbeiten. Statt aber zu resignieren, sucht sich Höhne andere Betätigungsfelder, gründet erfolgreich die Behindertentheatertruppe Pschyrembel und wird Pressesprecher eines Bremer Rugby-Vereins. Ein Jahr lang hat Regisseurin Beatrix Schwehm Rudolf Höhn mit ihren Kameras begleitet. So entstand unter dem Titel „Dritte Halbzeit“ zunächst eine 55-minütige Fernsehdokumentation für den Sendeplatz „Welt im Blick“. Überwältigt von der ersten positiven Resonanz kamen weitere Förderer mit ins Boot und so war es Schwehm nun möglich, ihre sensiblen Beobachtungen auch in der 80-minütigen Kinodokumentation „Vom Schaukeln der Dinge“ zu verpacken. Der Aufwand hat sich gelohnt: Auch wenn durch die längere Laufzeit die eine oder andere Szene doch etwas sehr weit abseits der eigentlichen Thematik liegt (Besuch einer Rugby-Kapelle in Frankreich), ist Schwehm dennoch eine ebenso gefühlvolle wie ehrliche Annäherung an Rudolf Höhn gelungen, die ohne jedes falsches Mitleid einen Mann bewundert, der auch mit seiner Behinderung noch vieles auf die Beine stellt, wovon die meisten Normalsterblichen nur träumen können.

    Nach dem Abschluss seiner Schauspielausbildung 1973 nahm Rudolf Höhn zahlreiche Engagements an verschiedenen Theatern an und war dabei unter anderem von 1987 bis 1993 auch Teil des Ensembles der Bremer Shakespeare Company. Seine Markenzeichen waren dabei stets der bissige Umgang mit der eigenen Biographie, was er vor allem mit seinem Erfolgsstück „Was brennt länger oder warum schreit ihr Kind“ bewiesen hat, und die absolute Schamlosigkeit, mit der er seine dunkelschwarze Schlagfertigkeit einzusetzen bereit war. Während seiner erfolgreichen Zeit bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft (1996 bis 1998) diagnostizierten die Ärzte dann 1997 bei ihm Parkinson. Zunächst wurde das langsame Sprechen noch als Schweizer Behäbigkeit getarnt, aber schon bald war Höhn nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als Schauspieler in der bisherigen Art und Weise weiter fortzuführen. Auch wenn ihm 2003 zum 20-jährigen Jubiläum der Shakespeare Company die Rolle des Ecclestone in dem Stück „Shakespeare In Trouble“ noch einmal auf den Leib geschrieben wurde, musste Höhn sich im Endeffekt dennoch neue Wirkungsfelder erschließen.

    Mit Integration habe ich nichts am Hut, ich will Theater spielen! (Rudolf Höhn)

    Nach diesem Motto funktioniert Höhns Theatergruppe Pschyrembel, die er seit dem Jahre 2000 leitet und die im Februar 2002 mit dem Stück „So ein Theater“ ihre erste erfolgreiche Premiere feiern konnte, nicht etwa als Mitleidsmotor, bei dem das Publikum seine Eintrittsgelder als bloße Spenden betrachten müsste, sondern im Gegenteil als ernstzunehmende und dabei auch noch hochamüsante Unterhaltung. Hier werden die Schauspieler nicht mehr wegen ihrer Behinderung angestarrt, sondern weil die Zuschauer voller Spannung dem Stück folgen. Höhn versteht es dabei, die Behinderungen weder auszuschlachten noch zu verleugnen, sondern sie voller Mut als zusätzliches theatralisches Element – zum Beispiel, indem er eine Blinde fechten oder einen Rollstuhlfahrer fliegen lässt – einzusetzen. In „Vom Schaukeln der Dinge“ werden immer wieder kurze Einblicke in die Proben geboten, die Höhns ehrgeizigen Charakter auf den Punkt bringen. Wenn der Umgangston rauer wird, er seine Schauspieler abseits der üblichen Höflichkeit weiter antreibt, spart Schwehm dies nicht etwa aus, sondern stellt es häufig sogar bewusst in den Mittelpunkt dieser Szenen – ganz nah, ganz ehrlich und ohne jede falsche Scham.

    Eine andere Sache, die Höhn nach seiner Erkrankung für sich entdeckt hat, ist das Rugby. Für ihn ist es in erster Linie das Archaische, was diese Randsportart so interessant macht. Als Pressesprecher eines Bremer Rugby-Vereins ist er beim Training und bei den Spielen dabei, begleitet die Truppe bei Ausfahrten und schreibt immer mal wieder eingängige Zeitungsartikel, die das Rugby im Allgemeinen und den Club im Speziellen aus ihrem Schattendasein herauskatapultieren sollen. Eine Episode, die beweist, dass man sich auch als Behinderter aus eigener Kraft neue soziale Umfelder erschließen und dort seine Fähigkeiten nutzbringend anwenden kann. Leider lässt die Wahl der Ausschnitte in diesen Szenen nur selten Einblicke in Höhns Persönlichkeit zu. Zu viele Bilder zeigen nur die sich schmutzig und verschwitzt gegeneinander stemmenden Spieler. Natürlich wollte Schwehm damit die jugendliche Kraft der Athleten als Gegensatz zu Höhns Behinderung hinstellen, aber dieser Ansatz verläuft sich zu schnell und dann bleiben nur noch die schön anzusehenden, strammen Waden übrig.

    Auch wenn es Höhn gelingt, die meiste Zeit über eine schlagfertig-zynische Kabarettisten-Fassade aufrecht zu halten, kann Schwehm diese doch immer mal wieder kurzzeitig durchbrechen, um so wirklich berührend-intime Momente einzufangen. Vor allem bei den Aufnahmen in Höhns Schweizer Elternhaus – sowohl sein Verhältnis zu seinen Eltern als auch das zu seinem Heimatland sind gespalten und wurden von ihm in seinen Stücken und Texten immer wieder kritisch aufgegriffen – werden dem Zuschauer besonders tiefe Einblicke gewährt. Anstatt die verschiedenen Lebensbereiche, die Höhn auch mit seiner Krankheit noch immer ausfüllt, einfach stur abzuarbeiten, gestattet Schwehm nur kurze Einblicke in das persönliche und berufliche Schaffen des Kabarettisten. Es geht ihr dabei aber auch nie darum, die Probleme eines Parkinson-Patienten möglichst ausführlich und abschließend abzuhandeln, sondern vielmehr dem Publikum eine faszinierende Persönlichkeit – ungeschönt, aber in stiller Bewunderung – vorzustellen.

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